Messfahrt zur 30-Minuten-Grenze
Heidekreis. Die BZ ist der Frage nachgegangen, ob es stimmt, dass die Notfallversorgung für die durch die Preisgabe der vollwertigen Klinik am Standort Soltau zu Gunsten einer Spezialisierung und Konzentration von Klinikabteilungen gefährdet worden ist. Um diese Frage zu beantworten, hat die Redaktion zunächst geprüft, unter welchen Bedingungen man auch ganz offiziell von einer Gefährdung sprechen kann. Die entsprechende Definition hat der 2016 eingerichtete Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) geliefert.
Im nächsten Zug hat die BZ für jede einzelne Gemeinde im Nordkreis geprüft, welche vollwertigen Notaufnahmen im Heidekreis und in den benachbarten Landkreisen überhaupt in Betracht kommen. Neben dem HKK-Standort Walsrode sind das das Agaplesion-Klinikum in Rotenburg/Wümme, das Krankenhaus Buchholz/Nordheide, das KH Mariahilf in Hamburg-Harburg, das Krankenhaus Winsen, das Städtische Krankenhaus Lüneburg, das Helios-Klinikum Uelzen und das AKH Celle. Dies sind die einzigen Kliniken, die – je nach Startpunkt – für eine Berechnung der Anfahrtsdauer grundsätzlich in Betracht kamen.
Dies hat die BZ dann mit Google-Map für jede Gemeinde berechnet. Da der GBA aber auf kleinere Wohneinheiten abzielt, es also nicht auf die Einheit ganzer Kommunen ankommt, sondern eher auf Wohnviertel, hat die BZ dann auch den Praxistest gemacht. Dabei hat sich die Redaktion darauf konzentriert, die Testfahrten nur für das grundsätzlich am schnellsten zu erreichende Klinikum durchzuführen. Im Falle von Schneverdingen wurde von der Kernstadt die Testfahrt zum Agaplesion-Klinikum in Rotenburg, für den Ortsteil Heber aber zum Krankenhaus Buchholz/Nordheide durchgeführt. Im Falle von Munster ergab eine Zwischenmessung, dass der Ortsteil Oerrel die Bedingungen der GBA-Richtlinien mit der Anfahrt zum Helios-Klinikum in Uelzen erfüllt, die Kernstadt hingegen nicht, obwohl dasselbe Krankenhaus das für Munster nächstgelegene ist.
Im Rahmen der Testfahrten hat der Testfahrer darauf geachtet, alle Verkehrsregeln strikt einzuhalten, aber möglichst nah an das Tempolimit heranzukommen, der GBA spricht in diesem Zusammenhang von „normalen Pkw-Fahrten“. Es ging also nicht darum, wie schnell kann man ohne Rücksicht auf die Straßenverkehrsordnung die nächstgelegene Klinik erreichen. Auf der Autobahn 7 und längeren Landstraßen wurde zudem der Tempomat eingesetzt. Bei knappen Ergebnissen oder großen Abweichungen wurde der Test wiederholt – im Falle von Soltau hat die BZ aufgrund der grenzwertigen Ergebnisse drei Testfahrten durchgeführt darunter eine Dunkelheitsfahrt. Für Wietzendorf genügte eine Testfahrt, und Neuenkirchen liegt so nah an Rotenburg, dass die Versorgungsbedingungen nach den GBA-Richtlinien auch ohne Testfahrt als gesichert angenommen werden konnten. Im Falle von mehreren Testfahrten wurde der Mittelwert, also die Durchschnittsgeschwindigkeit ermittelt.
Soltaus südlicher Bahndamm markiert die Grenze
Neben Google-Map und der Testfahrt wurde auch die Berechnung des Navigationsgeräts (Tom-Tom) berücksichtigt. Bei allen Testfahrten gab es keine größeren Hindernisse – etwa geschlossene Bahnübergänge oder größeren landwirtschaftlichen Verkehr, wie er zu Erntezeiten die Klinikanfahrt erheblich verlängern kann. Letzteres ist vor allem für Soltau relevant, da die Bahnübergänge im Süden der Stadt die Trennlinie zwischen gerade noch akzeptabel und gefährdete Zone, zwischen bis 30 und mehr als 30 Minuten bildet. Im Westen von Soltau liegt die Trennlinie zwischen Leverdingen und Wiedingen. Der Umfang der Recherche beantwortet die Frage: Wie schnell können die Menschen im Altkreis Soltau im Notfall rund um die Uhr eine Klinik mit Vollversorgung – insbesondere mit Chirurgie erreichen und welche ist das? Die Recherche gibt darüber hinaus Aufschluss, welches Gebiet im Heidekreis nach dem von der Bundesregierung beauftragten GBA seit der Auflösung der vollwertigen Klinik in Soltau als „gefährdet“ einzustufen ist. Bk