Von Visionen und kleinen Schritten
Das Interesse der Soltauer an der BZ-Podiumsdikussion mit den Soltauer Bürgermeister-Kandidaten ist groß. Foto: Katterwe
Seit der Posten des hauptamtlichen Bürgermeisters in Niedersachsen per Direktwahl besetzt wird, stehen Parteien, potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten sowie auch die Wählerschaft vor einer sehr grundsätzlichen Frage: Nach was für einer Person sucht man überhaupt? Nach einem möglichst versierten Verwaltungsexperten? Einem profilierten Lokalpolitiker? Oder traut man das Amt auch einem Quereinsteiger zu, der bislang wenig mit Politik und Verwaltung zu tun hatte und vielleicht gerade deshalb Schwung und unkonventionelle Ideen ins Rathaus tragen würde?
Oft bleiben diese Frage für die Wählerinnen und Wähler eher theoretischer Natur, weil sich die in der Kommune tonangebenden Parteien im Vorfeld auf eine aus ihrer Sicht geeignete Person verständigen, die dann mit viel Rückenwind als Favorit und nicht selten sogar einziger aussichtsreicher Kandidat ins Rennen geht. Bei der vorgezogenen Bürgermeisterwahl in der Stadt Soltau läuft es in diesem Jahr komplett anders. Die die Stadtpolitik prägenden Parteien SPD, CDU und Bürgerunion, die mit der FDP eine Gruppe bildet, haben jeweils einen eigenen Kandidaten, und neben ihnen bewerben sich noch vier weitere Männer um den Chefsessel im Rathaus. Keiner von ihnen scheint sich als reiner Zählkandidat zu verstehen, jeder seine Kandidatur ernst zu nehmen.
Das zeigte sich bei der Podiumsdiskussion der Böhme-Zeitung am Dienstagabend in der voll besetzten Alten Reithalle in Soltau, moderiert von BZ-Reporterin Anja Trappe und Stefan Grönefeld, dem Leiter des BZ-Redaktionsteams. Energisch warben die Kandidaten um Stimmen für sich bei der Bürgermeisterwahl am 23. Februar. Sollte keiner der Kandidaten im ersten Durchgang die absolute Mehrheit der Stimmen erringen, muss eine Stichwahl am 9. März final darüber entscheiden, wer von den beiden Bestplatzierten der Nachfolger des zurückgetretenen Soltauer Bürgermeisters Olaf Klang wird.
Kandidaten mit Kompetenz und Herzblut
Die Podiumsveranstaltung bot erstmals in diesem Wahlkampf die Gelegenheit, alle sieben Kandidaten am Stück zu begutachten und miteinander in Interaktion zu erleben. Insbesondere Christdemokrat Volker Wrigge, Schulleiter des Soltauer Gymnasiums, Stadtratsvorsitzender und Kreistagsabgeordneter, sowie Birhat Kaçar, Chef der Soltauer Stadtratsfraktion seiner Partei, ebenfalls Mitglied des Kreistags und bis 2024 stellvertretender Landesvorsitzender der Jusos, sind seit langem bekannte Gesichter der Lokalpolitik. Auch Stadtratsmitglied und Bürgermeisterkandidat Karsten Brockmann dürfte vielen lokalpolitisch interessierten Soltauern durch sein langjähriges Engagement in der Bürgerunion ein Begriff sein, ebenso wie Thomas Beckmann, der drei Jahre für die CDU im Stadtrat saß, Rat und Partei aber inzwischen verlassen hat und betont, bewusst als Parteiloser für das Bürgermeisteramt zu kandidieren.
Keine Parteimitgliedschaft, aber durchaus Leitungs- und Verwaltungserfahrung legt Kandidat Olaf Ahrens in die Waagschale. Er arbeitete einst bei der Kreisverwaltung und steht seit nunmehr 15 Jahren dem Fachbereich Verwaltung und EDV der Alfred-Toepfer-Akademie für Naturschutz vor. Mit 58 Jahren möchte er sich noch einmal einer neuen beruflichen Herausforderung stellen. Kandidat Henrich Seißelberg trat öffentlich bislang vor allem durch sein ehrenamtliches Engagement in verschiedenen Vereinen in Erscheinung, vor allem im MTV Soltau. Dort war auch der siebte Kandidat, Panzer-Fahrlehrer Michael Ziemann, lange Zeit aktiv und stieg 2013 mit seiner Mannschaft in die Landesliga auf, wie er dem Soltauer Publikum verschmitzt verriet, „vielleicht erinnert sich ja noch jemand“.
