Mütter meiden Klinik in Walsrode
Von Michael Hertel
Heidekreis. Die Umstrukturierung des Heidekreis-Klinikums (HKK) und die damit verbundene Zerschlagung gut funktionierender und wirtschaftlich arbeitender Abteilungen im Krankenhaus Soltau führt nach Ansicht renommierter Soltauer Ärzte medizinisch und wirtschaftlich in die Sackgasse. Statt sachlich und anhand harter Fakten zu informieren, machen die Verantwortlichen weiter in Optimismus. Das „Tal der Tränen“ sei durchschritten, ließen HKK-Geschäftsleitung und der Aufsichtsratsvorsitzende Hermann Norden kürzlich verkünden. Die Wirklichkeit sieht aber offensichtlich anders aus. So hat beispielsweise die Zerschlagung der Geburtshilfe-Abteilung im Krankenhaus Soltau für das HKK zu einem schweren Einbruch bei der Zahl der Patientinnen geführt: Wurden in den beiden Kliniken Soltau und Walsrode im Jahr 2010 zusammen noch 1225 Babys geboren, so waren es im vergangenen Jahr nur noch 863.
Dabei wurden in Walsrode zuletzt 581 Kinder zur Welt gebracht, in Soltau vor der Schließung zur Jahresmitte 2012 noch einmal 282 Kinder. Dies entspricht einem Einbruch bei den Patientenzahlen um rund 30 Prozent – in zwei Jahren also einem erdrutschartigen Rückgang von fast einem Drittel. Bemerkenswert ist dabei, dass sich Prognosen, nach der Schließung von Gynäkologie und Geburtshilfe in Soltau würden die werdenden Mütter zur Entbindung „automatisch“ nach Walsrode kommen, als pures Wunschdenken erwiesen hat. Tatsächlich ist die Zahl der Geburten in Walsrode (2010: 550; 2011: 540; 2012: 581) mit der Schließung Soltaus nur unwesentlich gestiegen. So musste denn Geschäftsführer Norbert Jurczyk kürzlich einräumen, dass im abgelaufenen Jahr lediglich 73 Mütter aus dem Nordkreis in Walsrode entbunden haben. Das sind, nimmt man die Zahl der Soltauer Geburten aus dem Jahre 2010 als Basis – dem letzten Jahr vor Beginn der Umstrukturierung –, lediglich 12,5 Prozent aller HKK-Geburten. Das bedeutet: Nur jede achte junge Mutter aus dem Nordkreis hat sich im vergangenen Jahr der Gynäkologie in Walsrode anvertraut.
Hausgemachte Probleme
Während die Klinikleitung den drastischen Rückgang bei den Fallzahlen der demografischen Entwicklung zuschreibt, sind sich Kritiker der HKK-Führung sicher, dass vor allem hausgemachte Probleme zum Einbruch führten, sprich: die von der Geschäftsleitung mit Billigung der Mehrheit der Kreistagspolitiker forcierte Umstrukturierung der beiden HKK-Krankenhäuser. Das Ergebnis: Werdende Mütter sind verstärkt auf Kliniken außerhalb des Landkreises ausgewichen, damit einhergehend auch die Fälle gynäkologischer Operationen. Fachleute gehen davon aus, dass sich das Defizit der Walsroder Abteilung für Geburtshilfe und Gynäkologie 2012 weiter erhöht hat. Was die demografische Entwicklung in der Region betrifft, lassen sich die Behauptungen anhand vorliegender Zahlen des Statistischen Landesamtes nicht belegen. Die Geschäftsleitung hatte im Übrigen noch vor wenigen Jahren ein sogenanntes Perinatalzentrum (für medizinische Leistungen rund um die Geburt) öffentlichkeitswirksam zu einer „wichtigen Säule im Zukunftskonzept der HKK“ erklärt.
