Die Linke: Eine Partei zerbricht
Natürlich fragt sie jetzt jeder nach Sahra Wagenknecht. Kathrin Otte weicht den Fragen aus, so gut es eben geht. Ob sich in Niedersachsen gerade die Keimzelle eines Landesverbands einer noch gar nicht existierenden, aber bereits viel diskutierten „Wagenknecht-Partei“ gebildet hat? Sie könne es noch nicht einschätzen. Otte hat keinen direkten Kontakt zur prominentesten Linken der Republik. Der Niedersächsische Landesverband ist zu unbedeutend. Lange her, dass er eine Fraktion im Landtag stellen konnte. Bei der jüngsten Landtagswahl erreichte die Partei 2022 nur noch 2,7 Prozent. Wagenknecht prognostiziert der Partei in ihren Hochburgen in den Neuen Ländern und auf Bundesebene einen ähnlichen Niedergang. Die Linke sei auf dem Weg „zu einer bedeutungslosen Splitterpartei“, erklärte sie in dieser Woche in der ARD. Der angekündigte Rückzug der Wagenknecht-Vertrauten Amira Mohamed Ali vom Posten der Co-Fraktionschefin im Bundestag erhöht die Unruhe in der Partei.
Otte lebt in Amelinghausen und trat zur Bundestagswahl 2021 als Direktkandidatin der Linken im Wahlkreis 35 Rotenburg I/Heidekreis an. Im Kandidatinnenportrait der Böhme-Zeitung findet sich ein Satz von ihr, der heute – nur zwei Jahre später – wie das Echo einer fernen Zeit klingt. „Die Linke ist in ihrem Grundansatz total konsistent“, sagte sie damals. Ein Satz, der sich auf das weiterhin gültige Erfurter Grundsatzprogramm von 2011 bezog, erklärt Otte heute. Für dieses Programm gelte der Satz weiterhin. Doch die Parteiführung habe sich weit davon entfernt. „Eine Welt unter dem Diktat eines allmächtigen globalen Kapitalismus ist keine erstrebenswerte Welt“, heißt es im Erfurter Programm. „Wir kämpfen für einen Systemwechsel.“
Otte ist enttäuscht von der Partei, der sie seit 2017 angehört, für die sie mit Unterbrechungen insgesamt vier Jahre im Landesvorstand saß. Die Linke biedere sich nur noch dem gutsituiertem linksgrünem Milieu an, vernachlässige ihre Stammwählerschaft und die Sozialpolitik. So überlasse man der „rechten Spalterpartei“ AfD das Feld, klagt sie im Gespräch mit der Böhme-Zeitung. „Ich habe in der Partei lange für einen anderen Kurs gekämpft, aber ebenso wie viele andere kein Gehör gefunden.“
Zorn der Bürger in Interessenpolitik umsetzen
Jetzt zählt sie zu rund 50 Gründungsmitgliedern von „Was tun“ Niedersachsen. Das Netzwerk „Was tun“ bestehe inzwischen „in fast allen Bundesländern“ und setze sich zusammen aus Mitgliedern und Ex-Mitgliedern der Linkspartei sowie weiteren Personen aus dem linken Spektrum. Der niedersächsische Ableger wurde am 5. August offiziell ins Leben gerufen. Personen aus dem Heidekreis gehören bislang nicht dazu.
Man wolle „einen Prozess zur Bildung von zentralen und dezentralen Strukturen einleiten, um ein funktionierendes, aktionsfähiges Netzwerk zu bilden und dieses in ganz Niedersachsen zu verankern“, teilen die Initiatoren mit. Es gehe darum, den berechtigten Zorn „normaler Bürger“ auf die Ampelregierung in Berlin und die Landesregierung in Hannover „in Interessenpolitik umzusetzen“. Kritisiert wird „gewaltige Aufrüstung mit riesigen Kosten“ bei gleichzeitigen Kürzungen im Sozialbereich. Auch über die Gründung einer neuen Partei sei diskutiert worden. „Entscheidungen sind nicht gefallen.“
Erstes Etappenziel einer neuen Partei könnte die Teilnahme an der Europawahl im kommenden Sommer sein. Dann müsste jetzt alles sehr schnell gehen. Das Bündnis um Otte deutet an, bereit zu sein. „Selbstverständlich beobachten die in diesem Netzwerk zusammengeschlossenen Gruppen und Personen die Diskussion um eine mögliche linke Beteiligung an der Europa-Wahl, unabhängig von der Linkspartei“, heißt es in der Gründungserklärung. Otte ist Sprecherin des Netzwerks und wurde als Delegierte in den Was-tun-Koordinierungskreis auf Bundesebene entsendet.