Auf samtenen Pfoten riskant durch das Vergaberecht

Von Andres Wulfes und Bernhard Knapstein

Soltau/Walsrode. Die finanzielle Schieflage beenden, eine „wirtschaftliche Tragfähigkeit“ herstellen – seit Jahren versucht das Heidekreis-Klinikum, dieses Ziel zu erreichen. Dennoch schreibt das Unternehmen allen Umstrukturierungen zum Trotz unverändert rote Zahlen und hängt am Tropf des Kreises. Wie sich das ändern kann, soll Unternehmensberater Roland Berger entwickeln. Doch der Auftrag an die renommierte Münchener Firma verletzt geltendes Vergaberecht: Eine Ausschreibung des Auftrags hat nicht stattgefunden, wie Aufsichtsratsvorsitzender Hermann Norden auf BZ-Anfrage eingeräumt hat. Das wäre angesichts der Dimension – Berger hat bereits jetzt schon mehr als eine Million Euro erhalten – aber zwingend geboten, sagt der Berliner Rechtsanwalt Eike-Heinrich Duhme (45). Er ist Fachanwalt für Vergaberecht. Das Klinikum bestreitet diese Auffassung allerdings. Doch unabhängig von der Rechtslage: Konsequenzen muss das Klinikum wohl nicht fürchten: Sanktionen sieht das Vergaberecht nicht vor, einzig möglich wäre die Klage eines Konkurrenten – und die ist nicht in Sicht.

Bereits im Klinik-Wirtschaftsplan Mitte Februar 2017 wird der Name Berger genannt. Eine detaillierte Analyse der wirtschaftlichen Situation habe stattgefunden, begleitet durch die Unternehmensberatung Roland Berger, heißt es darin. Auch auf verschiedene, allgemein gehaltenen Maßnahmen wird hingewiesen, die nun folgen müssten, allerdings ohne Hinweis auf Berger. Das anschließende Projekt ist dann in viele Einzelpositionen und Einzelrechnungen aufgeteilt. So begründet Aufsichtsratschef Norden auch die fehlende Ausschreibung: Man liege unterhalb der Schwellenwerte, die eine Ausschreibung erfordert hätten. Er lag nach europäischem Vergaberecht für Liefer- und Dienstleistungsaufträge bis Ende 2017 bei 209 000 Euro. Man habe eben erst einen Analyseauftrag vergeben, dann seien Nachfolgeaufträge gefolgt. Warum dieses Verfahren? Alles auf einmal als Paket habe man nicht ausschreiben können. „Wir wussten nicht, was wir benötigen. Das war nicht planbar.“

Jahreszuschuss des Kreises liegt bei bis zu zehn Millionen Euro

Hinzu komme: Man habe schnell handeln müssen, ergänzte Geschäftsführer Dr. Christof Kugler. Aufgrund der erforderlichen Kurzfristigkeit habe er eine Markt-erkundung vorgenommen, der Aufsichtsrat den Auftrag dann im Dezember 2016 beschlossen. Angesichts der wirtschaftlichen Lage und der Defizite sei die Eile nötig gewesen. „Wir mussten rasch handeln, um Schaden von der Gesellschaft abzuwenden“, begründet Kugler. Es habe sich abgezeichnet, dass das Defizit ohne Gegensteuerung deutlich ansteigen würde – derzeit liegt der Jahreszuschuss des Kreises bei bis zu zehn Millionen Euro. Die Beraterkosten machten sich aber letztlich selbst bezahlt: Die Kosten fielen zwar einmalig an, die Effekte seien aber jährlich wiederkehrend positiv. Bereits für 2017 wurden nach Worten Kuglers und Nordens Vorhaben geplant, die das Jahresergebnis um 2,8 Millionen Euro verbessern sollen. Für dieses Jahr will Berger weitere drei Millionen Euro Ergebnisverbesserung realisieren.

Und ohne die Berger-Vorschläge? Dann würde das Defizit des Heidekreis-Klinikums mit seinem Jahresetat von rund 82 Millionen Euro deutlich ansteigen, aufgrund der Schere zwischen Preisentwicklung und Tarifkosten auf der einen und dem Landesbasisfallwert auf der anderen Seite bis 2021 auf rund 15 Millionen Euro. Losgelöst von den wirtschaftlichen Herausforderungen des Klinikums teilt Vergaberechtler Duhme die Rechtsauffassung von Aufsichtsrat und Geschäftsführung aber nicht. „Im Grunde ist die Rechtslage klar“, sagt der Fachanwalt. Die Unternehmensberatung sei als freiberufliche Dienstleistung unterhalb des Netto-Schwellenwerts von 209 000 Euro erst einmal von der Ausschreibungspflicht befreit. „Auch das niedersächsische Landesvergaberecht sieht hier eine Freistellung vor.“

