„Ich hätte lieber eine vollständige Kinderklinik“
Soltau. Mit seinem Beschluss für die stationäre Kinderversorgung im Soltauer Heidekreis-Klinikum hat der Kreistag auch die Geburtshilfe gestützt. Denn der Wegfall der ärztlichen Rund-um-die-Uhr-Versorgung hätte auch den Verzicht auf sogenannte Risikoschwangerschaften bedeutet. Darüber sprach BZ-Redaktionsmitglied Andres Wulfes mit Dr. Wolfram Franz, dem Chefarzt von Gynäkologie und Geburtshilfe in Soltau.
BZ: Wie geht es Ihnen nach dem Beschluss des Kreistags?
Franz: Danke, ausgezeichnet, ich bin gesund, mit meiner Familie geht es mir sehr gut, die Arbeit mit den Patienten macht mir unverändert viel Freude.
BZ: Und die Umstrukturierung? Freut Sie die Entscheidung?
Franz: Sie wissen doch, dass ich Ihnen auf diese Frage nicht antworten darf. Bringen Sie mich nicht in Schwierigkeiten.
BZ: Warum dürfen Sie denn nichts sagen?
Franz: Zur Neustrukturierung dürfen sich nur Geschäftführung und Aufsichtsrat äußern.
BZ: Im vergangenen Jahr sind die Geburtenzahlen aufgrund der Verunsicherung zurückgegangen. Wie sieht es aktuell aus – haben Sie genug Patientinnen?
Franz: Oh ja doch. Viele. Die Bevölkerung steht zu uns und scheint sich bei unserer Behandlung wohl zu fühlen. Darum bemühen wir uns alle sehr und freuen uns, wenn unsere Patientinnen das honorieren und wenn wir bei Patientenbefragungen und Befragungen der einweisenden Ärzte wiederholt sehr gut abschneiden.
BZ: Wieviele Geburten gab es denn im Januar?
Franz: Es waren 56 Entbindungen mit 59 Kindern, dreimal Zwillinge.
BZ: Aufs Jahr hochgerechnet, wären das fast 700 Kinder – wesentlich mehr als 2011, wieder so viele wie 2010.
Franz: So schnell würde ich nicht hochrechnen, aber wir sind sehr zufrieden und haben auch weiterhin in der Gynäkologie viel operiert, neben unseren vielen kleinen Operationen täglich auch mindestens eine große Operation, Beckenbodensenkungsoperationen oder Entfernungen der kranken Gebärmutter.
BZ: Und Kaiserschnitte?
Franz: Selbstverständlich, wie bisher, und daran ändert sich nichts.
BZ: Ohne den C-Plus-Beschluss hätten nach Angaben der Geschäftsführung keine Kaiserschnitte mehr in Soltau stattgefunden und die Frauen nach Walsrode verlegt werden müssen.
Franz: Das ist eine typische Ente. Jede Geburtsklinik muss zu jeder Zeit rund um die Uhr in der Lage sein, innerhalb weniger Minuten von einer ursprünglich auf natürlichem Wege geplanten Geburt auf einen Kaiserschnitt umzusteigen. Von vornherein geplante Kaiserschnitte kann jede Geburtsklinik ohnehin durchführen. Die Deutsche Gesellschaft für Perinatale Medizin hat Leitlinien für die strukturellen Voraussetzungen der Geburtenversorgung in Deutschland verfasst, die bezogen auf Geburtskliniken ohne angeschlossene Kinderklinik eindeutig und bindend sind.
BZ: Wie kommt es dann zu der anderen Aussage der Geschäftsführung? Franz: Das entzieht sich meiner Kenntnis. Mit mir war diese Presseerklärung jedenfalls nicht abgestimmt.
BZ: Welche Bedeutung hat die Kinderklinik für eine verantwortungsvolle Geburtshilfe?
Franz: 78 Prozent aller deutschen Geburtskliniken arbeiten ohne angeschlossene Kinderklinik. Wir werden nach der jüngsten Kreistagsentscheidung noch immerhin eine kinderärztliche Versorgung rund um die Uhr behalten, das ist noch besser als bei den 78 Prozent Geburtskliniken ohne Kinderklinik. Natürlich hätte ich lieber eine richtige Kinderklinik behalten, zumal sich diese bisher mit ihren Erlösen finanziell selbst getragen hat und für die Geburtshilfe von großer, auch wirtschaftlicher Bedeutung ist. Bei den Frauen ist sie ein wesentliches Kriterium bei der Wahl der Entbindungsklinik.
BZ: Welche Folgen hat nun die neue Struktur?
Franz: Der Gutachter hat für die geburtshilfliche Abteilung, die ohne angeschlossene Kinderklinik wird arbeiten müssen, eine Erlöseinbuße durch Geburtenverlust von einer Million Euro prognostiziert. Das wird unsere bisher gewinnträchtige Abteilung in wirtschaftliche Schieflage bringen. Aber die Politik hat so entschieden. Glücklicherweise sind nur sehr wenige Neugeborene behandlungsbedürftig krank, weshalb man in der Geburtshilfe selten den Kinderarzt braucht. Für das Gefühl der werdenden Eltern ist es angenehmer, zu wissen, dass für alle Eventualitäten vorgesorgt ist. Heute hat eine Mutter, die einen Kindergeburtstag für Fünfjährige ausrichtet, am liebsten den Notarztwagen für alle Fälle vor der Tür stehen. In Zukunft ohne vollständige Kinderklinik werden wir nur noch Frauen mit abgeschlossener 36. Schwangerschaftswoche entbinden dürfen, keine kinderarztbehandlungsbedürftigen Frühgeburten oder voraussehbar kranke Neugeborene. Frauen unter der 36. Schwangerschaftswoche und solche mit voraussehbar kranken Neugeborenen werden wir, wenn noch möglich, in eine Geburtsklinik mit angeschlossener Kinderklinik weiter verlegen müssen. Das ist auch vernünftig.