Roland Berger kassiert von Heidekreis-Klinikum mehr als eine Million Euro
Von Andres Wulfes, Bernhard Knapstein und Andre Ricci
Soltau/Walsrode. Wenn der Unternehmensberater zweimal klingelt, dann schrillen bei den Mitarbeitern die Alarmglocken. Die Angst vor Stellenabbau, vor der Aufgabe von Betriebszweigen macht sich breit. So ist das auch im kreiseigenen Heidekreis-Klinikum. Denn dort ist erneut ein Unternehmensberater angetreten, um das defizitäre Unternehmen auf Vordermann zu bringen. Die renommierte Beratungsfirma Roland Berger mit Sitz in München ist engagiert und hat bis Ende September mehr als eine Million Euro für Analysen und Projektmanagement erhalten – von einer Klinik, die bereits am Tropf hängt. So kalkuliert der Landkreis für dieses Jahr mit einem Zehn-Millionen-Euro-Zuschuss für die beiden Standorte seines Krankenhauses. Bereits im Wirtschaftsplan Mitte Februar 2017 wird der Name Berger genannt. Eine detaillierte Analyse der wirtschaftlichen Situation habe stattgefunden, begleitet durch die Unternehmensberatung Roland Berger, heißt es darin. Auch auf verschiedene, allgemein gehaltenen Maßnahmen wird hingewiesen, die nun folgen müssten, allerdings ohne Hinweis auf Berger. Angaben, ob es eine Ausschreibung sowohl der Analyse als auch der folgenden Leistungen gegeben hat, fehlen.
Das anschließende Projekt ist dann allerdings in viele Einzelpositionen und Einzelrechnungen aufgeteilt. Und auch die Kreistagsmitglieder sind über den Umfang nach BZ-Informationen nicht im Bilde. Bekannt ist danach zwar, dass Roland Berger zur Unterstützung der Geschäftsführung eingeschaltet wurde – der Umfang, die Einzelmaßnahmen aber nicht. Gut eine halbe Million Euro ist als „Unterstützung der Geschäftsführung“ deklariert, weitere IT-Tools reichen vom Controlling der Notaufnahme bis zur Steuerung der Speisemengen auf den Stationen. Insider bezweifeln allerdings, dass es eine öffentliche Ausschreibung des Gesamtauftrags gegeben hat. Da dränge sich der Verdacht auf, dass man „kalte Füße bekommen hat und versucht, so das gesamte Ausmaß des Auftrags zu verschleiern“. Klinikchef Dr. Christof Kugler lässt Fragen dazu bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Ein funktionierendes Klinik-Informationssystem (KIS) ist aus der modernen Krankenhauswirtschaft nicht wegzudenken. Als mit der letzten Gesundheitsreform die sogenannten Fallpauschalen und die Kostendeckelung eingeführt wurden, hat sich das Gesundheitsmanagement grundlegend geändert. Kennzahlen und Trendanalysen sind alles, die Reduzierung aufgewendeter Ressourcen bei gleichzeitiger Qualitätsverbesserung sind von zentraler Bedeutung.
„Guter Controller schreibt selbst eine Tabelle“ – Frederik Humpert-Vrielink, Freiberuflicher Sachverständiger
Kliniken sind zu Unternehmen auf einem hart umkämpften Markt geworden. Jede Klinik lebt von ihrem Controlling, das die vorhandenen Daten so aufbereitet, dass betriebswirtschaftliche Entscheidungen gefällt werden können. Entsprechenden IT-Programme, sogenannte Tools, sind seit Jahren auf dem Markt oder können zum Teil mit leichten Kniffen selbst erstellt werden, beispielsweise mittels dem Windows-Programm Excel. Eine genaue Betrachtung der von Roland Berger eigens für das Heidekreis-Klinikum entwickelten IT-Tools wirft aber Fragen auf. Die BZ hat die ihr vorliegenden Daten zu den Programmen deshalb Frederik Humpert-Vrielink, einem freiberuflichen Sachverständigen, vorgelegt. Vrielink ist Spezialist für Klinik-IT, hat früher selbst als IT-Leiter einer Klinik gearbeitet und berät heute Krankenhäuser in IT-Fragen. Positiv bewertet der Experte die Einführung eines Einweiser-Controllings. „Mir ist tatsächlich kein Tool bekannt, dass das automatisch macht und die DRG und Einweisermaßnahmen optimiert.“ DRG (Diagnosis Related Groups) meint die Gruppen von Fällen mit gleicher oder ähnlicher Diagnose. Für jede Gruppe legt das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (Inek) einen Preis aufgrund der durchschnittlichen Fall-Kosten fest, den pauschalen Preis für Unterkunft, Verpflegung, Diagnose, Medikation und Therapie. Ein Krankheitsbild, ein Preis also.
