„Da löst man vielleicht eher den Israel-Palästina-Konflikt“

Soltau. Wo liegt das Zentrum des Heidekreises? Diese Frage wurde in den vergangenen Tagen von vielen Seiten beleuchtet. Auch Sebastian Zinke und Dr. Ronald Begemann nähern sich in einem Streitgespräch bei der Böhme-Zeitung diesem Thema. Zinke, gebürtiger Dorfmarker, jetzt Benefelder, SPD-Landtagsabgeordneter, SPD-Fraktionschef im Kreistag und Vizevorsitzender des HKK-Aufsichtsrats, und Begemann, Soltauer, CDU- Mitglied und Mitglied im Aufsichtsrat des HKK, beide Juristen, beide mit der Zukunft des Standorts des zentralen Neubaus eines Heidekreis-Klinikums befasst, diskutieren miteinander diese Frage – unterstützt von Redaktionsmitglied Anja Trappe und Redaktionsleiter Jörg Jung.

Zunächst aber geht es bei dem Gespräch um eine Neuordnung der Wahlkreise in Niedersachsen, wobei Zinke fürchtet, dass sie möglicherweise regionale Zugehörigkeiten zerschneiden würden oder irgendetwas künstlich zusammenpfropft werden könnte.

Dr. Ronald Begemann: Der Heidekreis ist auch ein künstliches Gebilde. Seit 43 Jahren passiert im Hinblick aufs Zusammenwachsen relativ wenig. Sie lösen vielleicht eher den Israel-Palästina-Konflikt, bevor Sie den Landkreis halbwegs mal zu einer Einheit zusammenbekommen.

Sebastian Zinke: Na, da gibt es im Heidekreis doch andere Verhältnisse als in Israel.

Begemann (lacht): Warten wir es ab. Das ist natürlich eine Übertreibung, aber es ist schon so, dass die Ressentiments auf beiden Seiten nicht richtig abgebaut worden sind.

Zinke: Eigentlich geht es meist um das eigene Wohnumfeld, aber richtig ist auch, dass der nördliche Heidekreis in Richtung Hamburg orientiert ist und der südliche in Richtung Hannover. Auch dass wir zwei Tageszeitungen ha- ben, ist ein Grund, dass es ein Bewusst sein der Menschen für einen Heidekreis nicht so gibt wie anderswo. Zudem die geografische langgestreckte Lage. Und es gibt kein Mittelzentrum, um das sich alles dreht. Das macht es schwierig.

Begemann: Ja, südlich grenzt der Landkreis an Hannover, nördlich schon an Harburg.

Zinke: Aber die Wahrnehmung des Landkreises ist auch eine Generationsfrage. Ich bin 1981 geboren, für mich spielt es keine Rolle. 1974, das berichte- te mein Fraktionskollege Dieter Möhrmann, da war er Juso, gab es viel härte- re Turbulenzen. Da hätten sich die Leute fast geprügelt. Ich glaube auch nicht, dass man den Heidekreis wieder auseinanderreißt. Da gibt es auch landesseitig keine Bemühungen.

Begemann: Aber diskutiert wird es schon mal.

Zinke: Wenn man sich das genau über- legt, wäre das nicht vorteilhaft. Bei einer Teilung wären beide Seiten die jeweiligen Ränder einer Region. Und diese Regionen haben jeweils schon ein Zentrum. Deshalb glaube ich, um uns weiterzuentwickeln, müssen wir zusammenhalten und den gesamten Heide- kreis voranbringen.

Begemann: Aber wie soll das gehen? Die Zentren werden Sie nicht zusammen- führen können.

Zinke: Aber in dieser Frage hier reden wir nicht über einen Konflikt Soltau-Walsrode. Es geht um Konkurrenz zu Aurich, Diepholz mit dem Bereich Cloppenburg/Vechta und darum, wie man den Heidekreis für die nächsten Jahre medizinisch aufstellt. Mir will nicht einleuchten, warum andere Regionen eine solche Landesinvestition von 130 Millionen Euro erhalten sollen und nicht wir.

BZ: Aber das ist ja nicht vom Standort Bad Fallingbostel oder Dorfmark abhängig, was jetzt Gegenstand des Gesprächs sein soll. Wenn man sich einig ist, kann man auch für Dorfmark die Fördermittel beantragen.

