Kita-Notstand: Mütter kämpfen um Betreuungsplätze
Martha und Melina klettern immer wieder auf das Hochbett. Die Rutsche ist die Attraktion im Kinderzimmer. Melinas Oma achtet auf die beiden Mädchen, während ihre Tochter Melanie von Fintel den neun Monate alten Milan mit Brei füttert. „Eigentlich hatte ich schon eine Zusage für einen Kindergartenplatz“, erzählt die 32-jährige Mutter aus Schneverdingen. Denn Melina ist mit dreieinhalb Jahren schon im entsprechenden Alter. Der Mutter liegt viel daran, dass ihre große Tochter gute soziale Kontakte zu gleichaltrigen Kindern aufbaut. Doch als im Gespräch mit der Stadtverwaltung hörbar war, dass noch ein Baby im Hintergrund schreit, wurde ein Rückzieher gemacht. Sie sei ja noch in Elternzeit, mit der Begründung wurde ihr dann eine Absage für einen Kindergartenplatz erteilt. „Ich bin Kategorie B“, sagt von Fintel und ärgert sich darüber, weil sie doch einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz habe.
Wie sehr es an Betreuungsplätzen für Kinder fehlt, wurde kürzlich erst beim Richtfest für die neue Kindertagesstätte an der Stockholmer Straße offenbar. Auf der Warteliste der Stadt stünden 29 Kinder für einen Krippenplatz und 37 Kinder für den Elementarbereich. „Wir können noch so viele Kindertagesstätten bauen“, sagte Bürgermeisterin Meike Moog-Steffens, „das Problem ist, das Personal dafür zu finden.“ Auf die aktuelle Anfrage der Böhme-Zeitung hat die Stadtverwaltung noch nicht reagiert.
Während die Kita Stockholmer Straße im Frühjahr 2024 eröffnen soll, sollte eigentlich jetzt bereits die Kita am Heideweg in Betrieb gehen. Der Start verschiebt sich, wie von Fintel und ihre ebenfalls von der Kita-Not betroffene Freundin Franziska Kemper gehört haben. Ende November sei ihnen mitgeteilt worden, sagt Kemper, solle die Kita in Betrieb gehen. Sie trifft sich mit ihrer Freundin und den Kindern auf Eigeninitiative, um zum Spielplatz zu gehen und Musikgruppen und Kinderturnen zu besuchen. So wollen sie ihnen altersentsprechende Anreize bieten.
„Es ist echt ein Skandal“, regt sich Kemper über den Kita-Notstand auf. Sie hatte geplant, dass ihre Tochter Martha noch ein Jahr bei der Tagesmutter im Schaukelpferd beim Verein zur Pflege an der Verdener Straße betreut wird. Dieses Angebot wurde ihr nun überraschend zum 30. September gekündigt. Sie muss ihree Arbeitszeit nun anpassen: „Ich werde von 80 auf 40 Stunden reduzieren müssen“, sagt sie. Sie werde wieder auf Mini-Job-Basis runtergestuft. „Familienzeit geht uns verloren, da ich dann am Freitagnachmittag und am Wochenende arbeiten gehe, wenn mein Mann zuhause ist und unsere Tochter betreut.“ Auch ihr Arbeitgeber habe sich schon für sie eingesetzt, weil sie in der Hauswirtschaft der Demenzpflege der Wiesentrift-Einrichtung gebraucht wird.
Doch die Unterstützung habe nichts gebracht. Sozialschwache und arbeitslose Eltern hätten bei der Vergabe Vorrang, habe sie gehört. Doch dies empört sie, da Berufstätige wie sie damit benachteiligt würden. „Auf der einen Seite will doch der Staat, dass wir Mütter schnell wieder arbeiten gehen und etwas für unsere Altersvorsorge tun. Aber wenn ich jetzt dadurch 100 Euro weniger Rente habe?“ Sie könne nicht verstehen, dass auf der einen Seite für die Kitaplätze vom Staat geworben werde, aber auf der anderen Seite das Versprechen nicht gehalten werde. Vor allem kann die 33-Jährige nicht nachvollziehen, dass die Stadt überrascht sei, wie viele Kinder es gebe, die nun im Kindergartenalter sind. „Das muss doch alles in den Computern stehen“, meint Kemper.
Von Fintel hat sogar überlegt, früher wieder in den Job einzusteigen. Sie ist von Beruf Erzieherin, vor der Elternzeit bei einer Kita in Buchholz. Als sie vom akuten Personalmangel hörte, der für die Eröffnung der Kita Heideweg entscheidend sein könnte, wurde ihr schon nahegelegt, sich doch zu bewerben.
Ob sie dann eine 100-prozentige Sicherheit für einen Betreuungsplatz bekäme, fragte sie. Dies habe man ihr nicht zusichern können, wundert sie sich noch immer. So könne es für sie nicht funktionieren. Die Väter der Kinder arbeiten in Vollzeit und die Eltern der Frauen sind selbst berufstätig oder pflegen Angehörige, so dass sie nur stunden- oder tageweise in der Kinderbetreuung unterstützten können. Solange helfen sich die beiden Freundinnen untereinander.
Anspruch auf Platz in der Kita
Es gibt laut Niedersächsischem Kultusministerium einen Rechtsanspruch für jedes Kind im Kindergartenalter auf ein Betreuungsangebot in einer Kindertagesstätte im Umfang von vier Stunden an fünf Wochentagen. In einer Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts wurden sogar sechs Stunden gefordert. Ab dem ersten Lebensjahr steht einem Kind in Niedersachsen ein Betreuungsplatz in der Kindertagespflege oder einer Kindertagesstätte zu. Ab dem 3. Geburtstag ist der Besuch der Kita beitragsfrei. Dies gilt bis zur Einschulung. bz