Wenig Zuspruch hatte nach Informationen aus der Ärzteschaft zuletzt auch die Kinderklinik Walsrode (die Soltauer wurde ja geschlossen). Diese Abteilung beschäftigt zwei Chef- und drei leitende Oberärzte und hat nach Informationen der Böhme-Zeitung 2012 ein Minus von mehr als einer Million Euro erwirtschaftet. Nicht besser sieht es offenbar in der (weiterhin bestehenden) chirgurgischen Abteilung Soltau aus, die bereits 2011 ein Minus von rund 1,6 Millionen Euro bilanzierte. Zur Erinnerung: Im Jahr 2011 schrieb das Gesamtunternehmen HKK nach Angaben der Geschäftsleitung ein Minus von mehr als 5,8 Millionen Euro. Für das abgelaufene Jahr reklamiert die HKK-Führung zwar ein geringeres Minus, ohne dies allerdings bislang mit nachprüfbaren Fakten und Zahlen belegt zu haben. Fachleute schätzen im Gegenteil eine weitere Verschärfung der wirtschaftlichen Situation bei der kreiseigenen Krankenhaus-Gesellschaft.
Bis heute wurden weder die Jahresbilanz 2011 noch der Qualitätsbericht 2012 veröffentlicht. Zu den roten Zahlen trägt auch die Tatsache bei, dass sich ein Krankenhausbetrieb mit gerade einmal 450 Betten zwei Geschäftsführer-Gehälter leistet. Verständlich, dass sich die Verantwortlichen in einer derart prekären Situation an neue und zusätzliche Angebote klammern. Das neue Herzkatheterlabor, dass man Mitte Dezember 2012 zum Laufen gebracht hat, soll nun zum Retter in der Not werden. Allerdings wird die Öffentlichkeit von der Geschäftsleitung und dem Aufsichtsrat mit schwammig-optimistischen Parolen statt nachprüfbaren Fakten versorgt. Und die wenigen bislang von der Geschäftsleitung in diesem Zusammenhang publizierten Angaben widersprechen sich teilweise. So verkündete Geschäftsführer Jurczyk kürzlich, das neue Herzkatheterlabor hätte seit dem Start bis Mitte Januar 2013 bereits „gut 50 Patienten“ in dem für eine monatliche Miete von rund 30.000 Euro auf dem Soltauer Klinikgelände stationierten Labor-Container untersucht. Wörtlich hieß es gar, statt der zuvor prognostizierten zwei Untersuchungen pro Tag habe es tatsächlich „vier bis sechs“ gegeben.
Zahlen passen nicht
Wer aus einer solchen Äußerung jedoch den Schluss zieht, das Soltauer Herzkatheterlabor untersuche im Durchschnitt 5 Patienten pro Arbeitstag, käme bei Adam Riese auf 100 Patienten im Monat und mehr als 1200 im Jahr (bei 250 Arbeitstagen). Das passt rein rechnerisch überhaupt nicht zu den bisher behandelten „gut 50 Patienten“. An anderer Stelle gibt sich die Klinikleitung denn auch wesentlich bescheidener, wenn sie sich „im ersten Jahr 500 Untersuchungen, später 800“ erhofft. Ob 500 oder 800 – mit solchen Patientenzahlen lässt sich dieses Herzkatheterlabor nach Ansicht von Fachleuten ohnehin nicht wirtschaftlich betreiben. Das jedenfalls erklärt der Soltauer Facharzt für Anästhesiologie und Gesundheitsökonom, Prof. Dr. Günter Singbartl, der Böhme-Zeitung: „Sie können davon ausgehen, dass man für ein solches Labor rund 1000 Untersuchungen jährlich benötigt, um wirtschaftlich zu arbeiten. Mit dem derzeitigen Personal in Soltau schaffen Sie im Einschichtbetrieb in der Regel nur zwei, selten drei Untersuchungen pro Tag, mit aufgestocktem Personal mittelfristig vielleicht bis zu vier.
