„Ihr seid jetzt pleite?“

Die Fragen erreichen die Kolleginnen und Kollegen mit ernster Anteilnahme: „Du Ärmste, du musst jetzt jeden Morgen bis nach Walsrode fahren?“ Oder mitfühlend-wissend: „Du bist jetzt also arbeitslos?“ Oder hart, aber direkt: „Ihr seid jetzt pleite?“ In den Gesprächen in der Redaktion wird seit einiger Zeit immer deutlicher: Es brodelt gewaltig in der Gerüchteküche, nicht nur aber besonders in Soltau. Bevor ich ins Detail gehe, kurz und knapp: Die Antwort auf die eingangs zitierten Fragen ist jeweils „Nein“.

Ende Januar habe ich an dieser Stelle von einer gewaltigen Veränderung berichtet, die die Böhme-Zeitung durchlaufen hat: Der Verlag ist aus dem großen Gebäude an der Harburger Straße 63 ausgezogen, nach einem halben Jahrhundert. Die Hintergründe dieses Auszugs, der vor allem ein Aufbruch war, noch einmal in aller Kürze zusammengefasst: Das Gebäude ist nicht nur optisch, sondern vor allem energetisch in die Jahre gekommen, der Digitalisierungsbeschleuniger Corona hat auch uns gezeigt, dass Wissensarbeit standortunabhängig funktioniert. Seit Langem arbeiten wir nicht nur in der Redaktion zeitlich und räumlich extrem flexibel – was übrigens auch überregional für Interesse gesorgt hat.

„Die digitalen Arbeitsabläufe bei der Böhme-Zeitung sind darauf ausgerichtet, dass die Zeitung auch dezentral erstellt werden kann“, schrieb das Fachmagazin „Journalist“ im Oktober in einem Beitrag zum Thema mobiles Arbeiten. Und: „Auch bei der Böhme-Zeitung in Niedersachsen ist die eigentliche Redaktion bereits entrümpelt worden. (…) Das Gebäude ist jetzt eigentlich viel zu groß für die wenigen anwesenden Mitarbeitenden. Vor Kurzem hat der Verleger angekündigt, ein Mietobjekt zu suchen, in das der Verlag ziehen soll.“ Soweit der „Journalist“.

Wir haben nun Büros in Bispingen und in der Soltauer Kirchstraße – und überall dort, wo wir arbeiten können und möchten. Große Veränderungen werden meistens von gemischten Gefühlen begleitet: Viele Kollegen begrüßen die neuen Freiheiten und den neuen „Spirit“, andere trauern der vertrauten Umgebung hinterher.

Bei dem tiefen Einschnitt der vergangenen Woche gab es keine zwei Sichtweisen, sondern nur einhelliges Bedauern und auch Traurigkeit. Für die Mundschenk Druck- und Vertriebsgesellschaft wurde ein vorläufiges Insolvenzverfahren eingeleitet, wir haben heute darüber berichtet. Dieser Schritt hat eine lange Vorgeschichte, die ich versuche, sehr kurz zusammenzufassen.

Die gesamte Zeitungsbranche befindet sich seit vielen Jahren bekanntlich in einer wirtschaftlich äußerst herausfordernden Situation. Sinkende Auflagen im Druck, Probleme bei der Suche nach einer tragfähigen Monetarisierung der digitalen Produkte. Hinzu kamen zuletzt rasant steigende Kosten in Produktion und Vertrieb, Stichworte sind Energiekrise und Mindestlohn. Ein Weg zu einer zukunftsfähigen Zeitung erscheint uns dabei eine Verschlankung der Strukturen, wo immer das möglich ist, ohne dass es die journalistische Qualität beeinträchtigt. Wenn ein Verlagsgebäude zu groß und zu energieintensiv ist, dann muss man sich von ihm trennen (zumal wenn es aufgrund moderner Arbeitsprozesse ohnehin nicht ausgelastet ist). Und wenn durch Synergien im Druckhaus Walsrode deutlich günstiger produziert werden kann, dann erscheint auch das als ein notwendiger Schritt.

Was das alles für Sie bedeutet, liebe Leserinnen und Leser? Ehrlich gesagt: Gar nichts. Die Böhme-Zeitung wie auch der Heide-Kurier werden von der Mundschenk Nachrichtengesellschaft herausgegeben, die von der Insolvenz ihrer Schwestergesellschaft finanziell überhaupt nicht berührt wird. Anders formuliert: Die Kolleginnen und Kollegen aus der Anzeigen-Abteilung, aus der Grafik und natürlich aus der Redaktion sind weiterhin für Sie im Einsatz und werden es auch in Zukunft sein. Sie können es ja jeden Tag sehen, gedruckt und digital.

Und wenn eine Kollegin morgens tatsächlich mal nach Walsrode aufbricht, um dort zu arbeiten, dann nur, weil dort eine Geschichte wartet, die es zu recherchieren gilt. Nicht, weil sich die Art, wie wir arbeiten, geändert hat.

Stefan Grönefeld