Begemann: Der Standort hat damit schon etwas zu tun, weil man in der Bevölkerung einen großen Rückhalt haben sollte. Wenn man sich in der Frage zerstreitet, in Hannover bekannt wird, dass die eine Hälfte für Dorfmark, die andere für Bad Fallingbostel ist, dann kann es für die Fördermittel knapp werden. Das kann aber nicht heißen, dass jetzt alle in die Reihe zurücktreten und wir den Standort F4 (südlich von Bad Fallingbostel , d. Red.) nehmen. Es kann nur heißen, dass man die Entscheidung möglichst transparent gestaltet und die Bevölkerung mitnimmt, auch die des Nordkreises. Da sind wir vielleicht nicht mehr einer Meinung. Da hat das Prozedere, wie es in den vergangenen fünf Wochen gelaufen ist, erhebliche Mängel.

Zinke: Wir sind beieinander, wenn man davon redet, die Bevölkerung mitzunehmen. Was nicht richtig ist, ist, dass die Standorte erst seit wenigen Wochen bekannt sind. Seit 2018 wissen wir, dass sieben Gebietskulissen infrage kom- men. Und das Ergebnis der weiteren Untersuchung von Trinovis und von Herrn von Luckwald ist dann präsentiert worden. Durch die Vorgaben des Landes ist ein zeitlicher Druck entstanden. Wir brauchen aber ein starkes Signal nach Hannover.

BZ: Aber noch einmal zurück zur Mitnahme der Bevölkerung. 2018 hieß es, wir bauen ein Krankenhaus für alle in der Mitte des Landkreises. Schon da wurde versäumt, die Entscheidungsgremien so zu besetzen, dass sich alle mitgenommen und ausreichend informiert fühlen.

Zinke: Das ist aber nur dann so, wenn man der Meinung ist, dass derjenige, der in Benefeld lebt, nicht für den gesamten Heidekreis denkt. Richtig ist es aber, wenn man im Nachhinein drauf schaut. Als wir bemerkt haben, dass es Kritik gibt, ist Dr. Begemann dazugekommen. Da wird an eine Verschwörung Südkreis gegen Nordkreis gedacht. Die gibt es nicht und hat bei der Entscheidung nie eine Rolle gespielt.

Begemann: Da habe ich eine ganz an- dere Meinung. Zunächst einmal zum Verfahren. Ganz klar muss die Gesellschafterversammlung (der Kreistag, d. Red.) die Standortentscheidungen treffen. Sie hat aber keine Auswahl zwi- schen den verschiedenen Standorten, weil es eine Empfehlung von Aufsichtsrat und Steuerkreis gegeben hat, die nur ein Ja oder Nein für den Standort F4 vorsieht. Und dieser Beschluss war im Aufsichtsrat durchaus umstritten. Jetzt steht also nur F4 auf der Tagesordnung, darauf ist alles zugeschnitten. Deshalb ist das Geschmäckle, wie es hier im Nordkreis empfunden wird, kein unberechtigtes.

Zinke: Der Kreistag kann aber auch S7 (Soltau, d. Red.) entscheiden. Der Aufsichtsrat hat sich aus den Ergebnissen eine Meinung gebildet und dann empfohlen. Aber die Gesellschafterver- sammlung kann jede andere Entscheidung fassen – auch keine, das wäre aber die schlechteste. Ich bin fest davon überzeugt, dass unterm Strich F4 der beste Standort für das Klinikum – in jeder Hinsicht, auch raumordnerisch mit der Lage an der Autobahn und an der Bahnlinie. Ich bin in Dorfmark groß geworden, das ist ein wunderbarer Ort. Aber wenn man sich das F4-Grundstück anschaut, dann sieht man, dass es der beste Standort ist. Zudem ist das raum- ordnerische Risiko dort deutlich geringer als in Dorfmark.

Begemann: Aber jetzt liegt das Gutachten von Luckwald vor, das vier Standorte herauskristallisiert hat, die nach seinen Worten alle gleich gut geeignet sind mit der Präferenz für den Standort Soltau. Dann hat das Gutachten von Trinovis den Ausschlag gegeben. Wobei die Annahmen in dem Gutachten nicht durchgängig überzeugend sind.

