Der ideale Standort für das vereinigte Klinikum
Von Andres Wulfes und Bernhard Knapstein
Heidekreis. Das war die Überraschung, die keiner erwartet hat, und soll der große Wurf sein: Ein Neubau soll die Misere des Heidekreis-Klinikums beenden. Statt zweier alter, mehr oder minder gut sanierter Krankenhäuser in Soltau und Walsrode soll es eine moderne, zentrale Klinik mit allen Abteilungen unter einem Dach geben. Schon seit der Kreisreform 1977 wabert diese Idee immer wieder durch die Diskussion, zuletzt in den 1990er-Jahren, als beide Kliniken renoviert wurden. Doch ernsthaft verfolgt wurde sie zu keinem Zeitpunkt und politisch durchsetzbar schien sie auch nie zu sein – bis jetzt. „Das ist eine einmalige Chance“, stellt Landrat Manfred Ostermann fest, als er die Pläne erstmals im Februar vorgestellt hat.
So sieht das auch der Kreistag. Mit seinem Grundsatzbeschluss, beim Land planerisch eine Zusammenlegung der beiden Standorte an einem zentralen Standort zu beantragen, hat der Kreistag der Geschäftsführung und dem Aufsichtsrat freie Hand für die nächsten Schritte gegeben, sich mit einem Konzept um die in Aussicht gestellten Fördermittel des Landes zu bewerben. Bis zu 200 Millionen Euro will das kreiseigene Klinikum beantragen. Denn nur wenn diese Mittel auch zugeteilt werden, wird es zu einer Zusammenlegung überhaupt kommen können. Der Beschluss fiel dann trotz heftiger Diskussion bei wenigen Enthaltungen einstimmig. Kurz zuvor hatte Aufsichtsratvorsitzender Hermann Norden den Kreistag noch einmal eingeschworen. „Wir müssen eine hochwertige medizinische Versorgung im Heidekreis stationär und ambulant sichern, für alle Menschen von Lindwedel bis Wintermoor, von Stöcken bis Oerrel, von Nordrebber bis Wilsede.“ Doch ein Haus für den ganzen, den lang gestreckten Landkreis – ist das überhaupt möglich? Immerhin geht es um eine Nord-Süd-Ausdehnung von gut 70 Kilometern. Und wenn ja, wo ist der ideale Standort für das vereinte Heidekreis-Klinikum? Die Böhme-Zeitung hat sich mit dieser Frage auseinandergesetzt.
Nicht mehr als 30 Minuten Fahrt fordert der Bundesausschuss GBA
Der deutsche Gesetzgeber hat den sogenannten Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) ins Leben gerufen und beauftragt, bundeseinheitliche Vorgaben für Kliniken zu beschließen, die dann im Zweifel auch durch Fördermittel, den sogenannten Sicherungszuschlägen eingehalten werden sollen. So ist jetzt geregelt, dass die Erreichbarkeit des nächstgelegenen Krankenhauses als Grund- und Regelversorger innerhalb von 30 Minuten Pkw-Fahrtzeit gewährleistet sein soll. Der neue Standort des Heidekreis-Klinikums müsste demnach so gewählt werden, dass entweder alle Bewohner des Kreises oder so viele wie eben nur möglich binnen 30 Minuten das Klinikum erreichen können. Erreichen mehr als 5000 Menschen das Klinikum nicht in durchschnittlich 30 Minuten, so gilt die betroffene Zone als „versorgungsgefährdet“. Das ist im Heidekreis zurzeit für 48 600 Menschen tatsächlich der Fall, wie die BZ mit ihrer großen Recherche vom 9. Dezember 2017 beweisen konnte.
