Zeiten ändern sich, Sprache auch?
Übers Gendern wird immer wieder heftig diskutiert.
Drei Anwälte in Schwarz gehen über die Straße. Zwei davon tragen Kleider. Das Bild im Kopf, bei dem aus drei Männern in Anzügen, zwei Männer in Kleidern werden, macht bildlich, warum sich Menschen fürs Gendern einsetzen. Es geht um die Frage, ob das generische Maskulinum wirklich andere Geschlechter mit meint. Und darum, ob, wenn das nicht der Fall ist, sich Sprache verändern sollte.
Das polarisiert. Zuletzt sorgte das Genderverbot in Bayern für Diskussionen. Seit dem 1. April dürfen Bayerns Behörden, Schulen und Hochschulen geschlechtergerechte Sprache nicht mehr verwenden. Auch wenn Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sich besonders leidenschaftlich gegen das Gendern ausspricht, Bayern ist nicht das erste Bundesland, das es verbietet. In Schleswig-Holstein droht Schüler*innen schon seit drei Jahren Punktabzug, wenn sie Genderzeichen wie Sternchen oder Doppelpunkt verwenden.
Genauso ergeht es Schülerinnen in Sachsen und Sachsen-Anhalt. In Hessen dürfen Verwaltungsmitarbeiterinnen seit Ende März ebenfalls nicht mehr gendern. Anders sieht es in Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Bremen, Berlin, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und im Saarland aus, hier ist das Gendern in der Schule ausdrücklich erlaubt.
In den vergangenen Monaten wird die Diskussion ums Gendern zwar besonders hart geführt. Neu ist das Thema aber nicht. Der Begriff „gender“ kommt aus dem Englischen. Hier wird sprachlich zwischen dem biologischen und dem sozialen Geschlecht unterschieden. Während „sex“ das biologische Geschlecht meint, bezieht sich „gender“ auf das soziale Geschlecht. Womit wiederum das gefühlte und gelebte Geschlecht gemeint ist. Das Konzept der geschlechtergerechten oder auch gendergerechten Sprache ist in den späten 1970er-Jahren aus der Feministischen Linguistik entstanden. Gendern als Sprech- und Schreibweise sollte mehr als ein Geschlecht ansprechen.
Gender-Gegnys halten das nicht für erstrebenswert. Vor allem an Schulen befürchten sie einen Gender-Zwang. Die CDU schreibt in ihrem Grundsatzprogramm „Wir sind für eine geschlechtergerechte Sprache, aber gegen Gender-Zwang.“ In Behörden, Schulen, Universitäten und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk solle keine grammatikalisch falsche Gendersprache verwendet werden. Friedrich Merz sprach sogar davon, dass „mit jeder gegenderten Nachrichtensendung ein paar Hundert Stimmen mehr zur AfD gehen“.
Die Aufregung ums Gendern können die Schulen im Heidekreis nicht nachvollziehen. Weder bei Schülys, Lehrys oder Eltys sei Gendern ein Thema, berichten die Schulleitys. „Wir sind uns einig, dass es bildungspolitisch weitaus wichtigere Themen gibt und geben sollte, die es wert sind, in dieser Breite diskutiert zu werden“, sagt Axel Adler, Schulleity der Hauptschule Munster. In Elternbriefen oder öffentlichen Beiträgen achte die Schulleitung darauf, beide Geschlechter anzusprechen, dazu schreibe sie beide Formen aus. „Ich persönlich nutze oft in schriftlicher Sprache das Gendersternchen, weil ich es als eine sympathische Art betrachte, die Geschlechter gleichermaßen zu berücksichtigen“, sagt Iris Wagner, Schulleity der GOBS Bispingen. In mündlicher Form nutze sie eher Formulierungen wie „Schülerinnen und Schüler“. An der KGS Schneverdingen sei Gendern ebenfalls kein Thema, sagt Schulleity Mani Taghi-Khani, nur in Einzelfällen, vorwiegend in der Oberstufe, verwendeten Schülys in Klausuren gendergerechte Sprache. Im aktuellen Deutschabitur sei zudem die Diskussion um gendergerechte Sprache Thema gewesen.
In der argumentieren GegnerInnen des Genderns damit, dass das im Deutschen gängige generische Maskulinum, auch Frauen mit meine. Mit der Frage, ob das bei LeserInnen auch so ankommt, hat sich die Wissenschaft beschäftigt. Evelyn Ferstl, Professorin für Kognitionswissenschaft an der Universität Freiburg, konnte in ihren Studien zeigen, dass ProbandInnen bei der Nennung des generischen Maskulinums sich auch eine männliche Gruppe vorstellten. Änderte man die Bezeichnung in der Aufgabe, in der es galt eine Geschichte zu Ende zu erzählen zum Beispiel zu VegetarierInnen statt Vegetarier, stieg der Frauenanteil in den Erzählungen signifikant an.