BZ: Was heißt nicht durchgängig – nicht korrekt?

Begemann: Nein, dass das Gutachten nicht korrekt ist, natürlich nicht. Niemals wird ein Gutachter seine Gremien anlügen oder etwas falsches erzählen. Aber wir sind durchaus unterschiedlicher Auffassung, was die Bewertung oder Simulation von Trinovis anbelangt.

BZ: Also geht es um falsche Grundlagen?

Begemann: Wenn Sie sich bestimmte Parameter angucken, können Sie Zweifel bekommen. Zum Beispiel den Standort F4 in Bezug auf den 30-Minuten-Radius. Der geht sehr weit in Richtung Süden. In der Beschlussvorlage heißt es, dass das Fallpotenzial, das sich daraus ableitet, unabhängig vom Wettbewerb ermittelt worden ist. Wenn sie 30 Minuten von F4 in Richtung Süden fahren, dann sind sie schon in Hannover mit einer Fülle von wirklichen Schwergewichten in der medizinischen Versor- gung. Das heißt, die Attraktivitätsdominanz, um in der Terminologie von Trinovis zu bleiben, ist natürlich in Richtung Hannover ungleich größer als in Richtung Norden. Dort haben sie etwas Vergleichbares erst wieder in Hamburg. Und insofern ist das Thema Fallpotenzial, die schematische Anwendung des Radius‘, aus meiner Sicht nicht richtig bewertet worden. Da hätte man das Gebiet stärker unterteilen müs- sen.

Zinke: Sie haben jetzt zwei Dinge ge- nannt, die bei Trinovis eine Rolle spielen: Fahrzeiten und Attraktivität. Die Tabelle zeigt aber viel mehr Faktoren. Am Ende der Tabelle wurde nach dem sogenannten Gravitationsmodell geguckt, wie die Patientenströme für die einzelnen Standorte sind. Und da kann man erkennen, dass natürlich der ge- samte Heidekreis zukünftig in das Klinikum gehen wird. 40 000 Menschen sind nicht unversorgt, weil sie ein Krankenhaus nicht in 30 Minuten erreichen können. Und die Schneverdinger fahren nach Rotenburg, das ist so, das wird auch so bleiben. Wenn, dann ist das Krankenhaus so attraktiv, dass sie sich das neue HKK anschauen und auch weitere Fahrzeiten in Kauf nehmen. Wir müssen auf die künftige Gesamtversorgung schauen, wo auch die beiden be- stehenden Standorte einbezogen werden. Die Rettungswachen bleiben be- stehen, an den Standorten entstehen Family-Center für die ambulante Versorgung, und wir haben eine Nachnutzungsidee für die Gebäude (Senioren- und Pflegeheim, d. Red.). Die Simulation von Trinovis zeigt, dass das Krankenhaus von allen Menschen des Heidekreises erreichbar ist und das Patienten dort hinkommen.

Begemann: Dass es erreichbar ist, bestreitet niemand. Nur eben in welcher Zeit. Aber das Fallpotenzial, das die Geschäftsleitung als Ausgangspunkt für die Berechnung ihrer ökonomischen Prognosen bis 2030 ermittelt hat, ist nur eine Prozentzahl aus dem 30-Minuten-Radius.

Zinke: Das sind ja nur die nackten Zahlen.

Begemann: Ja, aber daraus leite ich ab, dass das Fallpotenzial in Richtung Sü- den schematisch nicht beurteilt werden kann – eben wegen der Wettbewerbssituation.

Zinke: Herr Begemann, Sie müssen sich das Gutachten zu Ende angucken. Es geht um die Simulation der Patientenströme.

Begemann: Das habe ich getan.

Zinke: Wir gehen davon aus, dass wir 19 500 Fälle erreichen können. Davon 14 000 aus dem Heidekreis, 1200 aus der Region aus Hannover, der Rest aus dem weiteren Umfeld. Auch jetzt hat das HKK schon Patienten von außerhalb. Die Menschen entscheiden nicht nach kommunalen Grenzen, sondern nach der guten Medizin, die wir dort machen.