Die pauschale Vergütung des Falls ist eine wesentliche Grundlage für Gewinn oder Verlust: Kann die Klinik den Aufenthalt des Patienten im Krankenhaus etwa sinnvoll verkürzen, die Betten schneller wieder mit neuen Fällen belegen, geht sie betriebswirtschaftlich in die Gewinnzone, dauert ein Fall länger, legt sie drauf. Die beiden von den Unternehmensberatern entwickelten Tools für Einweisung und für die Verweildauer sind sinnvolle Instrumente für die Geschäftsführung. Das Verweildauer-Controlling „können moderne KIS-Systeme sicher auch selbst“, so Vrielink. Es gebe entsprechende Werkzeuge anderer Anbieter. Ferner haben die Programmierer von Roland Berger ein Programm zur Erstellung des monatlichen medizinischen Leistungsberichts erstellt. Der Bericht zeigt die Entwicklung der ökonomischen Daten auf und ermöglicht so die Steuerung der Abteilung. Die Einführung des Tools überrascht Vrielink. „Der Leistungsbericht ist eigentlich eine originäre Aufgabe des Medizincontrollings. Wurde das bisher nicht gemacht?“, fragt der Sachverständige entsetzt. Solche Steuerungsprogramme gebe es bereits seit rund zehn Jahren auf dem Markt.
Ein weiteres neues Tool für die Bettenstatistik soll die Kapazitäten analysieren, damit die Bettenausstattung auf den Abteilungen optimiert werden kann. Für den Experten Grund, die Geschäftsführung selbst infrage zu stellen. „Mir ist kein Krankenhaus bekannt, dass diese Statistik nicht aus seinem KIS ziehen kann.“ Was habe die Geschäftsführung denn bisher gemacht? Zwei weitere Tools zur Planung von Personalkosten und zur Steuerung des Personals überzeugen den IT-ler ebenso wenig. „Hierzu schreibt ein guter Controller gern eine Excel-Tabelle selbst, aber nicht die Berater.“ Für die Personalsteuerung gebe es zudem bereits gängige Tools auf dem Markt, wie etwa das Produkt „Clinic Planner“. Standardlösungen gebe es ebenso für das neu entwickelte Tool für Projektcontrolling. Ein solches Produkt sei etwa das Programm CP Corporate Planner. Damit könne man sinnvoll den Plan-Ist-Abgleich von Projekten bewältigen, um so Maßnahmen zur Verbesserung der Ergebnisse zu ergreifen.
Kein Bedarf für den kostspieligen Berater
Roland Berger hat zusätzlich ein Rettungsdienst-Abmeldungstool entwickelt, das die Schließungszeiten für den interdisziplinären Versorgungsnachweis (Ivena) berücksichtigt. Doch auch hier sieht Vrielink keinen Bedarf für den kostspieligen Unternehmensberater Roland Berger. „Die Szenarien für die Ivena-Abmeldung gibt es klarerweise im Alarmplan. Warum schreibt nicht einfach ein Controller eine kurze Excel-Tabelle dafür?“ Die Entwicklung eines Tools für das interne und externe Berichtswesen, das Monatsreporting, findet der KIS-Experte verblüffend. „Warum hat das Heidekreis-Klinikum bisher keines gehabt, und warum macht das Controlling das nicht selbst?“ Ein Krankenhaus ohne Monatsreporting sei als grob fahrlässig zu bezeichnen. Den Gesamtaufwand für Analyse und Programmierung hält der Experte für Klinik-IT zwar für hoch, aber durchaus noch im Rahmen des Üblichen, wenn tatsächlich alles durchleuchtet worden ist. Vom finanziellen Volumen her hätten es auch Standardprodukte für 100 000 bis 200 000 Euro getan. Die Ausgaben wären aktivierfähig in die Bilanz eingegangen und hätten vielleicht auch über die duale Finanzierung vom Land refinanziert werden können.
