„Das macht die Kollegen irre“

Mehr fachliche Praxis und weniger Beschränkungen bei der EU-Agrarpolitik wünschen sich die Vertreter des Landvolk-Kreisverbandes.

Es ist erst einige Wochen her, dass Landwirte mit Treckerblockaden und öffentlichen Kundgebungen ihren Zorn über die Agrarpolitik zum Ausdruck brachten. Dabei ging es nur vordergründig um den leidigen Agrardiesel, sagt Henrik Rump, der Vorsitzende des Landvolk-Kreisverbands Lüneburger Heide mit 4000 Mitgliedern. Im Grunde liege die Ursache tiefer. Die Landwirtschaft habe einen tiefgreifenden Wandel im Selbstverständnis ihres Berufsbildes zu bewältigen: „Landwirtschaft heißt seit 13 000 Jahren: Erzeugung von Lebensmitteln. Und jetzt kommt eine neue Disziplin hinzu, sie heißt: Erbringung von Ökosystemdienstleistungen.“

"Fordern jeden auf zur Wahl zu gehen"

Gemeinsam mit Geschäftsführer Henning Jensen formulierte Rump in einem Pressegespräch im Vorfeld der Europawahl am kommenden Sonntag Kritik, Erwartungen und Forderungen seiner Berufskollegen an die europäische und nationale Agrarpolitik. Da würden die Leitlinien nun einmal in Brüssel gemacht, so Rump, wobei er gleich zu Beginn die politische Position des Verbands klarstellt: „Wir denken klar für Europa und stehen hinter dem europäischen Gedanken. Deshalb rufen wir natürlich auch jeden dazu auf, zur Europawahl zu gehen und eine demokratische Partei der Mitte zu wählen.“

Das ändere jedoch nichts an der, wie er findet, berechtigten Forderung nach einem an der Fachpraxis orientierten, machbaren und finanzierbaren Regelwerk, welches Landwirten die Möglichkeit einräumt, flexibel auf unerwartete und nicht vorhersehbare Veränderungen zu reagieren. „Wenn wir nicht auf den Acker kommen, weil es ununterbrochen regnete, können wir keinen Fruchtwechsel betreiben“. Der werde aber verlangt und bei Nichtbeachtung drohten Sanktionen. Die Erzeugung von Lebensmitteln sei weiterhin Hauptaufgabe der Landwirtschaft. „Zusätzliche Forderungen von Gesellschaft und Politik im Bereich der Ökologie und des Tierschutzes werden von uns anerkannt und unterstützt.“ Man sei bereit und in der Lage, erweiterte Dienstleistungen für das Ökosystem zu erbringen und neue Haltungsformen für Nutztiere umzusetzen. „Das Vorgehen der Politik zur Erreichung dieser drei Ziele ist allerdings auf eine breite Front von Zorn und Resignation gestoßen“, erklärte der Landvolkvorsitzende. Das sei eine Erklärung, weshalb trotz guter Unternehmensergebnisse in jüngster Zeit die Landwirteproteste ein kaum gekanntes Ausmaß erreicht haben, „dass man plötzlich von Wutbauern spricht“.

Die beiden Interessenvertreter der heimischen Landwirtschaft warteten mit einer Reihe von Beispielen auf, bei denen nach ihrer Überzeugung Überregulierung, fehlende Fach- und Sachkenntnis, Bürokratie und eine starke Einschränkung der unternehmerischen Freiheit der Branche das Leben schwer machen. Das erzeuge vielfach das Gefühl, mit unsinnigen Pflichtaufgaben am Schreibtisch festgehalten zu werden, anstatt notwendige Arbeiten auf dem Acker oder im Stall zu erledigen. Rump: „Das macht die Kolleginnen und Kollegen irre.“

"Trifft sensiblen Punkt der bäuerlichen Seele"

Dazu komme häufig das Gefühl fehlender Wertschätzung durch die Gesellschaft und die Politik. „Das trifft einen sensiblen Punkt der bäuerlichen Seele“, beschreibt Cord-Christian Precht, der Sprecher des Kreisverbands, die Wirkung. Regeln seien nötig, aber das Regelwerk müsse so gestaltet sein, dass Landwirte die Möglichkeit haben, flexibel auf höhere Gewalt und äußere Einflüsse reagieren zu können, damit man sich an temporär veränderte Bedingungen anpassen könne. „In einigen Bereichen des Heidekreises sind die Äcker nach dem Hochwasser und weiteren Regenfällen erst im Juni zu betreten“, erklärt Rump.

