Kosten, Kompromiss und Kinderkram

Soltau. Ja, so gibt Hermann Norden selbstkritisch zu, man müsse daraus lernen, auch er müsse sich an die eigene Nase fassen. Der Aufsichtsratschef des Heidekreis-Klinikums, von BZ-Redaktionsmitglied Bernhard Knapstein auf das Kommunikationsproblem rund um die Entscheidung zum Standort des zentralen Heidekreis-Klinikums angesprochen, verspricht für die Zukunft Besserung: „Wir müssen mit den Menschen über solche Prozesse reden, wir müssen uns Zeit dafür nehmen“, erklärt Norden bei der BZ-Podiumsdiskussion zum Bürgerentscheid in Sachen HKK-Standort, die coronabedingt am Donnerstag über gut 90 Minuten online stattfindet.

Dass es ein ähnliches Debakel rund um das Klinikum vor gut zehn Jahren gegeben hat, als der Heidekreis schon einmal knapp vor einem Bürgerentscheid stand, man aus dieser Erfahrung heraus hätte wissen müssen, dass besonders im Norden alles rund um das Klinikum besonders beäugt wird, das bleibt ungesagt. Jedoch stellt Norden ganz richtig zu Beginn fest, dass es bei der Diskussion mittlerweile kaum noch um die Versorgung von kranken Menschen geht, sondern darum, in welchem Teil des Heidekreises ein Klinikum gebaut werden könnte. Das ist auch die Frage des Bürgerentscheids, die am morgigen Sonntag beantwortet werden soll. Für ihn, so Norden, stehe aber die leistungsfähige Versorgung vom Rettungsdienst bis hin zu Pflege im Mittelpunkt – und „wir brauchen, wenn es um einen Standort geht, eine gute Anbindung und das Ganze möglichst zentral“. Letzteres werde allerdings überschätzt. Jetzt gehe es darum, die Planungen weiter und zu einem guten Ende zu führen, wirbt Norden für ein Nein in der Abstimmung.

Letzteres sehen die Initiatoren des Bürgerbegehrens, Dr. Wolfram Franz als ehemaliger ärztlicher Direktor des HKK sowie FDP-Mann Otto Elbers, erwartungsgemäß anders, plädieren für ein Ja auf dem Wahlzettel. Franz betont, schon vor zehn Jahren die Zentralisierung ins Gespräch gebracht zu haben, deshalb gehe es jetzt darum, diesen Bau in die Kreismitte zu holen, wo er gut erreichbar sei und akzeptiert werde, mit Aussicht auf ein wirtschaftliches Auskommen. Er empfindet die Entscheidung für F4 als egoistisch: „Es geht nicht um die wenigen Fahrminuten, das ist Kinderkram. Es geht um einen Kompromiss und der ist seit Jahrzehnten Dorfmark.“ Die Politik höre nicht zu und nehme die Bürger nicht mit. Die Mitte, so wird Elbers in seinem Eingangsstatement noch deutlicher, liege für einige Politiker zwischen Walsrode und Bad Fallingbostel.

Eine Dreiviertelmehrheit des
Kreistags hat für F4 gestimmt

Der Schneverdinger SPD-Kreistagsabgeordnete Dieter Möhrmann kritisiert die Schlammschlacht der letzten Wochen und die nicht tolerierbare Wortwahl, die er bei den Initiatoren verankert. „Wir sind keine Lügner“, entgegnet Möhrmann für sich und alle anderen Kreistagspolitiker, zu denen auch CDU-Mitglied Norden gehört, wendet sich gegen „populistisch herabsetzende Polemik“. Schließlich habe der Kreistag mit einer Dreiviertelmehrheit für F4 gestimmt. Für den langjährigen Landespolitiker Möhrmann steht fest, dass es in den nächsten Jahren nicht noch einmal die Chance auf einen dreistelligen Millionenbetrag geben werde: „Wenn wir die Chance haben wollen und uns nicht hinten einreihen wollen“, dann steht für Möhrmann außer Frage, am Sonntag mit Nein stimmen zu müssen.

Zur Frage, ob sieben Kilometer wirklich den Unterschied machen, geht Elbers noch einmal auf die Versorgung und Erreichbarkeit ein. Die eigentliche Mitte des Kreises liege bei Mengebostel und Jettebruch, Dorfmark sei daher ein Kompromiss. Norden erläutert demgegenüber, wie intensiv die verschiedenen Standorte untersucht worden seien: von der Erreichbarkeit, der Marktabdeckung und -abschöpfung, von der Attraktivitätsdominanz und der Fahrzeitdominanz spricht er. „Die 30-Minuten-Erreichbarkeit ist kein Ausschlusskriterium. Wenn ein Krankenhaus eine gute Leistung bringt, gehe ich da hin.“ Doch an diesen Untersuchungen entzündet sich die Kritik der Initiatoren: „Trinovis hat mit den Patienten aus den Nachbarkreisen gerechnet“, hebt Franz hervor. Die Menschen im Norden, die sich vor zehn Jahren vom HKK abgewandt hätten und seitdem andere Krankenhäuser nutzten, seien den Gutachtern egal gewesen, man kriege ja aus den Nachbarlandkreisen 80 000 Patienten. Doch es gehe um die Versorgung im Heidekreis, dafür seien auch die 130 Millionen Euro an Fördergeldern gedacht.