Bei einer Studie von Ferstl, bei der die Hirnaktivität und die Augenbewegungen von Teilnehmerinnen und Teilnehmern gemessen wurden, zeigte sich, dass sie an Formulierungen wie „weibliche Chirurgen“ länger hängenblieben, bei „männlichen Chirurgen“ war das nicht der Fall. Diese Irritation des Gehirns ließ sich auch dann feststellen, wenn den Teilnehmerinnen, die explizit versicherten sich mit gemeint zu fühlen, die Texte vorgelegt wurden.
Auch Forscherinnen der Universität Würzburg haben gerade erst im März eine Studie zu der Frage veröffentlicht, ob Menschen anderen Geschlechts beim generischen Maskulinum mitgedacht werden. Die Teilnehmerinnen bekamen erst einen Satz vorgelegt, der eine Gruppe mit dem generischen Maskulinum beschrieb. Danach bekamen sie einen zweiten Satz vorgelegt, der nur eine weibliche oder männliche Untergruppe beschrieb. Sie sollten dabei angeben, ob der zweite Satz eine sinnvolle Ergänzung des ersten war. Auch wenn die Teilnehmerinnen darauf hingewiesen wurden, dass mit dem generischen Maskulinum beide Geschlechter gemeint seien, hielten sie eher die Sätze zur männlichen Untergruppe für richtig.
Wer die männliche Form liest, denkt also an Männer, nicht an Frauen, aber warum ist das problematisch? Sprache bildet nicht nur Realität ab, sie kann sie auch beeinflussen. Befürworter_innen des Genderns argumentieren, dass die ausschließliche Verwendung der männlichen Form, die bestehenden Geschlechterunterschiede in Bezug auf Gleichberechtigung weiter verfestigt. So konnten deutsche und niederländische Forscher_innen zeigen, dass Kinder im Vorschulalter ein sehr viel breiteres, geschlechtsunabhängigeres Interesse an verschiedenen Berufen entwickeln, wenn nicht nur ausschließlich vom Arzt, Ingenieur oder Automechaniker gesprochen wird. Eine ältere Studie der Bundeswehruni Hamburg stellte fest, dass sich Frauen eher nicht auf Stellenausschreibungen bewerben, die im generischen Maskulinum formuliert sind.
Um solche Effekte zu vermeiden, gibt es heute verschiedene Methoden, um mehr Geschlechter anzusprechen. Einige finden sich auch in diesem Text, wie die Verwendung von Genderzeichen wie dem Sternchen oder dem Unterstrich. Die Sonderzeichen stehen für alle, die sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnen. Bei der Beidnennung werden dagegen beide Formen ausgeschrieben und beim generischen Femininum der Spieß umgedreht und ausschließlich weibliche Formen verwendet.
Weiter gehen Methoden wie das „Entgendern nach Phettberg“. Diese Form wird durch Anhängen eines Y an den Wortstamm gebildet, davor kommt „das“ als Artikel. Die Idee hinter den entgenderten Formen: sich noch mehr von der Aufteilung Mann/Frau zu lösen und alle möglichen Geschlechter gleichermaßen anzusprechen. Die Methode nach Phettberg stammt von Thomas Kronschläger, Germanist und Sprachdidaktiker an der Technischen Universität Braunschweig und basiert auf den Kolumnen des Wiener Künstlers Hermes Phettberg, der sie dort schon lange nutzte. Sie könnte ein Problem lösen, mit dem sonst gegen das Gendern argumentiert wird. Gegenderte Formen mit Sonderzeichen störten den Lesefluss und diskriminierten so Menschen mit Beeinträchtigungen.
Das Heidewerk bietet an zehn Standorten im Heidekreis berufliche Bildungs- und Arbeitsangebote für Menschen mit Behinderung. Bei der Kommunikation mit seinen Beschäftigten nutze es leichte Sprache, sagt Ronja Fiedler, Leitung Rehabilitation. „Im Rahmen der leichten Sprache wird unsererseits darauf geachtet, möglichst neutrale Begriffe zu wählen, beispielsweise Werkstattleitung statt Werkstattleiter oder Werkstattleiterin. Dies ist nicht immer möglich, wodurch wir dann die ausgeschriebene Variante verwenden, beispielsweise Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen“, erklärt Fiedler.
Die Lebenshilfe Soltau verweist auf die grundsätzliche Bedeutung von Sprache: „Als Lebenshilfe Soltau stehen wir für eine Gesellschaft für alle. Insofern ist es uns wichtig, dass wir mit unserer Sprache niemanden ausschließen“, sagt Sprecherin Jessica Bleifuß. Dabei sei es eine Kunst, Texte zu formulieren, die einerseits diesem Anspruch genügten, andererseits aber auch die Lesbarkeit nicht beeinträchtigt wird. Für die Lebenshilfe sei die Frage des Genderns nur ein Teil eines größeren Themas. Die Forschungsrichtung der „Disabilitiy Studies“ mache in Anlehnung an die „Gender Studies“ deutlich, wie Sprache Behinderung als Differenzkategorie nutze und dadurch soziale Ausgrenzung erzeuge. Einfache Antworten gebe es auf diese Fragestellungen nicht, aber: „In einem Verbot eines differenzierten und sensiblen Sprachgebrauchs liegt unserer Ansicht nach nicht die Lösung.“