Dass es ohne Regeln nicht geht, sei allen klar. Aber die müssten für die Landwirte auch umsetzbar sein, sollten möglichst gering gehalten werden, damit jeder selbst entscheiden könne, was er produzieren will. „Wir wollen vernünftiges Geld für unsere Produkte bekommen, am besten ohne Subventionen.“ Was die Landwirte für die Umwelt erbringen, seien zusätzliche Leistungen, die denn auch mit öffentlichen Mitteln finanziert werden müssten, ergänzt Geschäftsführer Jensen: „Die Agrarstatistik belegt, dass Natur- und Umweltschutz im Heidekreis überproportional berücksichtigt werden.“ Vieles sei gut gemeint, doch das Ziel werde oft verfehlt, weil die Umsetzung nicht zielführend sei.

Beispielhaft genannt wird das Gesetz, das die verschiedenen Formen von Brache und Blühstreifen regelt. Sechs verschiedene Bracheformen gibt es. Da seien selbst die Experten überfordert. Folge: „Es können auch von der Beratung keine pauschalen Antworten mehr gegeben werden.“ Landwirte müssten wissen, welche Bracheform sie beantragt haben. „Nicht die Politik, sondern die Landwirtschaft muss entscheiden, was wann gesät wird“, fordert der Vorsitzende. „Wer denkt sich solche Vorschriften aus?“ Aber er sieht auch Lichtblicke. Die Proteste um den Jahreswechsel hätten durchaus etwas bewirkt, beispielsweise sei die EU-Pflanzenschutzreduktionsstrategie abgemildert worden. „Das ist positiv für die Landwirtschaft“, findet Rump. Die Mehrheit des EU-Parlaments habe erkannt, dass ein Totalverbot von Pestiziden in Schutzgebieten nicht funktionieren könne. Gleichwohl bleibe eine Halbierung des Pflanzenschutzeinsatzes bis 2035 das vorgegebene Ziel. Nun müssten Alternativen gefunden werden, um das zu erreichen, etwa die Entwicklung und Anwendungen neuer Techniken, die es ermöglichen, nur dort zu spritzen, wo es angebracht sei, oder angepasste Pflanzenzüchtungen. „Das ist besser, als über Verbote zu sprechen. Da sind wir dabei, denn wir wollen das Gleiche“, sagt Rump.

Wichtige Errungenschaften stehen auf dem Spiel

„Wir erkennen an, dass sich auf politischer Seite seit den Bauernprotesten auf EU-Ebene einiges getan hat“, konstatiert der Vorsitzende im Seite- 1-Kommentar der aktuellen Landvolk-Verbandszeitung und setzt hohe Erwartungen in den von der EU-Kommission angekündigten strategischen Dialog über die Zukunft der Landwirtschaft in Europa. Der dürfe nicht zu einer unverbindlichen Gesprächsrunde geraten, fordert er. Denn da stehe einiges auf dem Spiel, nicht nur auf dem Agrarsektor: Viele als selbstverständlich angesehene Errungenschaften der EU würden heute von manchen Akteuren wieder politisch infrage gestellt, warnt Rump und stellt nochmals klar: „Wir Landwirte bekennen uns zur Demokratie und zu Europa. Auch zukünftig unterstützen die Landwirtinnen und Landwirte eine Europäische Union, die für Frieden, Freiheit, Solidarität sowie wirtschaftliche Freiheit steht und zugleich die europäischen und deutschen Bauernfamilien wertschätzt. Deswegen ist es aber auch unsere Pflicht, als Bürger der Europäischen Union am 9. Juni wählen zu gehen, denn nicht zu wählen, würde nur Kräfte stärken, die ein ganz anderes Wertesystem verfolgen als die EU.“