Begemann: Aber es geht doch um die Standortfrage. Es geht darum, ob die Analyse des Gutachtens nachvollziehbar ist. Man muss differenzieren, wo sich der Radius befindet, wo es Konkurrenz gibt. Da macht es einen erheblichen Unterschied, ob ich eben in der Nähe von Hannover wohne oder in Soltau oder Bispingen, wo ich viel größere Schwierigkeiten habe, in ein attraktives Krankenhaus zu kommen. Und natürlich hat Trinovis eine Attraktivitäts- und Fahrzeitdominanz ausgewiesen, nur wie das gelaufen ist, ist für einen, der nicht finanzmathematisch alles nachrechnet, nicht nachvollziehbar. Aus meiner Sicht sprechen einige Gründe dagegen, dass es passt. Auch weil der Landkreis atypisch geschnitten ist und ein Rechenmodell nur typische Umstände abbilden kann.

BZ: Also wegen der Bevölkerungsverteilung?

Begemann: Ja genau. Und zudem wird eine weitere Besonderheit außen vor gelassen, nämlich die Historie. Das wird vor allem deutlich an der Prognoserechnung, die die Geschäftsleitung auf der Grundlage dieses Fallpotenzials ausgewiesen hat. Es wird überhaupt nicht berücksichtigt, dass man vor zehn Jahren den wirtschaftlich stärkeren Standort Soltau geschwächt und wichtige Abteilungen nach Walsrode verlagert hat. Da hat eine Abstimmung mit den Füßen stattgefunden, die zu einem erheblichen Fallzahlverlust geführt hat. Und auf der Grundlage des Status‘ des abgeschwächten Standorts hat man nun die Patientenströme heute mit den Trinovisdaten ermittelt. Es wurde nicht berücksichtigt, wie die Entwicklung wieder rückgängig gemacht werden kann. Laut den Zahlen, die die Geschäftsleitung als Prognoserechnung ermittelt hat, ist festzustellen, dass man nicht davon ausgeht, dass man die verloren gegangenen Patientenzahlen in Soltau wieder zurückgewinnen kann. Man geht einfach davon aus, dass, wenn der Standort nach Soltau käme, Walsrode ganz viel verlöre, ohne dass man berücksichtigt, dass man in Soltau wieder die Patienten dazu gewinnen würde. Man perpetuiert den Status quo 2018, da war die Chirurgie noch nicht nach Soltau zurückverlegt. Es ist also der denkbar schlechteste Zeitpunkt für den Standort Nordkreis. Auf dieser Grund- lage kommt Trinovis zwangsläufig zu dem Ergebnis, dass ein Standort im Süden des Heidekreises der beste ist. Da entzündet sich die Kritik zurecht. Dass auch dieser Punkt dazu führt, dass die Glaubwürdigkeit infrage gestellt wird, das muss man fairerweise zugestehen.

Zinke: Die Frage ist ja: Glaubt man einem Gutachten oder nicht. Man hat 2011 ein Gutachten erstellt und ist ihm dann nicht gefolgt. Es ist auf wundersame Art verändert worden, sodass der Kreistag eine andere Entscheidung getroffen hat. Ich teile Ihre Auffassung, dass das auch mit Grund ist, dass jetzt die Geschehnisse mit Skepsis betrachtet werden, man genau hinschaut. Nur, wir dürfen den Fehler nicht wieder machen. Wir haben bereits ein Gutachten von einem bundesweit renommierten Unternehmen, wenn man was anderes will, dann muss man was anderes vorschlagen. Jetzt ist es das, was wir haben. Wir haben als SPD 2011 dem Gutachter geglaubt und tun es auch heute. Man darf allerdings nicht den Eindruck erwecken, dass ein Standort F4 dazu führt, dass der Nordkreis nicht mehr versorgt ist. Hier entsteht der Eindruck, Fallingbostel liegt in Bayern. Das zweite ist, dass die Menschen die Befürchtung haben, dass sie medizinisch nicht versorgt werden. Das ist nicht der Fall. Tatsächlich glaube ich, dass es drittens die unterschiedliche Orientierung der Einwohner nach Norden und Süden gibt und ja viertens, dass die Entscheidung von vor zehn Jahren nicht das Vertrauen in die Politik gestärkt hat. Weil man damals falsch entschieden hat, soll man also heute wieder falsch entscheiden? Vor zehn Jahren hat man gesagt, dass das Defizit abgebaut werden kann. Es ist nicht passiert. Im Gegenteil. Jetzt schaut man wieder zehn Jahre nach vorn und prognostiziert, dass die Wahl eines anderen Standorts als F4 wirtschaftlich negative Folgen hat. Der Blick in die Zukunft ist doch zu hinterfragen.

