Wahrheiten über Klinik erst nach der Wahl
Von Michael Hertel
Soltau. Nach den Betriebsversammlungen in den Krankenhäusern Soltau und Walsrode ist es ruhig geworden um die Heidekreis-Klinikum GmbH (HKK). Die Hamburger Berater von Lohfert & Lohfert haben der Öffentlichkeit quasi in die Hand versprochen, den spektakulären Sanierungsfall zu lösen, indem das für die gesundheitliche Grundversorgung im Heidekreis wichtige kommunale Klinikunternehmen nach Millionenverlusten wieder auf soliden Kurs gebracht wird. Kann man aber den gemachten Versprechungen trauen? Kann vor allem die Geschäftsführung verlorenes Vertrauen bei Mitarbeitern, Gesellschaftern und Öffentlichkeit zurückgewinnen? Fest steht: Die Ankündigungen der Hamburger Sanierer, die inzwischen das Kommando bei der HKK übernommen haben, sind nichts anderes als schallende Ohrfeigen für die Unternehmensleitung. Ob die Wende beim Krankenhausunternehmen tatsächlich geschafft wird, bleibt ungewiss, zumal sich die „Macher“ rund um den Krankenhausbetrieb nach gewohnter Manier in Schweigen hüllen. Die Situationsanalyse:
Die dramatische finanzielle Situation, in der sich die Heidekreis-Klinikum GmbH spätestens seit dem Verlustjahr 2011 mit einem veröffentlichten Minus von 5,87 Millionen Euro befindet, hat sich mit der Übernahme der Sanierungsverantwortung durch das Hamburger Beratungsunternehmen Lohfert & Lohfert nur scheinbar geändert. Die 1150 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der beiden Kliniken in Soltau und Walsrode wurden auf öffentlichkeitswirksame, für HKK-Verhältnisse ganz ungewohnt mitteilsame Weise – wie anschließend sogar die Presse – „informiert“. Man staunte in den Reihen des zuvor arg verunsicherten Personals nicht schlecht, als der Lohfert-&-Lohfert-Vorstandsvorsitzende Dr. Jens Peukert verkündete, drastische Maßnahmen seien zur Genesung der Krankenhäuser gar nicht nötig: keine betriebsbedingten Kündigungen, keine spektakulären Ausgliederungen, kein Lohnverzicht. Die Kliniken seien – ganz im Gegensatz zu den kursierenden Gerüchten – längst kein Fall für den Insolvenzverwalter.
Frohe Botschaft
Zur Genesung des Unternehmens reiche es aus, die Dinge richtig und konsequent zu erledigen, die einer tüchtigen GmbH-Geschäftsführung obliegen, sprich: besser Patienten akquirieren, mehr Leistungen anbieten und genauer abrechnen. Solches Auftreten sollte bei Krankenhaus-Mitarbeitern wie Zeitungslesern Beruhigung suggerieren: „Es war wohl doch nicht so schlimm“, wird mancher den Auftritten quasi als einer vorweggenommenen „frohen Weihnachtsbotschaft“ entnommen haben. Das, was der Vorstandsvorsitzende Peukert als Maßnahmen eines angeblich „harten“ Sanierungsplans ankündigt, ist allerdings ein Schlag ins Gesicht der Geschäftsführung. Beispiel: Verbesserungen bei den Abrechnungen. Eine professionelle und sorgfältige Rechnungsstellung gegenüber Patienten und Kassen sollte eigentlich in jedem Krankenhaus eine Selbstverständlichkeit sein und zum Rüstzeug eines entsprechend ausgebildeten Kaufmanns gehören. Bei dem Heidekreis-Klinikum war es das bisher offensichtlich nicht.
Beispiel: effizientere Nutzung der Überkapazitäten. Diese Überkapazitäten sind zum größten Teil erst durch die – nach Expertenmeinung völlig verkorkste – Umstrukturierung der Krankenhäuser durch die Geschäftsführung verursacht worden, soweit sie nicht schon vorher latent vorhanden und von der Chefetage entweder nicht erkannt oder aber aus nicht nachvollziehbaren Gründen toleriert worden waren. Entsprechende fachlich begründete Hinweise auf negative Entwicklungen hatte es sowohl aus dem eigenen Hause wie von Seiten der Gutachter zur Genüge gegeben. So prangert denn Peukert jetzt nicht zufällig „Schäden durch politische Einflussnahme“ an. Gemeint ist die völlig unsinnige und dilettantisch durchgeführte „Umstrukturierung“ der beiden Krankenhäuser, die aus dem politischen Raum initiiert worden war. Allerdings können die HKK-Geschäftsführer diese Einflussnahme von außen keinesfalls als Ausrede für eigenes Versagen ins Feld führen, da sie sich selbst von Anfang an an die Spitze dieser Pläne gestellt und diese gegen massive Kritik und Experteneinwendungen innerhalb des Betriebs durchgepeitscht hatten.
