Standort Honerdingen grenzt ein Drittel der Heidjer im Norden aus
Von Bernhard Knapstein
Heidekreis/Honerdingen. Ein zentral gelegener Standort sollte es sein, um das Heidekreis-Klinikum mit allen Abteilungen unter einem Dach zusammenzuführen. Der Kreistag hatte sich 2018 auf diese weit auslegbare Formulierung nach emotionaler Diskussion einigen können. Schon damals war klar – es würde nicht leicht werden, einen gemeinsamen Standort zu finden, der den Nord- und Südkreis zufriedenstellen würde. „Mir ist es ein besonderes Anliegen, dass die Standortauswahl durch den Krankenhausträger in einem offenen und transparenten Verfahren erfolgt, damit der optimale Standort gefunden wird“, wünscht sich die niedersächsische Gesundheitsministerin, Carola Reimann (SPD), auf Anfrage der BZ Transparenz. Nun steht fest, ein vom Heidekreis-Klinikum selbst in Auftrag gegebenes Gutachten des Beratungsunternehmens Trinovis sieht das größte Potenzial – zumindest auf knapp bemessene 15 Jahre – am Standort Honerdingen, der zur Stadt Walsrode gehört. Unklar ist, mit welchen Methoden das Unternehmen zu seinem Ergebnis gekommen ist. Nicht geprüft hat das Unternehmen jedenfalls, welcher Standort für möglichst viele Menschen in vertretbarer Zeit erreichbar ist.
Doch was ist überhaupt eine vertretbare Zeitspane, um einen klinischen Vollversorger zu erreichen? Um für eine bundesweit einheitliche Bewertung zu Fragen der klinischen Versorgung Antworten zu finden, hat der Gesetzgeber den sogenannten Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) etabliert. Tatsächlich hat sich der GBA auch mit der Frage der Erreichbarkeit von Kliniken befasst. Hintergrund dafür war die Frage, ab wann Kliniken mit Zuschlägen nach Paragraf 136c des fünften Sozialgesetzbuches rechnen können, um trotz geringer Patientenzahl ihre Leistungsfähigkeit für die Bevölkerung vorhalten zu können. Es ging der Institution also um Fragen der finanziellen Absicherung. Die am runden Tisch des GBA versammelten Gesundheitsversorger hatten sich in diesem Rahmen im November 2016 darauf verständigt, dass Kliniken binnen 30 Minuten bei normalen Verkehrsaufkommen erreichbar sein sollten. Soweit mehr als 5000 Einwohner einer Region nicht binnen 30 Minuten einen klinischen Vollversorger erreichen, so hat der GBA solche Regionen als „gefährdet“ eingestuft. 30 Minuten zur Erhaltung der Gesundheit. Die 30-Minuten-Regel findet sich auch in weiteren Richtlinien des GBA wieder. So soll ein Vollversorger beispielsweise im Notfall binnen 30 Minuten Fachärzte zur Verfügung stellen können.
BZ hat Dorfmark als idealen Standort für den ganzen Kreis ermittelt
Die Böhme-Zeitung hatte im Rahmen einer größeren Recherche im April 2018 den optimalen Standort für den millionenschweren Neubau im Heidekreis recherchiert. Mittels Fahrtroutenberechnungen im Internet, über das Navigationsgerät im Auto und durch zusätzliche Testfahrten zu verschiedenen Tageszeiten hat die BZ nachweisen können, dass der optimale Standort für einen Neubau in Dorfmark ist. Die Bad Fallingbosteler Ortschaft hat einen eigenen Autobahnanschluss, ist per Bahn erreichbar und liegt, wenn auch auf dem Gebiet der Stadt Fallingbostel, so doch nah an der ehemaligen Kreisgrenze zwischen Nord- und Südkreis. Für die großen, eher zentral gelegenen Städte Walsrode, Soltau und Bad Fallingbostel würde das Klinikum binnen der 30-minütigen Frist erreichbar sein – das war bei den potenziell geeigneten Liegenschaften zwischen Soltau und Bad Fallingbostel absehbar. Kritisch hingegen ist die Situation im Nordosten und am Südrand des Heidekreises.