„Aber es bleibt fraglich, ob man so viele Patienten überhaupt bekommt, denn rund um Soltau – in Rotenburg, Lüneburg, Celle, Bad Bevensen – existieren bereits entsprechende Einrichtungen“, sagt Singbartl. „Zudem ist die Zahl der Herzkatheter-Untersuchungen in Niedersachsen in den vergangenen sieben Jahren bereits überproportional um etwa 35 Prozent gestiegen, im Bundesgebiet um rund 24 Prozent. Auf die Einwohner bezogen werden schon heute in Deutschland rund 80 Prozent mehr Linksherzkatheter-Untersuchungen durchgeführt als beispielsweise in der Schweiz. Man darf also, wenn überhaupt, bei uns nur noch mit einem geringen Anstieg der Patientenzahlen in diesem Bereich rechnen.“
Dr. Manfred Müller-Kortkamp, langjähriger Vorsitzender des Ärzte-Berufsverbands Hartmannbund in Soltau, fasst die durch die Umstrukturierung entstandene medizinische Situation der beiden Krankenhäuser zusammen: „Was ist denn in Soltau noch vorhanden? Eine Unfallchirurgie, die sich auf Knochenchirurgie beschränkt, also ohne Weichteilchirurgie, ohne Gallen- und Darmchirurgie; keine Kinderabteilung, keine Gynäkologie, keine Geburtshilfe. Da bleibt nicht mehr viel. In Walsrode dagegen hat man sich durch die Verlegung funktionierender Abteilungen aus Soltau ein Krankenhaus mit ziemlich breitgefächertem Angebot zusammengebastelt, mit – wenn man die Belegabteilungen hinzunimmt – einer inneren Abteilung, mit Gastroenterologie, einer Darm-Tumorstation, für die eigens ein Mann aus Rotenburg abgeworben wurde, einer HNO-Abteilung, der Kinderklinik, Urologie, Augenklinik, Hautklinik ...“
Müller-Kortkamp macht einen „Heideklüngel“ für die „einseitige Umstrukturierung auf Kosten von Soltau“ verantwortlich: „Solange die Politik nicht bereit ist, sich aus den fachlichen Belangen herauszuhalten, bleibt für mich nur die Privatisierung. Man sollte jetzt schnell die Konsequenzen ziehen, die beiden Krankenhäuser voneinander trennen und Soltau privatisieren.“ Singbartl dagegen sähe im Verkauf einer oder beider Kliniken „ein Armutszeugnis für den Träger. Es muss aber endlich eine professionelle Denkungsart bei Politik und Klinikleitung einziehen. Ein Krankenhaus, das keine Gewinne erzielt, kann auf Dauer nicht bestehen, da es nicht in seine Zukunft investieren kann.“
Sinnvolle Lösung
„Das Ideale wäre ein einziger Krankenhaus-Standort in der Mitte des Landkreises mit einem Krankenhaus auf dem medizinischen Niveau der Schwerpunktversorgung“, sagt Singbartl. „Geht man aber von der bestehenden Situation zweier Krankenhäuser aus, wäre eine differenzierte Schwerpunktbildung – nicht wie von der Geschäftsleitung durchgeführt eine selektive Schwerpunktbildung an nur einem Krankenhaus – mit einer ausschließlich operativ ausgerichteten Klinik plus Pädiatrie an einem Standort sowie einer nicht-operativ ausgerichteten Klinik am anderen Standort eine sinnvolle und langfristig tragfähige Lösung gewesen.“ „Dieses seit 2008 vorliegende Konzept aber wurde vom Aufsichtsrat abgelehnt“, bedauert Singbartl. „Das bedeutet: Die Politik weiß nicht, was sie will, und dem Heidekreis-Klinikum fehlt ein Masterplan. Im Endergebnis wird dies dazu führen, dass die Krankenhausgesellschaft mittelfristig in der jetzigen Form nicht mehr fortgeführt werden kann“, schlussfolgert der Mediziner.