Expedition Hoffnung
Die Diagnose trifft sie am 18. Januar wie ein Schlag. Dabei hat Vanessa Christensen schon Erfahrung mit Schicksalsschlägen. Doch diesmal zieht es ihr den Boden unter den Füßen weg, die Verzweiflung kracht wie eine Woge über ihr zusammen.
Ein zweiter Tumor macht sich in ihrem Kopf breit, verwebt sich mit ihrem Gehirn. Ein halbes, vielleicht ein Jahr gibt ihr der Arzt. Er rät ihr, ihren größten Wunsch jetzt anzugehen, sonst ist es zu spät.
Es ist der Rat des Arztes, der die junge Frau nach einigen Tagen aus der absoluten Verzweiflung holt. Sie will ihren Traum in die Wirklichkeit holen. Sie will gemeinsam mit ihrem Freund Sebastian Küddelsmann auf der Seidenstraße reisen und von Soltau aus mit einem Camper Japan erreichen.
Am 1. Juni soll es losgehen, zwölf Monaten haben sie sich dafür vorgenommen. Es ist ihre „Expedition Hoffnung“, ihre Mut-Reise, um diesem verdammten Schicksal vielleicht doch ein Schnippchen zu schlagen
Vanessa, 32, sitzt im Wintergarten in einer Art Tiny-Haus auf einem Campingplatz bei Soltau. Es ist ein Häuschen im Grünen, mit kurzen Wegen für sie und ihre beiden Hunde Emma und Teddy in den Wald und für Sebastian Küddelsmann nach Hamburg zur Arbeit bei der Polizei.
Eine dicke Decke liegt über dem breiten Sessel, dahinter glüht ein Heizpilz, ringsum hängen Fotos aus schönen Tagen, die noch gar nicht so lange her sind. Bilder von einem Drei-Wochen-Trip durch die USA oder zuletzt durch Osteuropa – auch mit dem Auto. Darauf strahlt sie in die Kamera, die braunen Augen groß, die Haare lang, die Haut mit Tattoos bemalt.
Jetzt trägt sie Kuschelmützen mit Ohren, um den geschorenen Kopf zu bedecken. Die Augen aber strahlen noch genauso. Manchmal fehlen ihr die Worte, manchmal bringt ihr Gehirn den Sinn durcheinander. Immer ist Sebastian an ihrer Seite, um zu übernehmen und einzuspringen.
Er ist es auch, der ihr einen Milchkaffee mit viel Kurkuma und Zimt brüht. Jeden Morgen gibts eine Knoblauchzehe. Sie wollen die Chemotherapie, die sie als Tabletten schlucken kann, auf gesunde Art bestmöglich unterstützen.
Vanessa Christensen ist in Hamburg groß geworden. Sie erzählt von Misshandlungen in Kindheit und Jugend, von Traumatherapien, erst in einer Jugendhilfeeinrichtung in Scheeßel fasste sie Fuß, holte den Realschulabschluss nach, wurde Leistungsschwimmerin mit Leidenschaft und der Ambition, an den Olympischen Spielen teilzunehmen.
Mit 23 Jahren dann die erste niederschmetternde Diagnose: Lymphdrüsenkrebs. Sie bezwang die Krankheit in „einem harten Kampf“, wie sie sagt. Der Leistungssport blieb dennoch auf der Strecke, dafür startete sie ins Berufsleben. Sie wurde Pflegerin für Demenzkranke und galt als krebsfrei – bis zum März vergangenen Jahres. „Da merkte ich, dass ich wieder schwächer wurde.“ Leukämie, Lungenkrebs im Stadium 3, Metastasen in der Wirbelsäule, Gehirntumor Grad 3 waren die Diagnosen. Und zuletzt der zweite Tumor im Kopf.
Woher sie die Energie nimmt, wenn die Krankheit sie wieder für Tage ans Bett fesselt? Es ist der Wille, diese Reise zu schaffen, trotz Chemotherapie, trotz Wortfindungsstörung, trotz Schwächen und dieser deprimierenden Prognose. Stück für Stück verkauft das Paar zurzeit die Einrichtung, das Haus soll während der Reise vermietet werden.
Und überhaupt, es gibt so viel vorzubereiten. Die Impfungen für Mensch und Hund. Die Reiseroute und -bestimmungen, die Visaanträge, die Suche nach Krankenhäusern in den jeweiligen Ländern. Beide Soltauer wollen auch selbst Krebskranke besuchen, mit ihrer Geschichte ihren Mut weitergeben, andere inspirieren, das Thema in die Öffentlichkeit holen.
