„Sie sind einfach Gold wert“
Wie ein Schiffslotse bei einer Passage durch schwierige Gewässer hilft, unterstützen Erziehungslotsen Familien in schwierigen Zeiten.„Sie sind einfach Gold wert“
Anträge bei Behörden, Gespräche mit Kita oder Schule, die Suche nach pädagogischen Förderangeboten – alles Dinge, die neben dem Familienalltag zu bewältigen, schwerfallen können. Familien, die sich in schwierigen Lebenssituationen befinden, können dafür Unterstützung bekommen. Erziehungslotsen leisten lebenspraktische Hilfe im Familienalltag und unterstützen so Eltern und Kinder. Beim Verein Vier Linden aus Bad Fallingbostel sind zurzeit zwölf Erziehungslotsen im Einsatz.
Betreut werden die ehrenamtlichen Helfer von Antje Wittenberg. Einmal im Monat treffen sich die Erziehungslotsen mit der Sozialpädagogin, um anstehende Aktionen und aktuelle Fälle zu besprechen. Die Hilfe der Lotsen ist kostenlos, erfolgt auf freiwilliger Basis und vertraulich. Hat eine Familie Unterstützungsbedarf, kann sie sich selbst bei dem Verein melden, aber auch Schulen, Kitas oder das Jugendamt würden Familien die Hilfe der Lotsen empfehlen, sagt Wittenberg.
Die Erziehungslotsen gibt es in Bad Fallingbostel seit 2012. Damals gründete sich der Verein Vier Linden in Ergänzung zu den Sozialpädagogischen Hilfen Vier Linden. Erziehungslotsen sind ein Programm des niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung. Sie sollen die Arbeit der regionalen „Netzwerke früher Hilfen“ ergänzen, die sich an Eltern ab Beginn der Schwangerschaft bis in die ersten Lebensjahre des Kindes richten.
Erziehungslotsen leisten schnelle, unbürokratische Hilfe
Meldet eine Familie Unterstützungsbedarf an, gibt es ein Erstgespräch mit dem potenziellen Lotsen, Wittenberg und der vermittelnden Institution. Dabei geht es darum, ob es zwischen dem Lotsen und der Familie passt und wo genau der Unterstützungsbedarf besteht. Davon hängt auch ab, wie lange ein Erziehungslotse eine Familie unterstützt. Der Einsatz kann eine einmalige Begleitung zu einem Termin, zum Beispiel bei einer Behörde oder eine längerfristige Unterstützung, wie eine Hausaufgabenhilfe sein. Der große Vorteil der Erziehungslotsen: „Wir können – sofern wir Kapazitäten haben – schnelle und unbürokratische Hilfe leisten. Ohne komplizierte Anträge und mit zeitnahen Terminen“, sagt Wittenberg. Zudem ist die Hilfe der Lotsen „absolut niedrigschwellig“ und zielgerichtet. „Erziehungslotsen unterstützen da, wo Familien Unterstützung brauchen“, sagt die Sozialpädagogin.
Wer Erziehungslotse werden möchte, braucht ein einwandfreies polizeiliches Führungszeugnis. Weitere formale Voraussetzung gibt es nicht. Auch eine sozialpädagogische Vorbildung ist nicht gefordert. Das Alter ist ebenfalls kein Hindernisgrund: „Unsere jüngste Erziehungslotsin ist 15 Jahre alt und gibt im Büro des Vereins Hausaufgabenhilfe, unser Ältester hat im vergangenen Jahr mit 80 Jahren aufgehört“, sagt Wittenberg. Bevor neue Erziehungslotsen eingesetzt werden, bekommen sie eine Schulung. Der Einstieg in den Kurs ist jederzeit möglich. Zu den Themen, die behandelt werden, gehören zum Beispiel interkulturelle Kompetenz, Rechte und Pflichten als Lotse, Angebote für Familien vor Ort und Unterstützung beim Lernen und Spielen. Einige sogenannte Soft Skills sollten Interessierte mitbringen: „Geduld und starke Nerven“, sind hilfreich, sagt Erziehungslotsin Margret Schulz. „Man muss Menschen mögen“, ergänzt ihr Kollege Zygmont Wisniewski.
Wie lange er schon bei den Erziehungslotsen ist, weiß er nicht mehr genau, mindestens aber acht Jahre. Dass er Polnisch spricht, hilft ihm bei seiner Arbeit, zum Beispiel, wenn es ums Übersetzen bei Schulgesprächen geht. Erziehungslotsen, die wie Wisniewski selbst einen Migrationshintergrund haben, haben eine besondere Rolle, sagt Wittenberg: „Sie sind auch Kulturvermittler.“ Das sei aber keine Einbahnstraße, sagt Wisniewski: „Man lernt gegenseitig voneinander. Es ist wichtig, dass man die Menschen ernst nimmt, nur so kann man Vertrauen aufbauen.“
Davide Frano ist seit vier Jahren Erziehungslotse. Er engagiert sich hauptsächlich in der Hausaufgabenhilfe. „Begleitet man eine Familie, gibt es natürlich auch Höhen und Tiefen, aber über die Zeit entsteht Vertrauen“, sagt Frano, „Es ist schön zu sehen, dass die Familien eine Entwicklung machen. Die Begleitung ist eine Win-win-Situation für beide Seiten – die Familien geben viel zurück.“
Sultan Yöyen kennt die Arbeit der Erziehungslotsen von beiden Seiten. Erst hat sie Unterstützung von den Lotsen bekommen, heute engagiert sie sich selbst als Lotsin. „Die Unterstützung hat mir sehr geholfen, ich wusste nicht, wie ich das zurückgeben kann“, sagt sie. Das hat sie motiviert, selbst Erziehungslotsin zu werden. „Die Erfolgserlebnisse der Familien motivieren mich immer wieder.“
Der Verein sei immer auf der Suche nach weiteren Lotsen, sagt Wittenberg, auch über die ursprüngliche Projektregion, der Vogelparkregion, hinaus. Schon jetzt sei die Nachfrage aufseiten der Familien größer als das Angebot an Erziehungslotsen. Ohne das Team aus Ehrenamtlichen ginge nichts: „Wir freuen uns über alle Lotsen. Sie sind sympathisch, emphatisch und engagiert – sie sind einfach Gold wert“, sagt Wittenberg.