Ein zweiter Aspekt, der für den Standort wichtig sein kann, ist die künftige Weiterentwicklung des Klinikums. Zurzeit fehlt in der Region entlang der unfallträchtigen Autobahn A7 ein Trauma¿zentrum. Die umliegenden, miteinander vernetzten Trauma¿zentren sind weiter als 30 Kilometer Luftlinie von der A7 zwischen Bispingen und dem Walsroder Autobahndreieck entfernt – eine Weißfläche zwischen den verschiedenen norddeutschen Traumanetzwerken, die das Heidekreis-Klinikum künftig abdecken könnte – auch wenn es dafür noch eine Neurologie und eine höhere Personaldecke aufbauen müsste. Eine vielversprechende Perspektive, liegt das neue Klinikum künftig exakt zwischen den vier Traumanetzwerken Bremen, Hamburg, Hannover und Nordost-Niedersachsen, wie eine Karte auf der Internetseite der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) belegt.
Um den besten Standort, der zentral und schnell erreichbar sein muss, zu finden, muss die A7 als Verkehrs-Aorta des Kreises mit einbezogen werden. Auch Landrat Ostermann hatte bereits angekündigt, dass das neue Klinikum nahe der Autobahn entstehen soll, an einem „verkehrsgünstigen Standort zwischen Soltau und Walsrode“. Ebenso einzubeziehen sind klinische Grund- und Regelversorger außerhalb des Kreises, die unter Umständen schneller erreichbar sind. Nicht zuletzt ist auch die kommunale Bevölkerungsdichte und somit die potenziellen Patienten einzubeziehen. Es liegt auf der Hand, dass der neue Standort im Grenzbereich der beiden Altkreise, irgendwo zwischen Soltau und Fallingbostel liegen sollte, um die genannten Kriterien erfüllen zu können. Damit kommen Gebiete nahe der drei Anschlussstellen Soltau-Süd, Dorfmark und Bad Fallingbostel als potenzielle Standorte ins Spiel.
An der Ausfahrt Soltau-Süd bietet sich als bereits erschlossene Fläche das zu Wiet¿zendorf gehörende Gewerbegebiet Lührsbockel an. Wietzendorfs Bürgermeister Uwe Wrieden hat den Bereich schnell nach Bekanntwerden in die Diskussion gebracht – zunächst nur halbernst gemeint. Doch so ganz abwegig ist die Idee nicht. Der Vorteil: Für eine 20 Hektar umfassende Erweiterung ist das Bebauungsplanverfahren nahezu abgeschlossen. „Ab Sommer ist das Gebiet verfügbar“, betont der Bürgermeister. Bisher ist das allerdings Gewerbegebiet, für ein Krankenhaus müsste das Konzept noch geändert werden, ein entsprechendes Sondergebiet ausgewiesen werden. „Das wäre aber nicht das Problem“, sagt Wrieden. So hat beispielsweise die Umweltuntersuchung des Bereichs bereits stattgefunden. Zudem sind die Flächen verfügbar. Die Gemeinde ist zwar nicht selbst Eigentümerin, hat aber Zugriffsrecht und vermarktet den Bereich.