Generell stelle sich ihm die Frage, so Vrielink, „warum das über Jahre sich so angesammelt hat. Liefen die Zeiten zu gut, um schon vorher sinnvoll umsetzbare andere Maßnahmen einzuführen? Musste das Kind erst in den Brunnen fallen?“ Hat das Heidekreis-Klinikum einen teuren Anbieter genommen, wo günstigere Lösungen sinnvoll und machbar sind? Die BZ hat Klinikchef Kugler nach der Kosten-Nutzen-Perspektive gefragt, doch der lehnte eine Beantwortung bis Redaktionsschluss ab. Auffällig ist auch die schnelle Vergabe des Auftrags an Roland Berger. Laut HKK-Wirtschaftsplan 2017 wurde begleitet durch den Unternehmensberater Roland Berger im Januar und Februar des Jahres die Wirtschaftlichkeitsanalyse durchgeführt. Das Ergebnis warnte vor einer Verschlechterung des Jahresergebnisses. Abgeschlossen war die Analyse da aber offensichtlich noch nicht, denn allein für März rechneten die externen Berater noch einmal 150 000 Euro für die „Unterstützung der Geschäftsführung“ ab, für April weitere 40 000 Euro. Oder waren das bereits einleitende Maßnahmen zur Entwicklung der neuen IT-Anwendungen?
Die Arbeiten der IT-Tools beginnen laut Roland-Berger-Abrechnung im April. Bis August rechnet der Unternehmensberater allerdings weitere knapp 659 000 Euro gegenüber dem Klinikum ab – ein Umstand, der die Frage nach einem ordnungsgemäßen Ausschreibungsverfahren aufwirft. Doch auch hierzu wollte der Klinikchef bis Redaktionsschluss keine Antwort geben. Transparenz sieht anders aus – noch dazu, wenn es um das sensible Thema Heidekreis-Klinikum geht. Grundsätzlich schreiben das Haushaltsgrundsätzegesetz und Paragraf 178 des niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes die öffentliche Ausschreibung von Leistungen für Bund, Land oder Kommunen vor – dies gilt auch für Einrichtungen und „private Unternehmen mit besonderer Staatsnähe“, wie es in einem Leitfaden des niedersächsischen Wirtschaftsministeriums für die Vergabe öffentlicher Aufträge heißt. Der
Schwellenwert liegt bei 200 000 Euro
Das Vergaberecht ist eine komplexe juristische Materie, nach der Vergabeverordnung (VgV) gilt für Liefer- und Dienstleistungsaufträge ein Schwellenwert von 200 000 Euro. Dabei gilt der Grundsatz nach Paragraf 3 VgV, dass von der geschätzten Gesamtvergütung auszugehen ist, der Wert also nicht gesplittet werden darf – im Falle des HKK beispielsweise in die reine Programmierung und in die begleitende Unterstützung bei der Einführung und sinnvollen Nutzung der neuen IT-Tools. Diese Dienstleistung kann nicht sinnvoll getrennt werden, da der Programmierer auch in die IT einweist und etwaige Ungenauigkeiten in der Einführung nachjustieren muss. Zwar gibt es im Vergaberecht auch Ausnahmeregelungen, nach denen auf eine Ausschreibung verzichtet werden kann, etwa für unaufschiebbare Leistungen. Dafür sind indes hohe Hürden angelegt. Die Ausschreibung muss demnach de facto unmöglich sein. Es ist eher unwahrscheinlich, dass eine solche Ausnahmeregelung hier greift. Näheres könnte hierzu außer der Geschäftsführung auch der Aufsichtsrat des HKK sagen, doch ein Gespräch hat bis Redaktionsschluss auch der Aufsichtsratsvorsitzende Hermann Norden abgelehnt.
