Die BZ, die KI und die Angst

Vor sechs Jahren, im Jahr 2018, hat die chinesische Regierung per Dekret entschieden, das Schulfach künstliche Intelligenz einzführen. Probeweise in wenigen 10.000 Klassen. Inzwischen gibt es in China künstliche Intelligenz als Teil des Curriculums bis runter in die Grundschule. Für Sascha Lobo, der diese Entwicklung im vergangenen Herbst den in Berlin versammelten Verlegern und Chefredakteuren Deutschlands vorstellte, ein perfekter Kontrast zum Umgang hierzulande, wo die digitale Transformation vor allem begleitet werde von „einer Emotion, über die zu oft geschrieben und gesprochen wird, ohne sich hier auch persönlich zu stellen“. Diese Emotion sei die Angst.

Für Journalisten hat diese Angst verschieden Facetten. Als die ersten Überlegungen aufkamen, bei der redaktionellen Arbeit mit KI zu experimentieren, kam schnell die Frage auf: Was, wenn wir damit unsere eigene Arbeit überflüssig machen? Und was passiert mit unserem höchsten Gut, der Glaubwürdigkeit, wenn wir unsere Texte von der KI schreiben lassen?

Der Digital-Pionier Lobo appellierte an Deutschlands versammelte Medienleute, die Berührungsängste abzulegen und die Flucht nach vorn zu ergreifen. Aufhalten lasse sich eine neue Technologie ohnehin nicht.

Und somit hat die KI den Journalismus in der Zwickmühle. „Unser größtes Risiko mit KI ist, Vertrauen beim Publikum zu verspielen. Das zweitgrößte, den Anschluss zu verpassen.“ So zitiert das Branchenmagazin „journalist“ in dieser Woche den Datenjournalisten Johannes Schmid-Johannsen. Was also tun?

Bei der Böhme-Zeitung haben wir von Anfang an versucht, beide Risiken im Blick zu behalten, ohne ihretwegen in Angst zu verharren. Die oberste Regel lautet deshalb: Um das Vertrauen der Leser in die Qualität unserer Arbeit nicht zu gefährden, ist es ausgeschlossen, dass die KI das letzte Wort behält. Egal, in welchem Maße und zu welchem Zweck die KI bei uns zum Einsatz kommt, am Ende muss der Mensch das Ergebnis kontrollieren. Unter dieser Voraussetzung sehen wir die KI als Hilfsmittel wie andere vor ihr.

Gewinne und Verluste bei Wahlen rechnen wir schon längst nicht mehr im Kopf, elektronische Rechtschreibprogramme unterstützen uns seit Jahrzehnten bei der Minimierung von Fehlern. Das Sortieren von Namenslisten oder das Umformulieren einer Tagesordnung in einen Meldungsfließtext sind Fleißarbeiten, die Ressourcen binden und mithilfe der KI schneller (und meistens auch mit weniger Fehlern) geleistet werden können. Eine große Hilfe ist das Transkribieren von O-Ton-Interviews. Wo der Reporter früher stundenlang tippte, immer wieder vor- und zurückspulte, um Zitate ja nicht zu verfälschen, liefert die digitale Technik innerhalb von Minuten.

Seit rund anderthalb Jahren testen wir (zuerst immer nur intern): Wo ist die KI sinnvoll und hilfreich? Wo bringt sie uns nicht weiter? Wo ist sie sogar kontraproduktiv, weil fehleranfälliger als der Mensch?

Stand heute haben wir noch keinen Prompt entwickeln können, der uns den kreativen Teil unserer Arbeit (die die meisten von uns im übrigen sehr gerne tun) in Gänze auf Knopfdruck abnehmen könnte. Sprich: Texte, die allein von der KI generiert wurden, erscheinen im redaktionellen Teil der Böhme-Zeitung nicht (vielleicht muss ich schreiben noch nicht). Was die KI macht, sind Angebote. Die Prompts, die in der Testphase wirklich gute Ergebnisse liefern, werden in unser CMS implementiert. Sie liefern dann tatsächlich auf Knopfdruck, nämlich Vorschläge für Überschrift und Anreißer. Für eine kurze Zusammenfassung eines Textes für die Social-Media-Kanäle. Sie kürzen 100-Zeilen-Aufmacher in zwei Sätzen auf seine Kernaussage – eine Grundlage für den Jahresrückblick. All diese Vorschläge haben aber eins gemein: Sie werden nicht einfach ungeprüft ein-zu-eins übernommen. Oft dienen sie als Entwurf, an dem der Mensch dann noch ein wenig feilt.

Hilfreich kann die KI auch in der Analyse sein: Wo hat ein fertiger Text noch Unklarheiten? Wo sind Fragen offen geblieben, wo müssen wir bei diesem Thema noch nachschärfen? Wo gibt es Redundanzen, wo kann man den Text straffen? Und auch: Wo liegen noch Ideen für eine bestimmte Zielgruppe oder ein bestimmtes Format versteckt?

„Nach der großen Anfangseuphorie ist der Alltag mit KI eingekehrt“, heißt es in dem erwähnten „journalist“-Artikel. „Das vorsichtige Formulieren, das zum Journalismus dazu gehört, kann die KI noch nicht.“ Eine Einschätzung, die sich mit unseren Erfahrungen deckt. Eine KI, die die journalistische Arbeit per Knopfdruck erledigt, gibt es offenbar noch nicht. Aber die KI kann uns zeitintensive Fleißarbeit abnehmen, damit wir uns auf die wichtigsten journalistischen Aufgaben konzentrieren können: das Recherchieren und das Nachfragen.

Stefan Grönefeld