„Neubau wird weiter geplant“
An vielen Stellen, an denen die Deutsche Bahn Neubauprojekte für schnelleren ICE-Fernverkehr durchsetzen möchte, stößt sie auf Widerstand. Straßen lassen sich in Deutschland inzwischen oft leichter bauen als neue Schienenwege. Trassengegner vernetzen sich, verschaffen ihren regionalen Anliegen damit zusätzliche Aufmerksamkeit, ihrem Protest mehr Strahlkraft. 30 Gruppierungen aus ganz Deutschland haben sich im Aktionsbündnis Bahn Bürgerinitiativen Deutschland (ABBD) zusammengeschlossen, das laut Selbstauskunft für „echte Bürgerbeteiligung“ bei der Planung von Konzepten „für eine zukunftsfähige Bahn“ kämpft. Man möchte nicht als Blockierer dastehen und bekennt sich positiv zu alternativen Konzepten. Am Sonnabend rief das Bündnis in diesem Sinne unter dem Motto „Bürgerbahn statt Größenwahn“ bundesweit zu Aktionen auf. Protestiert werde „von den Alpen bis zur Ostsee“, wie das ABBD stolz verkündet. In Bayern unweit der Grenze zu Tirol richtet sich der Protest gegen den „Brenner-Nordzulauf“, in Ostholstein nahe der dänischen Grenze gegen eine feste Fehmarnbelt-Querung. Der Sound des Protests ist überall gleich: Gegen „Mega-Projekte“, für „Ausbau mit Augenmaß“.
Bürgerinitiativen der Region nutzten den Aktionstag, um ihren Widerstand gegen eine neue ICE-Trasse zwischen Hamburg und Hannover zu bekräftigen. Die beschlossene Generalsanierung der Bestandsstrecke hat der Neubau-Debatte Wind aus den Segeln genommen, endgültig vom Tisch ist die im Land unbeliebte Trasse aber nicht. Sollte der reine Netzausbau nicht nicht genügend Kapazitäten für den Güter- und Personenverkehr schaffen, käme ein Neubau wohl wieder ins Spiel. Die Bahnplaner haben ihr Prestigepojekt für den norddeutschen Schienenverkehr noch nicht aufgegeben.
Kämpferische Rhetorik in Bispingen
Man müsse wachsam bleiben, fordert Jörg Eggers. „Die Neubaustrecke wird weiter geplant“, warnte der Sprecher der Bürgerinitiative „Unsynn“ in einer kämpferischen Rede am Sonnabendvormittag am Rande des Edeka-Parkplatzes in Bispingen. Auch Bürgermeister Dr. Jens Bülthuis hatte sich unter die Zuhörer gemischt. Plakate, Warnwesten, Hunde und Kinder: Die lokale Kundgebung zum Auftakt des großen bundesweiten Aktionstages liefert die gewünschten Bilder, das frühlingshafte Wetter hob die Stimmung. Es wurde aufwendig gefilmt und fotografiert. Zeugnisse des anhaltenden Raumwiderstands sollen über die sozialen Medien ausgespielt werden und überregional wirken. Der Heidekreis steht ohnehin parteiübergreifend an der Seite der Bürgerinitiativen. Die lokale Solidarität im Kampf gegen die Bahnpläne ist groß, sie reicht von den Bürgermeistern und dem Landrat über die örtlichen Landtagsabgeordneten bis zum einflussreichen Bundespolitiker Lars Klingbeil.
Die große Protestaktion in der Region findet am Nachmittag in Ramelsloh im Landkreis Harburg statt. Mit fantasievollen Aktionen auf einem „Jahrmarkt des Größenwahns“ bringen die Aktivisten ihren Unmut über die großen Zukunftspläne der Bahn zum Ausdruck und lassen diese kontrastieren mit der trüben Gegenwart unpünktlicher Züge und maroder Bahnnetze. Eine Bimmelbahn fährt ihre Kreise und beim „Traumtänzer-Angeln“ können Kinder Enten mit den Namen von Bahnmanagern und Politikern aus einem Planschbecken fischen. Der Andrang ist mäßig. „Protest ist natürlich dann am größten, wenn Entscheidungen unmittelbar bevorstehen“, bemerkt Dr. Peter Dörsam am Rande der Veranstaltung. Der Bürgermeister der Samtgemeinde Tostedt und Sprecher des Projektbeirats Alpha E besprach zuvor auf dem Podium gemeinsam mit den Bundestagsabgeordneten Svenja Stadler (SPD) und Michael Grosse-Brömer (CDU), den Landtagsabgeordneten Dr. Bernd Althusmann und Jan Bauer (beide CDU) sowie dem Harburger Landrat Rainer Rempe (CDU) die aktuelle Lage.
Alle Redner betonten, dass es nun darauf ankomme, aus dem Bundesverkehrsministerium schriftliche Zusagen zum konkreten Umfang der Sanierung zu erhalten. Das Bestandsausbau-Konzept Alpha E müsse so umgesetzt werden, „wie es uns 2016 versprochen wurde“, forderte Rempe unter Verweis auf das Ergebnis des Dialogforums Schiene Nord. Wenn alles umgesetzt werde, reiche die dadurch erzielte Kapazitätserweiterung aus, frohlockte Dörsam und machte deutlich, dass die von der Bahn bislang prognostizierten Zuwächse beim Schienengüterverkehr aus dem Hamburger Hafen zu hoch angesetzt seien und bei einer Neubewertung nach unten angepasst werden müssten. Der prominenteste Redner, Ex-Landesverkehrsminister Althusmann, warnte eindringlich vor einem Scheitern von Alpha E. Das würde alle Planungen um ein Jahrzehnt zurückwerfen und dringend benötigte Verbesserungen im norddeutschen Schienenverkehr vereiteln.