Und wieso ausgerechnet Berger, nachdem sich bereits andere Unternehmensberater am Heidekreis-Klinikum „versucht“ hatten? Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Roland Berger auch für das AKH Celle tätig war, mit dem das HKK eine Kooperation pflegt. Im Herbst 2011 hatte Berger den Aufrag zur „Strategieberatung“ für das AKH mit den zwei Standorten in Celle und dem Klinikum Peine erhalten. Die Analyse des Istzustands und eventueller Schwachstellen und Fehler auf den wesentlichen Entscheidungsebenen sowie der Stärken gehörte dazu. Die Berater sollten konkrete Änderungs- und Verbesserungsvorschläge machen und Empfehlungen geben zur künftigen Ausrichtung in Medizin und Pflege, zu Personalausstattung und Zusammenarbeit der Arbeitsebenen, zu bestmöglicher Organisation und Management. Auch die Untersuchung der nötigen baulichen Änderungen einschließlich der Frage, ob ein Neubau an einem neuen Standort sinnvoll ist, gehörte zum Auftrag. Außerdem sollte Berger eine Analyse des langfristigen Finanzbedarfs vorlegen – mit verschiedenen Finanzierungsmöglichkeiten und dabei auch die Beteiligung eines externen Partners berücksichtigen, also eines Verkaufs oder Teilverkaufs des Unternehmens, bei dem eine Stiftung der Träger ist. Um diese Aufgabe hatten sich fünf Unternehmensberater beworben.
Abgesang auf das Soltauer Krankenhaus?
Anders als beim Roland-Berger-Auftrag für das Heidekreis-Klinikum lässt sich der Celler Auftrag problemlos im Internet finden. Die Geheimniskrämerei und Intransparenz beim Heidekreis-Klinikum dagegen sorgen immer wieder für Spekulationen über die Zukunft der Häuser – zuletzt bei der BZ-Diskussion zur Landtagswahl. Dort hatte Klaus-Peter Sperling (AfD) mitgeteilt, dass Soltaus Bürgermeister Helge Röbbert gesagt habe, das Soltauer Krankenhaus werde sowieso nur noch drei Jahre existieren. Röbbert weist dies allerdings zurück. Dennoch belegt dieser Umstand und die Tatsache, dass sich immer wieder auch Mitarbeiter des Heidekreis-Klinikums und Bürger an die BZ wenden, wie sensibel das Thema Heidekreis-Klinikum und die Ängste um die berufliche Existenz beziehungsweise die Krankenhausversorgung tatsächlich sind.
Infobox: Wichtige Kürzel
KIS: Das Krankenhaus-Informations-System ist die Gesamtheit der Programme, die die Daten für die Geschäftsführung generiert und aufbereitet verfügbar macht. DRG: Diagnosis Related Groups bezeichnet die Eingruppierung gleichartiger Diagnosefälle, für die sich ein bestimmtes Kostenvolumen zur klinischen Therapierung errechnen lässt. Ivena: Der Interdisziplinäre Versorgungsnachweis ist eine Anwendung im Internet, über die sich Ärzte und Krankenhäuser in Echtzeit über die Kapazitäten in Kliniken und die Zuweisungen der Rettungsdienste in der letzten Stunde informieren können. Die Anwendung führt zudem den gesetzlich vorgegebenen Bettennachweis. Inek: Das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus legt aufgrund der durchschnittlichen Kosten für eine Therapie zu jedem spezifischen Krankheitsbild einen Pauschalpreis fest. Durch die Pauschalvergütung muss nicht jede einzelne Maßnahme abgerechnet werden. Das Ersparnispotenzial für Kliniken liegt dadurch beispielsweise in einer unterdurchschnittlichen Verweildauer des Patienten in der Klinik.