Das Auftragsvolumen liegt aber – selbst wenn man die reine Analysephase und auch die Programmierung der von Roland Bergers Beratern umgesetzten IT-Tools für das verbesserte Controlling (BZ vom 15. November 2017) rausrechnet – deutlich über dem Schwellenwert. „Ein künstliches Runterrechnen ist nicht statthaft, der Wirtschaftsplan des Klinikums deutet zudem das hohe Volumen der erforderlichen Beratungsleistung an“, scheidet der Vergaberechtler eine unerwartete Kostenexplosion zu einer Vergabe unterhalb des Schwellenwerts aus. Zudem könne sich das Klinikum nicht darauf berufen, dass nach Paragraf 130 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) soziale Dienstleistungen einen deutlich höheren Schwellenwert hätten. „Unternehmensberatung gehört eindeutig nicht zu dem geschützten Bereich, hier lag deshalb grundsätzliche eine Ausschreibungspflicht vor“, resümiert Duhme gegenüber der BZ.

Gleichwohl gebe es in der Vergabeverordnung Ausnahmetatbestände. Da sich der Aufsichtsrat defizitbedingt auf die Eilbedürftigkeit berufen habe, könne man zwar an die Ausnahme der zwingenden Dringlichkeit denken, erläutert der Berliner Jurist im Gespräch mit der BZ. „Das Oberlandesgericht Celle hat aber 2009 in einem Urteil dazu sehr hohe Hürden beschrieben, akute Gefahrensituation und höhere Gewalt genannt, Hürden also, die ein unverzügliches Handeln erforderlich machen – finanzielle Schwierigkeiten reichen dazu nicht aus.“ Die BZ hat in der Frage der Eilbedürftigkeit auch die Niedersächsische Vergabekammer mit Sitz in Lüneburg zu Rate gezogen, die kurzerhand auf eine verwaltungsinterne Richtlinie zum „Umgang mit Prüfstellungen bei Verstößen gegen das Vergaberecht“ verweist. Das Dokument bestätigt die Rechtsauffassung Duhmes. „Es wären nur solche Gründe einschlägig, die nicht in Ereignissen und Umständen begründet sind, die der Auftraggeber verursacht hat oder die für ihn vorhersehbar waren“, heißt es bereits auf der ersten Seite der gelisteten Unregelmäßigkeiten.

Die Defizite des HKK beruhen aber auf dem Management und dem bekannten Umstand, dass das Klinikum im ländlichen Raum auf geringe Patientenzahlen zugreifen kann. Geschäftsführung und Aufsichtsrat konnten sich daher gar nicht auf die behauptete Dringlichkeit berufen, um von einer Ausschreibung Abstand zu nehmen. Ein offensichtlichglatter Rechtsbruch. Das Klinikum sei durch die unzulässige Direktvergabe ein sehr hohes Risiko eingegangen, so Vergaberechtler Duhme, und habe sich der Gefahr eines Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer von Schadensersatzansprüchen nicht berücksichtigter Interessenten ausgesetzt. Das Dokument der Vergabekammer nennt dann auch gleich für den Verstoß eine „Empfohlene Korrektur“, also die mögliche Schadensersatzleistung an nicht berücksichtigte Bieter: 100 Prozent des entsprechenden Auftragswertes. Doch damit nicht genug. „Ein solches Vorgehen kann sogar zu dem Verlust von Fördermitteln führen“, ergänzt Duhme.

Ausschreibung verpflichtet nicht, den billigsten Anbieter zu nehmen

Es gibt aber noch einen schlichteren Grund, das Vergaberecht zu nutzen, weiß der Anwalt. „Man vergibt damit die Chance zu einer möglichst sparsamen und wirtschaftlichen Verwendung von Haushaltsmitteln.“ Es verbessert also die eigene Verhandlungsposition gegenüber den möglichen Anbietern. Und selbst wenn Roland Berger ein im Vergleich hohes Angebot abgegeben hätte und nicht unter das geringste Angebot runterzuhandeln gewesen wäre: „Das Vergaberecht verpflichtet keineswegs dazu, nur den billigsten Anbieter zu beauftragen“, räumt Duhme noch mit einem landläufigen Irrtum auf. Seine berechtigten wirtschaftlichen Vorstellungen könne der Auftraggeber bei der Auswahl durchaus zum Ausdruck bringen.