Während der Recherche hatte sich die Situation der 15 100 Einwohner umfassenden Stadt Munster und der immerhin 13 000 Einwohner starken Samtgemeinde Schwarmstedt als besonders kritisch erwiesen. Doch auch für Teile Schneverdingens, Bispingens und der Samtgemeinde Rethem lohnt sich ein präziser Blick auf die die Entfernungen und die Verkehrslage zu den möglichen Klinikstandorten. Die BZ hat die Recherche nun neu aufgegriffen und den möglichen HKK-Standort Honerdingen in den Fokus genommen. Diesen Standort soll das Trinovis-Gutachten als am geeignetsten herausgefiltert haben. Vorteilhaft an Honerdingen ist, dass die Ortschaft von der Autobahn aus an den hoch frequentierten Stadtzentren Walsrodes und Bad Fallingbostels vorbei erreicht werden kann, auch wenn die Ortschaft ein Stück weit weg vom Autobahnzubringer Bad Fallingbostel liegt. Doch ist dieser Standort wirklich optimal? Abgesehen davon, dass allein schon das Eruieren Honerdingens als möglichen Standort psychologisch schon jetzt jede Menge Geschirr zerschlagen hat (BZ vom 15. Mai 2020), hilft ein Blick auf die genaue Lage und die Anreisedaten weiter. Honerdingen hat, anders als Dorfmark, keinen Bahnanschluss.
Kein Langsamfahren, keine Verletzung der Verkehrsregeln
Die Testfahrten der BZ-Redaktion geben weiteren Aufschluss. Die Verkehrsregeln wurden während der Testfahrten strikt eingehalten, das Langsamfahren aber bewusst vermieden. Für die Autobahnfahrten wurde zudem die verkehrsarme Abendzeit gewählt, um nicht durch einen Stau ein von vornherein negatives Bild zu erzielen. Honerdingen ist, dafür war keine Testfahrt erforderlich, vom gesamten Südkreis aus binnen 30 Minuten erreichbar. Das gilt sogar für Lindwedel als äußerstes Südkap des Kreises, für das die Berechnung der längsten Fahrtzeit 29 Minuten ergab. Allerdings ist Lindwedel auch nach Süden hin abgesichert, denn die Dorfbewohner können beispielsweise binnen 27 Minuten das Krankenhaus in Großburgwedel erreichen.
Im Nordkreis liegen Neuenkirchen und Soltau noch nah genug an Honerdingen. Selbst aus den nördlichen Ortschaften der Stadt Soltau ist man binnen 30 Minuten in der Walsroder Ortschaft. Die Testfahrten haben das bestätigt. An der Bundesstraße 3 liegt erst bei Hillern die Zeitgrenze. Von hier aus, und somit für das gesamte Gebiet der Stadt Schneverdingen, dauert die Anfahrt nach Honerdingen länger als 30 Minuten. Von der Kernstadt aus liegen die Werte sogar zwischen 34 und 38 Minuten. Dem stehen 28 bis 30 Minuten zum Agaplesion-Klinikum in Rotenburg gegenüber. Auch Schneverdingen ist mit seinen knapp 19 000 Einwohnern somit abgesichert. Während der potenzielle Standort Dorfmark das abgelegene Munster mit den meisten seiner Ortschaften berücksichtigt, gilt das für ein Klinikum in Honerdingen nicht mehr. Auch ohne jeglichen landwirtschaftlichen Verkehr – der Weg vom Zentrum der Stadt Munster aus in die Walsroder Ortschaft ist im schnellsten Fall in 33 Minuten zu bewältigen. Die etwa 1090 Einwohner der beiden Ortschaften Oerrel und Trauen am Nordostrand des Kreises erreichen allerdings auch bei einer Dorfmark-Lösung für das HKK schneller das Helios-Klinikum Uelzen, nämlich binnen 34 Minuten, sofern der landwirtschaftliche Verkehr nicht zu arg aufhält.
Bei der Gemeinde Bispingen muss genauer hingesehen werden. Behringen liegt nahe an der Autobahn, die Bewohner sind in 29 Minuten im Winsener Krankenhaus. Die Bewohner des Kernortes Bispingen können es bei schwachem Verkehr in 30 Minuten nach Honerdingen schaffen. Der gemessene Durchschnittswert liegt bei 31 Minuten – der schnellste Wert lag während einer Testfahrt um 21 Uhr bei 28 Minuten. Für die insgesamt 2860 Einwohner der Ortschaften Hützel, Hörpel, Borstel in der Kuhle, Steinbeck/Luhe, Volkwardingen, Haverbeck, Wilsede aber gilt: Honerdingen liegt zu weit entfernt, um die vom GBA vorgegebenen 30 Minuten einhalten zu können. Der Durchschnittswert für die Gemeinde liegt bei 31 Minuten. Während ein Krankenhaus in Dorfmark knapp 9000 Bewohner des Heidekreises nicht rechtzeitig erreichen können, gilt für den Standort Honerdingen, dass 39 600 Heidjer nach GBA-Kriterien in einer gesundheitlich „gefährdeten“ Region leben – und das ausschließlich im Nordkreis. Somit wäre ein sattes Drittel der Kreisbewohner nach den GBA-Kriterien innerhalb des Landkreises „gefährdet“. Honerdingen ist somit auch der Datenlage nach kein optimaler Standort.
