Contra Pflichtdienst
Unser Gastautor Ph.D. Martin Dichter ist Gesundheits- und Krankenpfleger, Vorsitzender des DBfK Nord und stellvertretender Leiter des Instituts für Pflegewissenschaft an der Universität Köln.
Schon vor der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 wird in Parteien, Verbänden und Öffentlichkeit die Einführung eines sozialen Pflichtdienstes für junge Bürgerinnen und Bürger diskutiert. Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) hat sich dazu eindeutig positioniert: Wir halten die Einführung eines Dienstjahres nicht für zielführend.
Wir unterstützen ausdrücklich die Förderung eines Engagements für Gesellschaft und Gemeinwohl, allerdings auf freiwilliger Basis und ohne Begrenzung auf eine bestimmte Altersgruppe. Wir stehen mit dieser Überzeugung auch auf der Basis der Grundgesetzes. Laut Artikel 12 GG Abs. 2 darf „niemand zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.“
Der DBfK setzt darauf, die vorhandenen Möglichkeiten für einen Bundesfreiwilligendienst auszubauen und dessen Attraktivität zu steigern. Dies kann zum Beispiel durch eine bessere Bezahlung passieren, aber auch durch zusätzliche Rentenpunkte für ältere Menschen oder durch eine bevorzugte Zulassung für eine Ausbildung oder ein Studium bei jüngeren Menschen. Der DBfK setzt hier also eindeutig auf „Nudging“, auf Anreize, und nicht auf Pflicht. Wer eine soziale Aufgabe gezwungenermaßen er- füllt, wird dies niemals mit Über- zeugung tun. Außerdem steht der Verpflichtung gerade jüngerer Menschen der demografische Faktor entgegen: Die Altersstruktur wird sich infolge der verringerten Sterblichkeit, der gestiegenen Lebenserwartung und der gesunkenen Geburtenrate weiter verändern, sodass immer weniger jüngere Menschen ohnehin schon die Last einer älter werdenden Gesellschaft tragen müssen.
Wer ein soziales Pflichtjahr als geeignetes Mittel sieht, dem Pflegenotstand in unserer alternden Gesellschaft abzuhelfen, hat nichts von der Profession Pflege verstanden. Der Beruf der Pflegefachperson – so die offizielle Bezeichnung nach der im vergangenen Jahr eingeführten Zusammenlegung der Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege zur generalisierten Ausbildung – basiert auf einer dreijährigen Ausbildung mit entsprechender Expertise und Examen. Insbesondere die Pflege älterer, häufig mehrfach erkrankter Menschen erfordert Wissen, Empathie und Erfahrung. Das ist eine physisch wie psychisch fordernde Tätigkeit und nichts, was sich eben mal in einem Crashkurs oder einer Kurzschulung vermitteln lässt.
Personalmangel in der Pflege hat ökonomische und politische Ursachen
Absolventen eines sozialen Freiwilligenjahrs können selbstverständlich unterstützend und unter Anleitung in der niedrigschwelligen Begleitung wirken, aber niemals ausgebildete Kolleginnen und Kollegen ersetzen. Der Pflegepersonalmangel, der die Versorgung unserer immer älter werdenden Gesellschaft gefährdet, hat ökonomische und politische Ursachen, die sich nicht mit dem Appell an einen „Dienst an der Gesellschaft“ beheben lassen. Der DBfK zeigt seit Jahren die entsprechenden Wege auf, um mehr Personal zu gewinnen: ein attraktives und angemessenes Einstiegsgehalt von 4000 Euro brutto sowie die entsprechende Vergütung von Spezialisierungen, Arbeitsbedingungen, die nicht krank machen und eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie erlauben sowie die Übertragung heilkundlicher Aufgaben (Stichwort „Verschreibungsrechte“) – um nur die wichtigsten zu nennen.
Es besteht hier auch auf Seiten der Politik längst kein Erkenntnisdefizit mehr. Woran es aber eklatant mangelt: an der Bereitschaft zur Umsetzung dieser Forderungen. Die Umsetzung ist aber die Voraussetzung, um das Gesundheitswesen fit zu machen für den demografischen Wandel, denn ohne Pflegefachpersonen wird es nicht gehen. Wir als Gesellschaft müssen bereit sein, die entsprechenden Kosten zu übernehmen, sonst werden wir den Preis zahlen, wenn wir ins Krankenhaus müssen oder wenn wir für uns selbst und unsere Angehörigen professionelle Pflege benötigen.
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