Bei der Berger-Entscheidung war der Preis dann auch tatsächlich nicht entscheidend. Nach Worten Nordens habe man einen Berater gesucht, der umfangreiche wirtschaftliche Erfahrung im Krankenhausbereich und positive Referenzen aufweise, die Region kenne und unmittelbar anfangen könne. Die Region kennen die Berater von Roland Berger durchaus: Im Herbst 2011 hatten die Unternehmensberater einen Auftrag zur „Strategieberatung“ für das Allgemeine Krankenhauses Celle mit den Standorten Celle und Peine erhalten – allerdings nach einer regulären Ausschreibung des Auftrages. Und wie geht es mit Berger und dem Heidekreis-Klinikum weiter? Das werde man im Wirtschaftsplan 2018 entscheiden, sagt Norden. Der Einsatz externer Berater bei Unternehmen und Krankenhäusern sei aber nicht ungewöhnlich. Für solche jährliche Beratertätigkeit rechne man generell mit etwa einem Prozent des Umsatzes. Der Bedarf sei gerade im HKK vorhanden, das mit nur einem Geschäftsführer „schlank aufgestellt“ sei.

Berater werden noch eine Weile das Heidekreis-Klinikum begleiten

Zu schlank vielleicht, wie der stellvertretende Aufsichtsratschef Sebastian Zinke andeutet. „Bevor wir Roland Berger beauftragt haben, haben wir festgestellt, dass ein Geschäftsführer, der die zuvor zwei Geschäftsführer ersetzt hat, neben den laufenden Umstrukturierungsmaßnahmen zusätzliche Anstrengungen zur Kostenabsenkung nicht alleine bewerkstelligen konnte.“ Kugler habe die Inanspruchnahme eines Beraters selbst angestoßen und eine Liste mit möglichen Dienstleistern erstellt. Wie lange die Berater von Roland Berger noch im Klinikum tätig sein werden, kann Zinke, der für die SPD auch ein Mandat im Landtag wahrnimmt, nicht sagen. Das Volumen sei am Anfang immer größer und nehme dann ja auch ab. „Die Berater werden das HKK aber noch eine Weile begleiten“, ist sich der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende des Heidekreis-Klinikums sicher.

Beim Klinikum, das die Rechercheergebnisse vor Druck zur Kenntnis bekommen hat, mag man der rechtlichen Einschätzung des Vergaberechts-Experten nicht folgen. „Aus Sicht des Heidekreis-Klinikums wurde geltendes Vergaberecht nicht verletzt“, entgegnet Klinikchef Kugler nach Rücksprache mit der Aufsichtsratsspitze. Zum Zeitpunkt der Erstellung des Wirtschaftsplans 2017 sei der für 2017 erforderliche Unterstützungsumfang für Gutachten/Beratung nicht absehbar gewesen. Es sei sogar ein geringeres Budget dafür geplant gewesen, als Kosten in den Vorjahren aufgetreten seien. Es sei nicht richtig, vom Gesamtbudget auf ein ausschreibungspflichtiges Volumen zu schließen.

Infobox: „Hilfe zur Selbsthilfe“

Seit gut einem Jahr nimmt das Heidekreis-Klinikum Soltau die Dienste der Unternehmensberatung Roland Berger (München) in Anspruch, zur „Unterstützung der Geschäftsführung“ und für die Entwicklung verschiedener Programme. Das Unternehmen mit den beiden Krankenhäusern Soltau und Walsrode versteht den Berger-Einsatz als „Hilfe zur Selbsthilfe“: Die Berater bringen nach Worten von Klinikchef Dr. Christof Kugler ihre Projektmanagementerfahrung ein, „sie zeigen uns, wie man Projekte effizient bearbeitet“, und schaffen den Gesamtüberblick über alle Projekte. Roland Berger ist nicht der erste externe Ratgeber: Seit Jahren kämpft das Heidekreis-Klinikum mit seinen beiden Krankenhäusern Soltau und Walsrode – zusammen 408 Betten und etwa 1100 Beschäftigte – mit roten Zahlen und sucht den richtigen Weg in die Zukunft. Daraus entstand auch das Konzept, Abteilungen an jeweils einem Standort zu konzentrieren und Schwerpunkte zu bilden.

Die Berger-Berater unterstützen Kugler und entwickeln IT-Tools vom Controlling der Notaufnahme bis zur Steuerung der Speisemengen auf den Stationen, von der Einweisung bis zum Verweildauer-Controlling. Ferner haben die Programmierer von Roland Berger ein Programm zur Erstellung des monatlichen medizinischen Leistungsberichts erstellt. Die Maßnahmen sollen bis 2021 für eine Ergebnisverbesserung von 12,9 Millionen Euro sorgen. Der 1937 in Berlin geborene Unternehmensberater Roland Berger hat sein weltweit aktives Beratungsunternehmen 1967 gegründet. wu

Das Heidekreis-Klinikum hat das Vergaberecht leichtfüssig umgangen – die Risiken waren nicht unerheblich, wie ein Experte für Vergaberecht erläutert. Foto: bk

Das Heidekreis-Klinikum hat das Vergaberecht leichtfüssig umgangen – die Risiken waren nicht unerheblich, wie ein Experte für Vergaberecht erläutert. Foto: bk

Bernhard Knapstein