Zum Abschuss freigeben
Wenn Argumente von Wolfsbefürwortern und Gegnern aufeinandertreffen, ist der Diskurs im Regelfall von erhöhtem Wallungswert. Selten lässt sich einem Austausch beiwohnen, der den erhitzten Gemütern Abkühlung verschafft. Zu hoch ist der Leidensdruck, zu allgegenwärtig die Neigung, der Gegenseite entweder blutrünstige Tötungslust oder naive Tierliebe zu unterstellen.
Zu diesem Anlass hat sich im Saal des Behringer Hotels „Zur Grünen Eiche“ ein Publikum aus Jägern, Landwirten und weiteren Interessierten getroffen. Um die 100 Personen sind einer Einladung der Frauen-Union für einen offenen Informationsabend zum Thema „Wolf“ gefolgt. Schnell wird man der Grundstimmung im Raum gewahr: Es wäre keine Untertreibung zu behaupten, dass die Fürsprecher des Wolfes hier in der Minderheit sind.
„Veranstaltung in eigenem Saft“ nennt der anwesende Präsident des Deutschen Jagdverbands (DJV) und ehemalige CDU-Landtagsabgeordnete Helmut Dammann-Tamke das. Demgemäß bleibt die Informationsveranstaltung eine ebensolche und wird zu keinem Austausch gegenüberliegender Positionen. Neben dem DJV-Vorsitzenden sorgen der Bispinger Hegeringleiter Stefan Martin und Landwirtin Henrike Börstling aus Eickeloh für praxisnahe Expertise.
Guter Erhaltungszustand der Art bereits erreicht
Möglichst unpolitisch will Dammann-Tamke den faktenbasierten Ist-Zustand aufzeigen und jongliert dabei versiert mit den Zahlen, die ihm das Wolfsmonitoring des Wildtiermanagements Niedersachsen liefert. „Aus den 39 Rudeln im vergangenen Jahr zählen wir heute 51“, so der ehemalige Landtagsabgeordnete. Auf einer Karte Niedersachsens sind kleine quadratische Zellen zu sehen, die je nach Wolfsdichte bis ins Dunkelrote eingefärbt sind. Sich häufende Fälle gerissener Weidetiere sehen darauf ihren Ursprung: Der Heidekreis glüht förmlich. Gemessen an der Fläche ist es Schätzungen zufolge die weltweit dichteste Population, so Hegeringleiter Martin.
Eine unregulierte Zahl der Tiere sei schädlich für Flora und Fauna und führe zu einem Verlust der Weideund Schafwirtschaft, da der Wolf Wildtierbestände dezimiere und auf Nutztiere umschwenke. Wiederkäuer könnten somit nicht grasen, die Artenvielfalt der Pflanzen leide. Zudem würden Wildtiere auf Ackerland ausweichen, was in Agrarschäden resultiere. Im Schnitt verdoppele sich die Population alle drei Jahre. Spätestens 2035 sei die absolute Kapazitätsgrenze erreicht. „In Niedersachsen“, prognostiziert Dammann-Tamke, „wären 85 Prozent der Landesfläche dann voll.“
Dabei gibt es für 62-Jährigen bereits jetzt Argumente, den Schutzstatus des Tieres zu lockern. „Gemäß Bundesamt für Naturschutz haben wir den guten Erhaltungszustand von 44 Rudeln mit unseren 51 bereits überschritten.“ Was er im Zuge dessen fordert, ist ein „regional differenziertes Bestandsmanagement“, bei dem auffällige Rudel getötet werden. Getötet werden – im euphemistischen Jagdjargon „entnommen werden“ – sollen zudem Jungtiere, um das „Tempo“ aus der Population zu nehmen. Die explosive Dynamik müsse verstanden werden, mahnt der DJV-Präsident.
Pläne der Umweltminister-Konferenz „eine Lachnummer“
Die Gegenseite, namentlich oftmals durch den Naturschutzbund Deutschland (Nabu) vertreten, missbilligt solche Abschusskonzepte und vertritt die Idee von flächendeckendem Herdenschutz. Elektrozäune und Schutzhunde - für Dammann-Tamke eine utopische Vorstellung: „1,2 Milliarden Euro müssten allein für den Schutz von Rindern investiert werden.“ 6,7 Millionen seien es bisher gewesen. Da die Bereitstellung einer solchen Summe unrealistisch sei, überließen die „Wolfsfreunde“ Nutztiere sich somit selbst. Insgesamt 4000 tote Nutztiere wurden 2023 deutschlandweit dem Wolf zugeordnet.
Ganz und gar nicht gut sind die Anwesenden auf das zu sprechen, was Umweltminister-Konferenz und Dialogforum „Weidetierhaltung und Wolf“ in Hannover jüngst zutage brachten. Die Ende 2023 von Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer angekündigte Schnellschussregelung kanzelte der Verbandsvorsitzende als „Lachnummer“ ab. Wolfsschützern werde es mit der Bekanntgabe der Orte, an denen ein nachgewiesener Riss 21 Tage lang im Umkreis von 1000 Metern zu grünem Schnellschuss-Licht führt, leicht gemacht. Süffisant verweist Dammann-Tamke auf Szenarien, bei dem „Wolfskuschler“ lautstark mit „Indianer-Tipi, Lagerfeuer, Gitarrenmusik und Alkohol“ an die entsprechenden Orte pilgern, um den Wolf an einer Rückkehr in den Bereich zu hindern. Ein von Umweltministerin Steffi Lemke ausgerufener „Durchbruch“ in der Problematik lasse auf völlige Ahnungslosigkeit der handelnden Personen schließen.
Abschuss im Sinne des Wolfes?
Zwar bricht Dammann-Tamke die unpolitische Sachlichkeit durch diese Salven an Spitzen in Richtung Hannover und Berlin bisweilen weg, trotzdem beteuert er langfristig auch im Sinne des Wolfes zu handeln. Ein Bestandsmanagement schaffe vor Ort Akzeptanz für den grauen Vierbeiner. Dass betroffene Menschen im Zweifel illegale Wege beschreiten, um das Problem „selbst in die Hand zu nehmen“, habe der Wolf nicht verdient.
Alle drei Referenten sind sich einig, dass der Traum von einer sich der Natur überlassenen Tier- und Pflanzenwelt in einer intensiv genutzten Kulturlandschaft nur ein Traum sein kann. Bleiben soll der Wolf darin schon, nur eben nicht unreguliert. Für die 26-jährige Börstling ist klar: „Es ist ein beeindruckend faszinierendes Tier, aber die Koexistenz mit Wölfen in der aktuellen Zahl ist schlichtweg mit der Weidetierhaltung und Menschen in dicht besiedeltem Gebiet nicht möglich.“