Beispiel: Verzicht auf teure Honorarärzte. Faktum ist: Über Jahre hinweg hat es die Geschäftsführung an einer kontinuierlichen und vorausschauenden Personalpolitik fehlen lassen. So wird beispielsweise ein Chefarzt toleriert, dem innerhalb von nur eineinhalb Jahren 27 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen durch Rauswurf oder Kündigung abhandenkamen. In Walsrode entließ die Geschäftsführung den Chefarzt der Chirurgie und beließ die Abteilung anschließend drei Jahre lang ohne Leitung. Das führte zu schweren Einbrüchen bei Patientenzahlen und Erlösen. Löcher in der ärztlichen Versorgung wurden mit einer ständig zunehmenden Anzahl teurer Honorarärzte gestopft, weil die Chefetage offensichtlich nicht in der Lage war, Ärzte auf Dauer an das Unternehmen zu binden.
Beispiel: Erweiterung des Leistungsangebots. Wie dem Inhalt einer Monstranz auf bayerischer Wallfahrt werden seit Monaten dem Linksherzkathetermessplatz (LHK) Wunderheilungskräfte für die HKK nachgesagt. Tatsächlich handelt es sich dabei um das jüngste, besonders düstere Kapitel der Unternehmensleitung. Denn den Bau eines LHK als moderne (allerdings auch mit Millioneninvestitionen verbundene) Einrichtung für die Behandlung von Infarktpatienten fordern HKK-Ärzte seit mehr als einem Jahrzehnt von den Geschäftsführern. Doch erst mit zunehmender finanzieller Schräglage und der damit verbundenen Notwendigkeit zur Umstrukturierung griff die Chefetage diese alte Forderung des medizinischen Fachpersonals auf. Jetzt wäre der Kathetermessplatz allerdings längst kein Alleinstellungsmerkmal für das Klinikum mehr. Viele Häuser im Umkreis verfügen bereits über eine solche Einrichtung. Fachleute zweifeln im Übrigen, dass die Heidekreis-Kliniken heute noch die benötigten rund 1000 Patienten jährlich akquirieren könnten, damit sich eine solche Einrichtung rechnet.
Und auch beim Kapitel LHK wurde wieder gestümpert: Eilends engagierte man in Soltau einen Chefarzt für die Kardiologie, der nun seit September 2011 von der HKK sein Gehalt bezieht, ohne dass zunächst klar war, wann sein zentraler Arbeitsplatz eingerichtet sein würde. Bei der geplanten Investition verrechnete sich die Geschäftsführung – trotz frühzeitiger Warnungen von Fachleuten – mal eben um rund 100 Prozent. Da der stationäre Einbau der Einrichtung noch viele Monate, wenn nicht Jahre dauert, winkt die Chefetage seit längerem mit einem mobilen LHK-Container und macht zeitliche Versprechungen: Im Frühjahr hieß es „Sommer“, im Sommer sagte man „August“, im August versteifte man sich auf „Oktober“, später korrigierte man sich auf „November“. Mal abwarten, was im November mitgeteilt wird.
Grundsätzlich kann man aber froh sein, wenn die Klinik-Geschäftsführung überhaupt etwas von sich gibt. Denn eigentlich ist das nicht ihre Art. Und das Kartell des Schweigens reicht inzwischen weit über die HKK-Chefetage hinaus. Seit Monaten sucht die Böhme-Zeitung vergeblich um einen Pressegesprächstermin bei ihr nach. Viele kritische Fragen hat die Böhme-Zeitung gestellt, ohne je eine Antwort zu bekommen. Diese sind fixiert und liegen sowohl den Geschäftsführern als auch dem Aufsichtsratsvorsitzenden Hermann Norden (CDU) seit Wochen vor. Und auch beim Kliniksanierer Lohfert & Lohfert erntet die Böhme-Zeitung auf wiederholte Anfragen bislang nur ... Schweigen.
