Kevin nachts allein im Labor
Kevin ist im Labor ein Mitarbeiter, den man nicht mehr missen möchte. Fachmännisch holt er mit flinkem Finger das Proberöhrchen von der Anlieferungstheke. Auf dem Röhrchen ein Aufkleber mit den in Barcode verschlüsselten Patientendaten, darin schwappt Blut. Für einen Augenblick verschwindet das Röhrchen in einem Lesegerät, um die Daten für das Labor zu erfassen. Kevin überlegt kurz, dann geht es etwas weiter in den Raum und er platziert das Röhrchen in einem Haltegestell. Wieder stoppt er kurz, nimmt das gesamte Gestell, stellt es in die Zentrifuge, der Beginn der Analyse der Blutprobe.
Kevin ist der erste Laborroboter, der im Heidekreis-Klinikum in Soltau im Einsatz ist – und er ist deutschlandweit ein Novum. Der computergesteuerte Helfer mit seinem kräftigen, weiß-grauen beweglichen Arm war der erste, der auf Schienen durch ein Labor fährt und so alle notwendigen Analysegeräte selbstständig bedienen kann. Etwas, das ähnlich in der Automobilbranche seit Jahrzehnten gang und gäbe ist, und nun auch in der Medizin.
Der Fachkräftemangel schlägt auch im Labor durch
Dabei geht es anders als einst bei der Automobilbranche nicht vordergründig darum, die Arbeitsprozesse geschmeidiger zu gestalten und vor allem nicht Mitarbeiter einzusparen, sondern darum, den Betrieb im Labor insbesondere in der Nacht überhaupt aufrechterhalten zu können.
Der Fachkräftemangel schlägt auch im Labor durch, dessen Betrieb in beiden HKK-Häusern seit Anfang 2021 privatisiert ist. „Sonst müssten wir die Notfallversorgung einstellen“, führt Geschäftsführer Dr. Achim Rogge die Folgen vor Augen. Und die ärztliche Direktorin Andrea Hartmann weiß, dass das nicht passieren darf. Rund um die Uhr hat sie Herz-Kreislauf-Notfälle auf ihrer und der Intensivstation, sagt die Chefärztin der Kardiologie. Da bedürfe es auch in der Nacht präziser Analyseergebnisse. Die Alternative, die Proben nachts per Taxi nach Walsrode zu fahren, koste zu viel Zeit. Im HKK in Walsrode jedenfalls ist rund um die Uhr die Auswertung der Laborergebnisse aus Soltau gesichert. Der Laborant könne telemedizinisch immer auf die Daten zugreifen, den Roboter im Blick behalten.
Die Zentrifuge hat ihre Arbeit erledigt, Kevin erwacht aus kurzem Ruhemodus und beginnt die nächsten Arbeitsgänge. Er holt mit seinem Greiffinger das Röhrchen aus der Maschine, öffnet es und platziert es im Analysegerät und startet das entsprechende Programm.
Ein Jahr dauert es bis zum stabilen Betrieb
Gut ein Jahr hat es gedauert, Kevin – so haben ihn die Mitarbeiterinnen und -mitarbeiter getauft, weil er vor allem nachts den Betrieb im Labor aufrechterhält und dabei allein ist – zu programmieren. Das computergesteuerte Helferlein hat Dr. Edgar Kleinspehn an seiner Seite. „Er ist kein Produkt von der Stange“, erklärt der Facharzt für Laboratoriumsmedizin, Leiter der HKK-Labore und nun auch Roboterexperte. Eher, so erinnert sich Kleinspehn, sei er bei Anlieferung wie ein kleines Kind gewesen, das lernen und erzogen werden musste. Und wie bei einem Kind dauert das seine Zeit.
Bei Kevin waren es gut sechs Monate, bis er stabil arbeitete und nachts alleine Dienst tun durfte. Zunächst musste sein Laborraum komplett umgebaut werden, damit er auf seinen Schienen jedes Gerät präzise erreichen konnte. Überhaupt präzise: „Ein Mensch könnte da nachsteuern, hier muss von Anfang an alles genauestens passen“, erklärt Kleinspehn. Daher war es im Krankenhaus nötig, beispielsweise die Röhrchen-Art an die Bedürfnisse des Roboters anzupassen, die Pflegekräfte wurden geschult, damit sie die Proben richtig übergeben.
Im Juli startete der Probebetrieb, immer noch mit Verbesserungen in der Mechanik oder der Optimierung in der Reihenfolge der Probebearbeitung. Er wurde immer zuverlässiger, im August ging es in die zweite Testphase, seit September unterstützt Kevin seine menschlichen Kolleginnen und Kollegen im regulären Betrieb.
Der Roboter übernimmt Routineaufgaben
Der Roboter ist für die Routinearbeiten in dem Labor zuständig. Komplexere Laboraufgaben bleiben bei den zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Soltau – beziehungsweise elf in Walsrode. Und trotz der Unterstützung durch Kevin nickt Kleinspehn bestimmend, als er gefragt wird, ob nun noch Fachkräfte gesucht würden. MTL, also Medizinische Technologinnen und Technologen für Laboratoriumsanalytik, und auch Auszubildende würden dringend benötigt. Er blickt mit Sorge auf die nächsten fünf bis acht Jahre, wenn viele der langjährigen Mitarbeiter der HKK-Labore in den Ruhestand gehen.
Für Kleinspehn ist Kevin erst der Anfang der robotergestützten Arbeit im Labor. Da werde noch mehr passieren – auch durch den Einsatz der künstlichen Intelligenz. Und das HKK selbst denkt für den geplanten Neubau über eine weitere Automatisierung nach. Zunächst aber steht dafür ein anderes System im Mittelpunkt, das eigentlich schon vor Jahrzehnten seinen Höhepunkt überschritten hat: die Rohrpost. Solch ein System soll es im Neubau geben: „Jeder Botengang für medizinisches Personal ist einer zu viel“, findet Pflegedirektorin Meike Heins. Dafür gelte es nicht nur die Anlage zu bauen, sondern die Rohrpostpakete so auszustatten, das auch Röhrchen mit Blut sicher im künftigen Labor landen können.
Am alten Standort in Soltau ist die Blutanalyse mittlerweile abgeschlossen. Kevin fischt das kleine Röhrchen wieder aus dem Gerät und stellt es neben die zuvor abgearbeiteten Proben. Inzwischen stecken weitere Aufträge im Eingangsbehälter.
LADR-Zentrallabor
Seit 2021 im HKK
Das LADR-Zentrallabor Dr. Kramer und Kollegen hat seit 2021 die Labore an den beiden Krankenhausstandorten des Heidekreis-Klinikums übernommen. An den LADR-Verbund sind deutschlandweit 400 Krankenhäuser angeschlossen. Das HKK habe frühzeitig festgestellt, dass man die Laboraufgabe nicht mehr selbst aufrechterhalten könne, so Geschäftsführer Dr. Achim Rogge. Insbesondere die Neuanschaffung von Laborgeräten und die Anwesenheitspflicht eines Laborarztes waren nicht sicherzustellen. Das sei innerhalb des LADR-Verbundes anders. Innovationen seien nun auch am Standort sichergestellt, wie der Roboter zeige. Lieferant dieses Systems ist das Startup Diabots. Die Firma wurde 2021 gegründet, hat ihren Sitz in Neukirchen bei Chemnitz und ist auf den Bau mobiler und stationärer Roboterautomatiksysteme für die Labordiagnostik spezialisiert.