Das Gutachten, das die Liegenschaft in der Walsroder Ortschaft präferiert, wurde nicht vom Landkreis beauftragt, sondern vom Klinikum selbst. Bei der Kreisverwaltung kennt man das Gutachten offiziell auch noch nicht. HKK-Geschäftsführer Dr. Achim Rogge soll es beim Gutachten nicht nur um die Entfernung gegangen sein, sondern auch um den medizinischen Bedarf. Wie der Bedarf einer vermeintlich geringeren Patientenzahl höher sein soll als der Bedarf einer höheren Patientenzahl der exakt selben Durchschnittsbevölkerung, bleibt bisher offen. Das Gutachten erteilt zudem nur Auskunft über die nächsten 15 Jahre, nicht aber darüberhinaus. Mit einem Standort Honerdingen muss die Geschäftsführung einplanen, dass bis zu einem Drittel der Heidjer das HKK entfernungsbedingt für sich als klinischen Versorger ausschließen. Im Aufsichtsrat des Klinikums tragen mit Hermann Norden und Sebastian Zinke allerdings zwei Kreispolitiker aus dem Südkreis die Last der Verantwortung. Beide Politiker leben in Walsrode, zu dem auch der präferierte Standort Honerdingen gehört.
Infobox: Höchstes Gremium
Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) ist das höchste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen. Er bestimmt in Form von Richtlinien, welche medizinischen Leistungen die etwa 73 Millionen Versicherten beanspruchen können. Darüber hinaus beschließt der GBA Maßnahmen der Qualitätssicherung für Praxen und Krankenhäuser. Die grundsätzlichen Entscheidungen zum Leistungsanspruch der gesetzlich Krankenversicherten trifft in Deutschland der Gesetzgeber. Mit der Aufgabe, den sogenannten Leistungskatalog der Krankenkassen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu konkretisieren, hat der Gesetzgeber den GBA als höchstes Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung betraut. Das Bundesministerium für Gesundheit nimmt die Rechtsaufsicht wahr. Der GBA wird von den vier großen Selbstverwaltungsorganisationen im Gesundheitssystem gebildet:
Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV),
Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV),
Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und
Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband).
Organisationen, die auf Bundesebene maßgeblich die Interessen von Patientinnen und Patienten und der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen vertreten, besitzen im GBA entsprechend den Vorgaben des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch Mitberatungs- und Antragsrechte, jedoch kein Stimmrecht. Geleitet wird das Plenum des GBA von einem unparteiischen Vorsitzenden. Das Amt übt zurzeit Professor Josef Hecken aus. Der GBA wurde am 1. Januar 2004 durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetz errichtet und übernahm die Aufgaben seiner Vorgängerorganisationen. Dies waren die früheren Bundesausschüsse der Ärzte/Zahnärzte und Krankenkassen, der Ausschuss Krankenhaus sowie die Arbeitsgemeinschaft Koordinierungsausschuss.
Ziel der Regelung „für die Vereinbarung von Sicherstellungszustellungen“ des GBA ist die flächendeckende Versorgung für basisversorgungsrelevante klinische Leistungen, wie es im Paragrafen der Regelung heißt. Maßgeblich für die Sicherungszuschläge sollen „ausschließlich der geringe Versorgungsbedarf und das daraus resultierende Defizit sein. Zu den basisversorgungsrelevanten Leistungseinheiten eines Klinikums gehören laut der Regelung die Fachabteilung Innere Medizin sowie eine chirurgische Fachabteilung, die zur Versorgung von Notfällen der Grund- und Regelversorgung geeignet sind. Im Landkreis Heidekreis geben für die Versorgungssicherheit die Samtgemeinde Schwarmstedt und die Stadt Munster den Ausschlag aus. bz