Abgesehen davon, dass ausschließlich Männer um den Chefposten im Rathaus buhlen, was die Böhme-Zeitung bereits kritisch hinterfragte (BZ vom 11. Januar: „Das Rennen der sieben Männer“), bietet sich ein breites Bewerberfeld aus fachlich qualifizierten Kandidaten und solchen, die sich in ihr neues Führungsamt wohl etwas länger einarbeiten müssten. Insbesondere Ziemann kokettierte ein wenig damit, etwa als er in seinem Schlusswort bemerkte, noch weniger Einblick in Verwaltungsabläufe zu besitzen als die meisten seiner Konkurrenten, dafür aber „das Herz an der richtigen Stelle“. Vor inhaltlichen Festlegungen würde er als Bürgermeister stets das Gespräch mit von der anstehenden Entscheidung betroffenen Bürgern suchen, versprach er in der Alten Reithalle eine enge Rückkopplung und präsentierte sich als bodenständiger Familienvater, der sich über manches in der Stadt ärgere.
Ein Tunnel und kleinere Lösungen
Nicht nur im Stil, auch bei den Inhalten zeigten sich klare Unterschiede zwischen den Kandidaten, zum Beispiel in der Verkehrspolitik. Dort seien die Möglichkeiten der Stadtpolitik begrenzt, hielt Moderatorin Trappe den sieben Männern entgegen, von denen einige das Thema in ihren Kampagnen stark bespielen, weil es viele Bürger täglich betrifft und bei der Wahl eine durchaus erhebliche Rolle spielen könnte. Einigkeit herrschte darüber, dass die Stadt, auch wegen der Autobahnsanierung, unter Staus und generell zu starkem Autoverkehr leidet, zudem unter unsicheren Radwegen und einem leistungsschwachen ÖPNV. Ein Verkehrstunnel am Bahnübergang Walsroder Straße steht schon lange auf der Wunschliste vieler gestresster Soltauer Autofahrer. Doch die Bahn winkt bislang ab, und die Skepsis, ob sich an dieser Stelle noch einmal etwas bewegen wird, wächst. Kaçar mag sich von der Tunnel-Vision dennoch nicht verabschieden und kontert dem von Wrigge vorgetragenem Einwand hoher Baukosten mit dem Hinweis darauf, dass Soltau ja nur einen kleinen Teil davon zu tragen hätte. Beckmann nennt den Tunnel ein leeres Wahlversprechen, und auch Ziemann glaubt „nach Jahrzehnten“ nicht mehr daran.
Interessant sind die möglichen Alternativen zu einer vermeintlich idealen, aber vorerst wenig realistisch erscheinenden Tunnellösung. Diesbezüglich hatten die Kandidaten einiges im Köcher, was weniger spektakulär als eine Untertunnelung daherkam. So warb Wrigge für eine Umgehungsstraße, für deren Realisierung letztlich nur noch 300 Meter fehlen würden, die sich allerdings auf Wietzendorfer Grund befinden und teils einem Landwirt, teils der Bundeswehr gehören. Diese Hürden könnte man aber nehmen, befand Wrigge, „an einen Tunnel glaube ich nicht“. Auch Seißelberg bezeichnete den Tunnel zwar als „tolle Idee“, ließ aber durchblicken, als Bürgermeister erst einmal an anderen, weniger festen Stellschrauben drehen zu wollen. „Die Schließzeiten an der Bahnschranke müssen optimiert werden“, erklärte er mit Blick auf die Bahn.
Außerdem müsse der Fahrradverkehr in der Stadt stärker in den Blick genommen werden, forderten sowohl Seißelberg als auch Beckmann. „Den müssen wir dringend sicherer machen, das ist mir ein Herzensanliegen“, zeigte Seißelberg einen Punkt auf, für den er sich als Verwaltungschef besonders in Zeug legen möchte. Auch Wrigge plädierte für mehr Fahrradverkehr und brachte in diesem Zusammenhang die Schaffung moderner Fahrradstraßen ins Spiel. Sanierung und Ausbau bestehender Fahrradwege seien nicht effizient, das dauere zu lange und sei zu teuer. Die Fahrradstrecken zwischen den Ortschaften und dem Kernort nahm auch Ziemann ins Visier und beklagte mangelnde Sicherheit, insbesondere für Kinder und Jugendliche. Man sollte die Wege im Winter beleuchten, so sein Vorschlag für eine zeitnahe Verbesserung der Situation.