Probleme durch die benachbarten Gewerbebetriebe sieht Wrieden nicht. Bisher haben sich in Lührsbockel in erster Linie Unternehmen der Logistikbranche angesiedelt, ferner ein Autohof. Emissions¿trächtige Firmen sind durch den Plan ausgeschlossen, und auch die nahen Truppenübungsplätze sieht Wrieden nicht als Problem. Denn wenn es dadurch Lärmbelästigungen gäbe, „hätten sich die Betriebe schon beschwert“. Und die Entsorgung? „Bei der Kläranlage müssten wir neu rechnen, aber eigentlich müsste das reichen. Und die Abwasserrohre reichen aus, aber wir würden sonst auch noch eine neue Schmutzwasserleitung verlegen.“ Keinen konkreten Standort steuert dagegen Bad Fallingbostels Bürgermeisterin Karin Thorey für die Diskussion bei. „Natürlich mache ich mir Gedanken“, sagt sie zurückhaltend. Doch Details lässt sie sich nicht entlocken. „Ich warte ab.“ Letztlich sei das Sache der Klinikverantwortlichen, und erstmal müsse man sehen, ob es Fördergelder gebe. Noch werde die Grundstücksfrage nicht thematisiert: „Es gibt noch keine Gespräche. Die Standortfrage wird geklärt, wenn man weiß, dass Geld fließt.“
Klar ist aber: Die Stadt Bad Fallingbostel hat keine Grundstücke in der Hinterhand. „Das müsste alles käuflich erworben werden“, bestätigt Thorey. Denn mögliche Grundstücke gehörten privaten Eigentümern. Auch die Bauleitplanung müsste komplett neu gestartet werden. Ebenso wie Wrieden sieht auch Thorey für ihre Kommune aber keine Schwierigkeiten durch eventuellen Bundeswehrlärm – „das höre ich in Soltau genauso“ –, und auch in Sachen Kläranlage „ist das alles kein Problem“. Die BZ hat sich daher Standorte an den drei Ausfahrten an der A7 angesehen – und gerade die Erreichbarkeit geprüft. Für alle Messungen hat die BZ den höchsten Durchschnittswert zu Arbeitszeiten um 8.30, 12 und um 17.30 Uhr gebildet. Wenn also kein außergewöhnlicher Vorfall die Fahrt mit dem Pkw behindert, sondern allenfalls eine übliche Verkehrsdichte vorliegt, ist die eher pessimistisch gerechnete Anfahrtszeit gewertet worden. Ausgangspunkt ist der Ortskern der jeweiligen Kommune.
Aus dem Nordkreis ist Am Hanfberg, also der Bereich Lührsbockel, von überallher binnen 30 Minuten erreichbar, abgesehen von der westlichen Kreisrandlage mit Lünzen und Wesseloh. Im Südkreis hingegen liegen Schwarmstedt und Rethem mit jeweils 45 Minuten sowie Ahlden und Grethem mit 35 Minuten Anfahrtszeit und das noch weiter südlich gelegene Lindwedel in der „gefährdeten Zone“. Insgesamt könnten bei dieser Variante rund 19 200 Heidjer nicht innerhalb der 30-Minutenfrist das Klinikum erreichen – immerhin eine Verbesserung zum Standort Walsrode, der von deutlich weniger Menschen erreicht werden kann. Dort wären 48 600 Heidjer „ausgeschlossen“, wie die BZ im Vorjahr nachgewiesen hat. In Bad Fallingbostel selbst käme zwar eine Fläche im Gewerbegebiet an der Auffahrt in Betracht, dagegen spricht aber das hier angesiedelte Produktionsgewerbe. Die potenzielle Emissionsgefahr wie etwa beim von der Firma Kraft ausgehenden Chemiekatastrophenalarm im Oktober 2012 ist für Überlegungen, hier das neue Krankenhaus zu errichten, eher abträglich.
Viele Menschen im Nordkreis würden Bad Fallingbostel meiden
Ein zweiter Standort könnten die an die Heidmarkhalle angrenzenden Agrarflächen sein. Doch die Entfernungen sprechen gegen beide Standorte, gegen die Heidmarkhalle nach Einschätzung Thorey zudem mögliche landwirtschaftliche Emissionen. Mit Schwarmstedt, Munster und Bispingen könnten 34 100 Einwohner die Klinik nicht innerhalb von 30 Minuten erreichen. Und auch die 19 000 Schneverdinger würden wohl die 35 Minuten nach Bad Fallingbostel meiden, sich nach Rotenburg orientieren.