Zinke: Der Blick in die Zukunft ist immer schwierig. Ich kann verstehen, dass es emotional für den nördlichen Teil des Heidekreises schwierig ist. Aber wenn wir jetzt neu für einen gemeinsamen Standort entscheiden, dann müssen wir uns die Fakten anschauen. Natürlich geht es auch um Emotionen, und wir als Politik müssen das erklären.

Begemann: Ich will noch einmal auf das Gutachten kommen.

Zinke: Aber ja, das Gutachten ist ein Kriterium für die Entscheidung, aber nicht das alleinige.

Begemann: Der Aufsichtsrat und die Gesellschafterversammlung haben die Pflicht, das Gutachten genau zu prüfen. Und dazu gehört, ob die Annahmen, die hier zugrunde liegen, wirklich zutreffen, ob nicht Abweichungen von den Berechnungen von Trinovis angezeigt sind. Und dieser Diskussion muss sich die Gesellschafterversammlung stellen, daran kommen sie nicht vorbei, man muss die Daten und Prognosen von Trinovis kritisch würdigen, prüfen, ob sich da Ungenauigkeiten oder Widersprüche ergeben. Und wenn man da Bedenken hat, dann muss man das auch äußern. Das hat nichts damit zu tun, wenn das Krankenhaus kommt, dass es ein sehr sehr gutes sein und es funktionieren wird. Darum geht es hier nicht. Hier geht es allein um die Standortfrage und darum, dass man sich damit sachgemäß und sorgfältig auseinandersetzt. Das heißt, die Trinovis-Zahlen sind zu hinterfragen, zumal sie einzig auf einem Rechenmodell beruhen, das man von außen nicht nachvollziehen kann.

Zinke: Sie wissen, dass wir das als Aufsichtsrat sehr genau gemacht haben. Die Sitzung hat sechs Stunden gedauert, für alles war Raum.

BZ: Eine Zahl müssen auch wir noch einmal hinterfragen, die auch bei Ihnen, bei der SPD, als Begründung für den Standort mit angeführt wurde. Und das ist die Entfernung im Notfall. Die Vorschriften für eine Fahrzeit von 15 Minuten gibt es nicht für das Erreichen des Krankenhauses, sondern nur für das Erreichen des Patienten durch einen Krankenwagens. Wie ist diese Zahl dort hineingekommen?

Zinke: Weil man wissen wollte, wie schnell man vom Patienten im Klinikum ist. Man hat eine Zahl genommen, weil man davon ausgeht, dass ein Krankenwagen schneller ist – auch mit Verkehrsregeln.

BZ: Aber da sind ja die 15 Minuten schon vergangen.

Zinke: Ja, aber es geht um die völlig losgelösten Zahlen. Man hat geguckt, kann man errechnen, wie für ein schneller fahrendes Fahrzeug die Standorter- reichbarkeit ist. Da hat man die 15 Minuten angenommen, man hätte auch eine andere Zahl nehmen können.

BZ: Die Krux ist doch aber, dass in dem Bereich Fallingbostel, Dorfmark und Walsrode viel mehr Menschen wohnen und genau dann diese positive Zahl für den Standort herauskommt. Das Gutachten wird auch dadurch infrage gestellt.

Zinke: Wir reden die ganze Zeit nur über zwei Aspekte.