Traum von einem Kino in der Stadt
Die Attraktivität Soltaus zu bewahren und weiter zu stärken schimmerte bei allen Kandidaten als Leitmotiv durch, wobei immer wieder die beschränkten Möglichkeiten und leeren Kassen der Stadt Erwähnung fanden. Vieles, was wünschenswert erscheine, sei wirtschaftlich nicht darstellbar, etwa ein kommunal betriebenes Freibad. „Sowas wollen immer alle haben, aber wenn es da ist, geht keiner hin“, bemerkte Kaçar, während Wrigge an dieser Stelle auf interkommunale Zusammenarbeit setzte, also die Förderung der Nutzung von Bädern in Nachbarkommunen. Neue Badeseen auszuweisen fanden alle Kandidaten im Prinzip sinnvoll, doch da käme es stark auf die Pläne der privaten Gewässereigentümer an. Einen mutigen Vorstoß wagte Brockmann, der sich zwar nicht für ein kommunales Freibad, wohl aber klar für ein Kino in der Stadt aussprach. „Das ist wirtschaftlich darstellbar“, erklärte es und entwarf die Vision eines Programmkinos in ehrenamtlicher Trägerschaft oder auch eines größeren, voll kommerziell betriebenen Kinos. Skepsis wischte er beiseite: „Ich möchte Gründe dafür finden, nicht nur dagegen.“
Manche Positionen, die an diesem Abend vorgetragen wurden, waren bereits bekannt, etwa die große Sympathie der Kandidaten für eine Neuauflage des „Soltauer Sommers“ und für mehr Angebote für junge Menschen, wobei an diesem Punkt vieles im Detail strittig ist, zum Beispiel der Standort des von Jugendlichen gewünschten und inzwischen in Arbeit befindlichen Skateparks. Zu abgelegen, weit weg vom Stadtzentrum, monierte Beckmann, er lasse seine Kinder dort nicht skaten. Dem widersprach Kaçar energisch: „Die Jugendlichen selbst haben sich diesen Standort gewünscht.“
Buh-Rufe und Applaus beim Reizthema AfD
Es sind politisch aufgeheizte Zeiten, und die zeitgleich mit der lokalen Wahl stattfindende Bundestagswahl fand an einer Stelle dann doch kurz ihren Weg in die Alte Reithalle. Eine Publikumsfrage an die parteilosen Kandidaten lautete nämlich, ob man sich darauf verlassen könne, dass sie auch als Bürgermeister parteilos blieben – und nicht vielleicht plötzlich in die AfD eintreten, wie es im brandenburgischen Jüterbog vergangenes Jahr tatsächlich in einem Fall geschehen ist. Die Frage wäre eigentlich schnell zu beantworten gewesen, denn keiner der Soltauer Kandidaten plant offenbar für den Fall seiner Wahl ein ähnlich fragwürdiges Manöver. Die Kandidaten nutzten die ungewöhnliche Frage aber dazu, sich generell zu positionieren und ließen dabei unterschiedliche Bewertungen der Rechtsaußenpartei erkennen. Ahrens gab entschieden zu Protokoll, dass die teilweise rechtsextreme AfD seiner Meinung nach verboten gehört, „für einen solchen Antrag liegt genug vor“. Mit dieser klaren Aussage erntete er Applaus, und es war zu erwarten, dass seine Kontrahenten nachziehen werden. Doch es kam anders. Beckmann erklärte, gute Anträge als Verwaltungschef auch dann unterstützen zu wollen, wenn sie von der AfD kommen. Das erschien manchen im Saal dann doch etwas unterkomplex. Es war der einzige Moment an diesem Abend, an dem es Buh-Rufe gab. Auf der anderen Seite aber auch Applaus. Uneinigkeit, auf dem Podium wie im Publikum.
Wer bei diesem insgesamt am besten abschnitt, ließ sich an diesem Abend schwer ausmachen. Alle Kandidaten erhielten Applaus für einzelne Aussagen. Kaum einer der überaus zahlreichen Besucher verließ die zweieinhalbstündige Veranstaltung vor dem regulären Ende. Einige waren aus Sicherheitsgründen gar nicht mehr in den vollen Saal gelassen worden, manche im Vorfeld an die Böhme-Zeitung geschickte Frage an die Kandidaten musste aufgrund der großen Menge an Fragen unbeantwortet bleiben. Das Interesse an der Bürgermeisterwahl ist groß, die inhaltlichen wie persönlichen Profile der einzelnen Bewerber um das höchste Amt der Stadt sind inzwischen gut erkennbar. Der Wahlsonntag kann kommen.