Kommentar: Das letzte Prozent von Deutschland
Von Bernhard Knapstein
Die klinische Grund- und Regelversorgung ist im Altkreis Soltau nicht mehr flächendeckend gesichert, zumindest das kann als sicher angenommen werden – sofern man die Kriterien des in dieser Frage einzig maßgeblichen Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) berücksichtigt. Zu verantworten haben das der damalige Aufsichtsrat und jene Kreistagsmitglieder, die sich nicht mit aller Vehemenz gegen die Beendigung des HKK-Standortes Soltau als vollwertige Klinik aufgelehnt haben. Soweit HKK-Geschäftsführer Dr. Christof Kugler behauptet, eine Notaufnahme ohne Chirurgie genüge, Walsrode decke den Bedarf ab, wirkt dies wie eine orientierungslose Flucht aus der Realität. Realität ist nämlich, dass die Bürger einen Anspruch auf kurze Wege zur Grund- und Regelversorgung haben – und das rund um die Uhr. Praxis-Kooperationen helfen da also nur bedingt.
Schuldzuweisungen allein führen allerdings nicht weiter, es müssen auch Konsequenzen gezogen werden. Die betroffenen Kommunalpolitiker wissen selbst, welche Anteile sie an der verqueren Ist-Situation haben. Von Rücktritten war bisher noch nichts zu vernehmen, mit Nachdruck eingefordert werden sie von der Opposition aber auch nicht. So wird am Bürger und seiner Gesundheit weiterhin vorbeigewurschtelt. Noch wichtiger erscheint indessen, den betroffenen Bürgern die ihnen zustehende Daseinsvorsorge wieder zurückzugeben, die Grund- und Regelversorgung im 24-Stunden-Dienst erneut einzurichten. Eine Klinik, die das nicht finanziell bewältigen kann, weil die Fallzahlen zu niedrig, die wirtschaftlichen Ergebnisse nicht hoch genug sind, kann Sicherungszuschüsse beantragen. Genau das muss jetzt geschehen. Der Klinikchef will zwar die Sicherungszuschläge, aber wohl nicht für die Grund- und Regelversorgung am Standort Soltau.
Der nördliche Heidekreis braucht aber wieder ein Minimum an Sicherheit, und was das bedeutet, hat der GBA festgelegt. Das ist keineswegs ein Votum gegen die Konzentration von Abteilungen, kein Votum gegen Kooperationen mit anderen Kliniken als Mittel zu mehr Wirtschaftlichkeit, sehr wohl aber eine Stimme für die Wahrung von absoluten Mindeststandards in der Fläche. Wer im ländlichen Raum lebt, nimmt grundsätzlich lange Wege in Kauf. Nach Auffassung der Politik dürfen diese Wege zur nächsten Klinik aber nicht länger als 30 Minuten dauern. Zurzeit gehört der Altkreis Soltau zu dem abgehängten einem Prozent in Deutschland, zum einsamen klinischen Nirgendwo, zur gefährdeten Zone – und das ganz offiziell. Mit welcher Begründung kann man eine solche Situation eigentlich überhaupt noch verteidigen? Am Geld darf die Gesundheit, darf das Leben der Menschen nicht scheitern.