„Argumente wurden ernst genommen“
Was die Kommunikation in Sachen ICE-Neubaustrecke Hamburg-Hannover betrifft, bleiben Bahn und Politik sich treu: Sie geht drunter und drüber. Informationen werden kolportiert und durchgestochen, auf klare Festlegungen folgen unmissverständliche Dementis. So war es auch, als die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) am Dienstagabend im Internet völlig überraschend eine Einigung zwischen dem Bund und dem Land Niedersachsen auf den vorläufigen Verzicht auf einen Neubau verkündete. Das Verkehrsministerium von Volker Wissing wies diese Darstellung im Verlauf des gestrigen Mittwochs jedoch zurück.
Zum Zeitpunkt des Dementis aus Berlin hatte der Pressebericht aus Frankfurt bereits hohe Wellen geschlagen, auch im Heidekreis. Die Erleichterung war bei den vielen Gegnern eines Neubaus groß. Denn die durchgestochenen und publizierten Informationen ließen sich eigentlich nur so verstehen, dass ab 2029 erst einmal die Bestandsstrecke über Uelzen und Lüneburg saniert wird und parallel noch einmal über eine Neubautrasse nachgedacht wird. Ein möglicher bestandsferner Streckenneubau rücke damit „in weitere Ferne“, heißt es in der FAZ.
Ein solches Vorgehen stieße im Heidekreis auf große Zustimmung. „Genau so sollte es sein“, erklärte etwa Bispingens Bürgermeister Dr. Jens Bülthuis im Gespräch mit der Böhme-Zeitung und befürwortete ausdrücklich ein neues Dialogforum – auch wenn er selbst das nicht mehr als amtierender Bürgermeister miterleben werde. Denn erst einmal müsse das Ergebnis des Bestandsausbaus abgewartet und ausgewertet werden.
So sieht es auch Landrat Jens Grote. Mit der Generalsanierung der Bestandsstrecke würden Aspekte des Dialogforums Schiene Nord umgesetzt und der Forderung der Region Rechnung getragen. Im weiteren gelte es zu prüfen, ob die Effekte eintreten, die man sich vom Bestandsausbau erhofft, setzt auch er auf einen weiten Horizont. In der Zukunft könne man besser und sorgfältiger bewerten, ob der zusätzliche Bedarf für eine neue ICE-Strecke besteht.
Der örtliche Landtagsabgeordnete Karl-Ludwig von Danwitz begrüßte das vermeintliche vorläufige Aus für die Neubaustrecke und dankte den örtlichen Initiativen. Ohne deren Engagement wäre es anders gelaufen, ist er sicher. Der CDU-Mann merkte jedoch kritisch an, dass große Teile des Alpha-E-Konzepts in der kolportierten Einigung zwischen Land und Bund unerwähnt blieben. Es dürfe nicht nur „ein bisschen saniert werden“, mahnte der CDU-Mann mit Blick etwa auf den Ausbau der Amerikalinie und den Lärmschutz an. Es ist ein entscheidender Punkt: Im FAZ-Beitrag ist nicht die Rede davon, dass ab 2029 das optimierte Alpha E anstelle eines Neubaus umgesetzt werden soll. Es geht um die Ausweitung von Sanierungsarbeiten, die ursprünglich 2026 starten sollten. Erfüllt wird damit eine Forderung vom niedersächsischen Wirtschafts- und Verkehrsminister Olaf Lies (SPD). Ein möglicher Streckenneubau bleibt davon theoretisch unberührt – wahrscheinlicher wird er aber nicht, wenn mehr Geld als vorgesehen in die Bestandssanierung fließt.
Klingbeil: Raumverträglichkeit soll geprüft werden
„Um zusätzliche Kapazitäten auf der Strecke von Hamburg nach Hannover zu schaffen, wird in einem ersten Schritt die erweiterte Generalsanierung umgesetzt, bei der viele Ergebnisse aus dem Dialogforum Schiene Nord mit einfließen sollen“, erklärte der hiesige SPD-Bundestagsabgeordnete Lars Klingbeil auf Nachfrage. „Mit Hilfe eines neuen Dialogformates sollen dann weitere Möglichkeiten des Ausbaus auf der Route Hamburg – Hannover erörtert werden: im Dialog mit Land, Kommunen und Bürgern soll der tatsächliche Bedarf auf der Strecke geklärt werden.“ Neu geplant sei außerdem ein Raumordnungsverfahren, bei dem eine Raumverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden soll. „Damit soll sichergestellt werden, dass alle raumordnerischen Aspekte gewürdigt werden.“ Das alles habe zum Ziel, die Kapazitäten auf der Strecke in den nächsten Jahren schnell zu erhöhen und Klimaschutzziele zu erreichen.
Er sei „sehr dankbar, dass die Argumente aus unserer Region gehört und ernstgenommen wurden“, würdigt Klingbeil die erweiterte Streckensanierung.
Skeptisch reagierte die hiesige Bürgerinitiative Unsynn auf die voreilige Meldung, dass der Neubau vom Tisch sei. „Vor einer endgültigen Bewertung dieser Entwicklung müssen wir weiterhin aufmerksam sein und warten die offizielle Mitteilung über diese Entscheidung ab, wir sind leider zu oft schon vom Bundesministerium und der DB Netz AG ‚hinter die Fichte‘ geführt worden, um nicht von Wortbruch zu reden“, erklärt Sprecher Jörg Eggers. Die Entscheidung für den Generalausbau wertet er aber als gut für den Bahnverkehr, weil es dann endlich losgehen könne mit verbessertem Personennah- und -fernverkehr. Wie von Danwitz befürchtet aber auch er, dass bei der Bestandssanierung nötige Maßnahmen ausgespart blieben, „weil man einfach etwas anderes will, nämlich die Heidetrasse entlang der A7“.
Auch Dr. Peter Dörsam, Sprecher des Projektbeirats Alpha E, begrüßt die Generalsanierung der Bestandsstrecke. Die Bahn habe vor allem in den letzten Monaten fast mantrahaft eine Kampagne für die Neubaustrecke und in dem Zuge auch gegen die niedersächsische SPD und Klingbeil geführt. Doch in Berlin habe man inzwischen erkannt, „dass wir jetzt die einmalige Chance haben, im Bestand viel zu erreichen“. Natürlich unter Verzicht auf einen Neubau.
Ganz anders bewertete Pro Bahn das vermeintliche Aus für die Neubautrasse. Von einem „schwarzen Tag für die Eisenbahn in Niedersachsen, der Auswirkungen auf das gesamte Bundesgebiet haben wird“, sprach Landesvorsitzender Malte Diehl in einer ersten Bewertung gegenüber der Böhme-Zeitung. Als im Verlauf des mittwochs deutlich wurde, dass die Lage doch nicht so eindeutig ist, keimte wieder Hoffnung auf beim Fahrgastverband. „Die Sachlage ist dieselbe wie im Sommer“, hieß es nun.