Fragen nicht beantwortet
Eigentlich kann sich die Redaktion aber nicht beklagen, denn diejenigen, die es noch eher anginge als Journalisten, die Gesellschafter des Klinikunternehmens nämlich, bekommen offensichtlich auch keine Auskünfte, wenn ihre Fragen kritisch sind. So jedenfalls erging es dem Soltauer Dr. Raimund Sattler, ehemaliger Chefarzt bei der HKK und heutiger Kreispolitiker. Bereits seit Februar warten er und seine Bürgerunion-Fraktion vergeblich auf die Beantwortung seiner an Landrat Manfred Ostermann und den Kreistagsvorsitzenden Friedrich-Otto Ripke (CDU) schriftlich gerichteten Fragen. Über das Kartell des Schweigens berichtete auch der Soltauer Unternehmer Hinrich Röders bei einer Podiumsdiskussion der Böhme-Zeitung am 19. September. Die Geschäftsführung weigert sich bis heute auch, die allen Kreistagsabgeordneten seit Monaten vorliegenden Unterlagen zur Unternehmensbilanz 2011 der Presse auszuhändigen.
Dabei wäre in der derzeitigen Situation, ginge es allein um gesunden Menschenverstand, nach inzwischen jahrelanger Verunsicherung und Desinformation eher Reden und Aufklären angesagt, und auch von einem seriösen Sanierungsplan erwartet man zunächst die folgenden Handlungsschritte: Bilanz ziehen (in umfassendem Sinne), alle Fakten auf den Tisch legen und dann ackern, um verloren gegangenes Vertrauen schnellstens zurückzugewinnen. Doch im Moment steht politisch viel mehr auf dem Spiel, als ein paar Millionen Euro Verlust oder der Weiterbestand eines Krankenhauses, so zynisch das klingen mag: Am 20. Januar ist Niedersachsenwahl. Und vorher, so hört man allenthalben aus der Politik, wird niemand mit unangenehmen Wahrheiten vor das Wahlvolk treten, wenn die Gefahr besteht, dass auch die eigene Partei in den schmutzigen Sog um die HKK hineingezogen werden könnte. Bei diesem Thema fragt man sich allerdings: Welche Kreispartei hat hier eigentlich nicht mitgemacht?
Allein das Beherrschen der Grundrechenarten muss den Beobachter am Wert der aktuellen Versprechungen – Peukert: „Ab 2014 schreibt die HKK wieder schwarze Zahlen“ – zweifeln lassen. Nach der letzten veröffentlichten Bilanz wies der HKK-Konzern zum 31. 12. 2010 ein Eigenkapital von 9,08 Millionen Euro aus. Zuzüglich Ausgleichsposten und Verlustvortrag entfielen 4,6 Millionen Euro auf das gezeichnete Kapital und 5,4 Millionen Euro auf Gewinnrücklagen. Zieht man von den 9,08 Millionen Euro den Verlust des Folgejahres in Höhe von 5,87 Millionen Euro ab, so müsste sich das Eigenkapital zum 31. 12. 2011 theoretisch bereits auf rund 3,2 Millionen Euro reduziert haben. Mit einigen buchhalterischen Tricks hätte man zu diesem Zeitpunkt noch das „Anknabbern“ des gezeichneten Kapitals verhindern können. Aber für den Ausgleich weiterer Verluste im Jahr 2012 gab diese Bilanz sicherlich keinen Spielraum mehr her. Dabei sollen betriebsintern bereits im Herbst 2011 in der Unternehmensleitung Verlustprognosen von „bis zu einer Million Euro monatlich“ für das erste Halbjahr 2012 kursiert haben.
Selbst wenn man konservativ von einer Halbierung dieser befürchteten Verluste ausgeht, ist kaum vorstellbar, wie das Unternehmen die von Peukert vorgezeichnete Durststrecke von mehr als einem Jahr liquide überstehen soll. Da der Landkreis als Gesellschafter grundsätzlich signalisiert hat, kein weiteres Geld bei der HKK nachzuschießen, bliebe eigentlich nur die Aktivierung des größten Vermögenpostens, der Grundstücke, durch Aufnahme von Immobilienkrediten. Immerhin belief sich das Immobilienvermögen des Konzerns am 31.12. 2010 auf rund 50 Millionen Euro. Freilich dürfte, wenn schon nicht im Aufsichtsrat, so doch unter den Gesellschaftern ein Sturm der Entrüstung losbrechen, sollte sich herausstellen, dass tatsächlich frisches Geld auf dem Kapitalmarkt besorgt wurde, ohne zuvor die Eigentümer zu unterrichten.