Begemann: Lassen Sie uns dennoch bei dem Punkt bleiben. Ich habe bei der Aufsichtsratssitzung, die tatsächlich sechs Stunden gedauert hat und in der Nordkreis gegen Südkreis argumentiert hat, Herrn Rogge (HKK-Geschäftsführer, d. Red.) gefragt, warum nicht die Fahrzeit des Krankenwagens angenommen wird. Darauf hat er geantwortet, weil auch Notfälle zu Fuß oder mit dem Privatwagen das Krankenhaus aufsuchen. Bei der Zahl geht es eben nicht um die Fahrzeit eines Einsatzfahrzeugs, das ist ausdrücklich gesagt worden. Hier geht es um einen 15-Minuten-Radius für normale Verkehrsmittel. Die 15 Minuten sind gegriffen worden, hätte man 8 Minuten genommen, dann wäre mögli- cherweise der Standort S7 vorn gewesen, weil er nah an Soltau liegt. Der 15-Minuten-Zeitraum muss nicht falsch sein, aber man sollte wissen, dass die Zahl von der Geschäftsleitung einge- führt worden.

Zinke: Sie haben hier elf Zeilen. Das Fallpotenzial und diese Zahl sind nur zwei Punkte. Es gibt aber noch mehr und das Gutachten gibt einen Anhalt.

BZ: Bei vielen Zahlen spielt der bevölkerungsreiche Bereich mit den Kommunen Fallingbostel, Bomlitz und Walsrode eine große Rolle. Im Norden liegen die Kommunen weiter auseinander. Ist dann wirklich dieses Gutachten eine Entscheidungsgrundlage? Oder sollte man doch lieber gucken, ob man den Kreis nicht mit einem Standort Dorfmark vereinen kann?

Zinke: Wenn man das Gutachten aus- blendet, hätte man die ganzen Verfahren lassen können. Das Trinovis-Gutachten ist eine Entscheidungshilfe. Zum Tragen kommt zudem, dass auch der Stadtrat in Bad Fallingbostel sagt, wir wollen den Standort F4 haben, Dorfmark ist nicht passend. Das darf man nicht ausblenden.

BZ: Hat man da nicht schon die Bevölkerung getäuscht, hätte man das nicht fair von Anfang an klarstellen müssen?

Zinke: Es ist ja richtig, dass es schwierig ist in diesem Landkreis. Gefühlt ist Dorfmark die Mitte, mehr als Fallingbostel.

Begemann: Naja, geografisch auch.

Zinke: Sie müssen weitere Kriterien heranziehen. Da spielt ebenfalls die Topografie eine Rolle.

BZ: Bei diesen raumordnerischen Gesichtspunkten würde aber S7, also Soltau, vorn liegen.

Zinke: Am Ende müssen wir aber eine Entscheidung treffen. Für uns als SPD- Fraktion spielt das Gutachten eine Rolle, aber auch die Lage, die Topografie, die Nähe zur Bahn, die raumordnerische Frage, dass das Risiko in Bad Fallingbostel geringer ist, und weitere Punkte. Man kann die Zahlen interpretieren oder sich eine Zahl heraussuchen, die angreifbar ist, aber insgesamt spricht das Gutachten dafür, dass F4 der bessere Standort ist.

BZ: Sie haben gesagt, Sie betrachten nicht alle elf Zahlen, die aufgelistet sind, sondern die, die für Sie am sinnvollsten sind. Dann ist das doch eine politische Entscheidung.

Zinke: Am Ende ist es natürlich eine politische Entscheidung. Man kann sich auch die Zahlen angucken und manche nicht als richtig bewerten. Unterm Strich aber ist der Standort Fallingbostel für den gesamten Heidekreis der beste Standort.