Qualität, Mitarbeiter und Akzeptanz nennt Franz als Kriterien. Dass Anderes nicht funktioniere, sehe man seit der Verlegung von Abteilungen nach Walsrode, bis heute habe das HKK 80 Millionen Euro an Defizitausgleich verschlungen. Kritik übt er auch an der Fahrzeitenberechnung, was Möhrmann zwar nachvollziehen kann, für ihn aber nicht entscheidend sei. Kontrovers geht es schließlich weiter zu bei der Frage, ob Dorfmark überhaupt raumordnerisch ein Standort sein kann. Möhrmann hält es nicht für möglich, Rechtssicherheit gebe es nur in Bad Fallingbostel. Franz weist das zurück: Dorfmark sei zulässig, bebaubar und stehe zur Verfügung, der Rat in Bad Fallingbostel könne das neu entscheiden. Ein weiteres Thema: der Zeitdruck. Da muss Norden nicht nur einmal erklären, dass dieser gewaltig sei, Dorfmark selbst bei größtem Wille nicht mehr umsetzbar sei. Dass es keinen festen Abgabetermin mit dem konkreten Datum 30. September gebe, räumt er ein, der sei auch nie genannt worden: Aber es gebe einen Zeitplan mit allen Beteiligen im Land für die Abgabe der Unterlagen, der mit dem dritten Quartal ablaufe und das sei nun mal der 30. September.

Eine Diskussion entzündet sich zudem an der Frage der Baukosten, Möhrmann und Norden verweisen darauf, dass es konkrete Zahlen erst nach dem Architektenwettbewerb gebe. Dass zu den angenommenen Kosten von 205 Millionen Euro bislang in der Berechnung 25 Millionen fehlten, dazu könne er keine gesicherte Aussage machen, erklärt Norden. „Da wird es Gespräche geben zwischen dem Land und dem Klinikum.“ Möhrmann ergänzt: „Da gibt es drei Abgeordnete im Landtag. Die werden sich kümmern müssen.“ Die Nein-Fraktion unter den Zuhörern an den heimischen Computern will von den Initiatoren des Bürgerbegehrens vor allem eins genau wissen: Was bedeute „bei“ Dorfmark? Elbers legt sich nicht fest: „Wir sind nicht das Planungsamt Fallingbostels.“ Es sei bei einer Ja-Entscheidung Aufgabe der Stadt und des Heidekreises, einen Standort zu finden. „Uns ist es wichtig, in Dorfmark eine Klinik zu bauen, die von allen akzeptiert wird.“

„Wir müssen mit den Menschen über solche Prozesse reden“ – Herman Norden, HKK-Aufsichtsratchef

„Es geht nicht um die wenigen Fahrminuten“ – Dr. Wolfram Franz, Bürgerbegehren-Initiator

„Eine Klinik in Dorfmark, die von allen akzeptiert wird“ – Otto Elbers, Bürgerbegehren-Initiator

„Wir sind keine Lügner“ – Dieter Möhrmann, Kreistagsabgeordneter

Infobox: Ja oder nein?

Wer am morgigen Sonntag beim Bürgerentscheid zum HKK-Standort mit Ja stimmt, spricht sich dafür aus, dass der Kreistag seine Entscheidung noch einmal ändern und eine Fläche für den Neubau des Heidekreis-Klinikums bei Dorfmark finden soll. Wer bei Nein sein Kreuz setzt, der steht hinter der Entscheidung des Kreistags vom Juni 2020, als der Standort F4 beschlossen worden war. Rund 115 000 Wahlberechtigte sind aufgerufen, die Entscheidung zu treffen. Die Wahllokale sind von 8 bis 18 Uhr geöffnet. Die Ergebnisse der Stimmenauszählung zum Bürgerentscheid sind nach der Schließung der Wahllokale auf der Homepage des Heidekreises zu finden. Unter www.heidekreis.de werden sie nach Abstimmbezirken, nach Kommunen und als Gesamtergebnis dargestellt. at

Wahlzettel: Nur ein Kreuz ist am morgigen Sonntag beim Bürgerentscheid zum HKK-Standort möglich. Es gibt die Wahl zwischen Ja und Nein. Foto: grö

Wahlzettel: Nur ein Kreuz ist am morgigen Sonntag beim Bürgerentscheid zum HKK-Standort möglich. Es gibt die Wahl zwischen Ja und Nein. Foto: grö

Anja Trappe