Camper muss auch ein Krankenzimmer sein können
Alles ist aber vom Geld abhängig. Vanessas Ersparnisse sind durch die Krankheit längst aufgezehrt, Sebastian hat nun kurzfristig ein Sabbaticaljahr genommen – allerdings ohne die sonst übliche finanziellen Absicherung durchs Ansparen. Mit 100000 Euro Kosten rechnen sie für die Reise, insbesondere, weil sie einen Camper benötigen, der genügend Platz bietet, ein festes Bett hat, das ein mobiles Krankenzimmer sein kann, gleichzeitig aber auch schwierige Strecken im Himalaya mit Allradantrieb schafft.
„Wenn man kein Millionär ist, ist man auf Kompromisse angewiesen“ – oder auf Spenden. Die Werbung dafür ist mittlerweile zu einer fordernden Aufgabe geworden, wenn Vanessa in den sozialen Netzwerken präsent sein und sich auch gegen Anwürfe wehren muss oder andernorts für ihre „Expedition Hoffnung“ wirbt. „Jeder Euro zählt, damit man nicht auf jeden Euro gucken muss."
Verein gegründet, um Spenden zu sammeln
Aktuell gründet das Paar einen Verein, um das Vorhaben auf seriösere Beine zu stellen, sieben Gründungsmitglieder stehen zur Verfügung. Dennoch merken sie immer wieder: für Kinder werde in dem Bereich viel getan. „Aber auch ich hab doch das Leben noch vor mir und freue mich auf Unterstützung“, sagt die 32-Jährige.
Es sei nicht einfach, Spenden von fremden Menschen zu erbitten, ergänzt ihr Freund. Aber er weist noch einmal auf das Ziel hin, über den Verein auch anderen Krebskranken auf der Tour helfen zu wollen und Aufmerksamkeit zu erregen. Man wolle auch etwas zurückgeben. Dafür haben sie gerade noch T-Shirts, Pullover und Mützen mit dem Tourmotto bedrucken lassen. Die wollen sie für den guten Zweck verkaufen. Die Einnahmen sollen als Spende in die jeweiligen Krankenhäuser gehen.
„Wir wollen nicht den Kopf in den Sand stecken. Wir wollen jeden Tag leben, als ob es der letzte wäre“, sagt Vanessa. Denn die Tour ist nicht ohne Grund mit „Expedition Hoffnung“ überschrieben: Dass der Krebs wieder verschwindet, das werde wohl nicht passieren, aber dass sich die Krankheit stabilisiert, Vanessa vielleicht durch die positiven Erfahrungen zwei, drei Jahre gewinnt – das ist ihre Hoffnung.
„Es muss ja nicht stimmen, was die Ärzte sagen“, sagt sie. „Was will man machen, warten, bis die Zeit abläuft?“, fragt er. Sabbernd im Rollstuhl sitzen, ja, das könne während der Reise passieren, die Gefahr eines epileptischen Anfalls sei durchaus gegeben – und „wenn wir nur bis Tadschikistan kommen“, dann sei das eben so. Und wenn sie Japan erreichen? „Dann feiern wir 'ne Party“, sind sich beide sicher.
„Mein Kampf gegen den Krebs“
Bislang soll die „Expedition Hoffnung“ von Deutschland aus durch Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, die Türkei, den Iran, Turkmenistan, Usbekistan, Kasachstan, China, Laos, Thailand, Kambodscha, Vietnam, erneut China, dann nach Hongkong, Südkorea und schließlich nach Japan führen.
Möglicherweise muss es auch noch Änderungen geben, weil es für die Mitnahme von Hunden strenge Vorschriften gibt oder andere Hürden. Ab der Türkei oder Iran muss Vanessa Christensen in ärztliche Behandlung. „Ansonsten bekomme ich alles mit, was ich an Medizin benötige. Aber mir muss immer wieder Wasser aus der Lunge gezogen werden“, erzählt sie. Mit den jeweiligen Krankenhäusern suchen sie vorher schon den Kontakt, um die Reise auch medizinisch bestmöglich vorzubereiten.
Wer mehr über Vanessa Christensen erfahren will, der kann ihr unter dem Stichwort „Expedition Hoffnung … Mein Kampf gegen den Krebs“ bei Instagram und YouTube folgen. Spenden sind über die Plattform „Gofundme“ unter der genauen Adresse https://gofund.me/92ae6989 möglich. at