Interessant ist hingegen das zwischen Soltau-Süd und Fallingbostel gelegene Dorfmark – vermittelnd zwischen Nord und Süd und zugleich verkehrstechnisch gut angeschlossen. Dorfmark liegt tatsächlich relativ zentral zwischen den beiden Altkreisen. Hier kämen unmittelbar an der Autobahnauffahrt eine Fläche zwischen Bahn und Böhme, ungenutzte Gewerbeflächen Westendorfer Straße Ecke Rieper Straße oder Agrarflächen am südlichen Ortsausgang Höhe Hof Düshop in Betracht. Für Flächen im Gewerbegebiet sieht Karin Thorey wenig Chancen, „das ist so gut wie verkauft“. Und weiter in Richtung Böhme seien die Flächen zu feucht.
Die Messung allerdings gibt ein eindeutiges Bild. Die BZ hat als Zielmarke den Hof Düshop gewählt, der Nordkreis müsste also noch Dorfmark durchfahren, während der Südkreis, sofern nicht von der Autobahn kommend, noch vor Dorfmark am Ziel wäre. Wie zentral Dorfmark ist, belegen die Zahlen: Aus Munster ist die Anfahrt binnen 27 Minuten zu schaffen, und selbst aus Schwarmstedt ist der Standort laut Google-Map zu den drei verschiedenen Uhrzeiten binnen 29 Minuten zu erreichen.
Bei dieser Lösung blieben im Süden Rethem und Schwarmstedt die ungefähre Scheidegrenze, im Norden und Osten verliefe diese nördlich beziehungsweise östlich der Kernorte von Schneverdingen, Bispingen und Munster. Im Süden könnten die rund 4500 Rethemer (31 Minuten bis Dorfmark) binnen 30 Minuten immerhin das Krankenhaus in Nienburg/Weser erreichen. Im Nordkreis bliebe es dabei, dass die Oerreler, Wesseloher, Wintermoorer und Wilseder andere Kliniken in Rotenburg, Buchholz, Winsen und Uelzen anfahren könnten. Munster gibt in diesem Fall den Ausschlag, da die Stadt mit ihren rund 15 000 Menschen wieder integriert wäre. Länger als 30 Minuten zu einer Klinik bräuchten in diesem Fall 2650 Lindwedeler, 510 Frankenfelder sowie 50 Wilseder – alle anderen Heidjer könnten zeitnah einen Grund- und Regelversorger erreichen. Mit diesen rund 3200 Menschen würde bei dieser Lösung der Heidekreis selbst nach GBA-Kriterien nicht mehr als versorgungsgefährdet gelten. Aus ökonomischer Sicht gewinnt das Klinikum bei dieser Lösung den größtmöglichen Patientenzugang aus dem Kreis.
Infobox: Am 13. Juni fällt die nächste Entscheidung
Nach dem Grundsatzbeschluss des Kreistages liegt nun der Förderantrag beim Sozialministerium in Hannover. Dort werden die Unterlagen zwar geprüft, die Entscheidung, ob das Geld für einen Krankenhausneubau in den Heidekreis fließt, trifft das Land aber nicht allein. Den Krankenhausplan stellt es nämlich unter Beteiligung des Krankenhausplanungsausschusses auf. Dem Gremium gehören Vertreter der kommunalen Spitzenverbände, der Verbände der gesetzlichen Krankenkassen, dem Landesausschuss des Verbandes der privaten Krankenversicherung und der niedersächsischen Krankenhausgesellschaft an. Die nächste Sitzung zum Förderantrag findet am 13. Juni statt. Danach kann die Detailplanung beginnen, unter anderem mit einem Architektenwettbewerb, wie der Neubau aussehen soll. Auch die Frage von Grundstück und Erreichbarkeit spielen dann eine Rolle. Bis Frühjahr 2019 soll der Entwurf stehen. Außerdem wird es darum gehen, auch die rechtlichen Voraussetzungen für einen Bau zu schaffen, also die entsprechende Bauleitplanung vorzunehmen. Flächennutzungsplan und kommunaler Bebauungsplan gehören dazu. Klinikchef Dr. Christof Kugler rechnet mit zwei Jahren für die Planung und drei Jahren Bauzeit. 2024 ist das Ziel. wu