Begemann: Das ist jetzt aber wirklich Glaube, Liebe, Hoffnung. Man muss eines ganz klar sehen: 2018 haben wir uns alle gefreut, wir bekommen ein neues Klinikum, die Gräben werden zuge- schüttet, und das neue Krankenhaus kommt nach Dorfmark. Alle haben dran geglaubt. Jetzt wird von diesem Konsens abgewichen, in fünf Wochen die Entscheidungen durch die Gremien gepeitscht. Das führt dazu, dass die Argu- mentationslast für den abweichenden Standort F4 bei denjenigen liegt, die für den Standort F4 votieren wollen. Das Gutachten Trinovis soll nichts anderes bewirken, als die Standortentscheidung zu legitimieren. Wenn da Bedenken be- stehen, dass Parameter nicht auf die Besonderheiten unserer Situation zugeschnitten sind, dann wird das Gutachten entwertet. Dann bleibt es bei der politischen Entscheidung, und man kann die Argumentationslast nicht erbringen, die es bedarf, um von der vorher gefassten allgemeinen Auffassung, es wird D4 und nicht F4, abzuweichen. Das ist etwas, was die Glaubwürdigkeit stark beeinträchtigt und beschädigt. Und zudem wird jetzt immer wieder unter der Hand kommuniziert, Dorfmark kam sowieso nie in Betracht. Dann hätte man schon 2018 sagen sollen, die Standortfrage ist völlig offen, und es wird wahrscheinlich nicht Dorfmark. Das hätte uns heute die Situation massiv erleichtert. Letztlich ist das Thema Glaubwürdigkeit durch die Standortentscheidung stark beeinträchtigt worden. Deshalb kann ich die Kollegen meiner Partei gut ver- stehen, die für D4 sind. Ich bin bis Mitte Mai davon ausgegangen, es wird Dorfmark, und ich saß relativ nah dran. Jetzt kommt das Krankenhaus in den Großraum Walsrode. Darauf hätte man auch ohne Standortsimulation kommen können, weil es dort eine Bevölkerungsverdichtung gibt.

BZ: Warum gibt es am Freitag bei der Ab- stimmung bei der SPD einen Fraktionszwang?

Zinke: Den gibt es nicht.

BZ: Sie haben sich doch darauf festgelegt, dass die Fraktion einstimmig für F4 vo- tieren wird, obwohl es gegenteilige Meinungen gibt in der Fraktion.

Zinke: Nachdem wir die Fragen diskutiert haben, gab es eine Probeabstimmung, die nicht einstimmig war. Danach haben wir gefragt, ob die, die nicht für F4 gestimmt haben, mit der Fraktion stimmen würden. Sie haben das bejaht.

BZ: Das ist Fraktionszwang. Es kommt darauf an, wie man den Druck ausübt.

Zinke: Ich kann Ihnen nur sagen, es gab die Entscheidung. Uns ist bewusst, dass wir ein klares Signal nach Hannover senden müssen. Das Signal muss ein- deutig sein. Wir sind im Wettbewerb mit anderen Landkreisen.

BZ: Das Argument ist doch aber ein Druckmittel.

Zinke: Da überschätzen Sie die Möglichkeiten, die man als Vorsitzender der Fraktion hat.

BZ: Wie sehen Sie die Gefahr, dass der Standort F4 beklagt wird? Walsrodes Bürgermeisterin Helma Spöring soll ja zur ersten Sitzung des Beirats bereits mit ihrem Anwalt gekommen sein, um vielleicht Dorfmark zu verhindern. Gilt das gleiche dann nicht auch für Fallingbostel?

Zinke: Das raumordnungsrechtliche Risiko gibt es auch für Fallingbostel, weil es kein Mittelzentrum ist. Es ist aber deutlich geringer, weil Fallingbostel ein Grundzentrum ist.

Begemann: Dorfmark gehört zu Fallingbostel.

Zinke: Aber Fallingbostel ist das Grundzentrum und nicht Dorfmark. Wenn die F-Pläne und die B-Pläne dann dazu in die Beteiligung gehen und von den Mitttelzentren angegangen werden, dann fällt die Argumentation für Fallingbostel wesentlich leichter als für Dorfmark.

BZ: Beklagt kann es werden, weil ein Krankenhaus in ein Mittelzentrum gehört?

Zinke: Dann bleibt es bei beim jetzigen Status. Dann werden wir in zehn Jahren keine Krankenhäuser mehr haben.

BZ: Keine kommunalen.

Zinke: Wenn Sie die Krankenhäuser verkaufen, dann würde man als erstes Soltau schließen. Und wenn ein privater Betreiber einen Standort wählen würde, dann wäre es der wirtschaftlichste. Dann wäre es Fallingbostel.

Begemann: Das sehe ich nicht so. Ein privater Betreiber würde sich anschauen, wo das meiste Bevölkerungspotenzial ist, wo habe ich die besten Chancen. Die Chancen, dass Soltau das werden würde, würde ich deutlich höher einschätzen. Wir sind aber einig, dass wir das Ganze nicht torpedieren wollen.

Anja Trappe