Widersprüche und Unklarheiten
Auf acht Verhandlungstage ist ein Prozess gegen drei junge Soltauer vor der Jugendstrafkammer des Lüneburger Landgerichts anberaumt. Verhandelt werden sollen insgesamt neun Straftaten, wobei Justin F. und Vojtech P. im Mittelpunkt stehen, beide 19 Jahre alt, mit mehreren Vorstrafen und Verurteilungen im Register und vorgeführt aus Straf- beziehungsweise Untersuchungshaft aus dem Jugendgefängnis Hameln.
Beim Prozessauftakt konnte die erste zu verhandelnde Tatvorwurf nicht zu Ende behandelt werden, weil nicht alle geladenen Zeugen befragt werden konnten. Der Bruder des Angeklagten F. war trotz der gerichtlichen Ladung nicht erschienen. Zum heutigen zweiten Prozesstag soll er von der Polizei vorgeführt werden. Außerdem verhängte das Gericht unter dem Vorsitz von Silja Precht ein Ordnungsgeld von 100 Euro, ersatzweise drei Tage Haft, gegen ihn.
Unter anderem wirft die Staatsanwaltschaft Justin F. und Vojtech P. vor, im Februar 2023 Milan A. in dessen Soltauer Wohnung geschlagen und verletzt zu haben, um ihm eine mit 2000 Euro Bargeld gefüllte Tasche zu entwenden. Bei dieser Tat geht Staatsanwältin Carola Schulzke von einer Beteiligung von Cara W. aus. Die 15-Jährige soll sich mit Milan A. per Instagram in dessen Wohnung verabredet haben – ein Vorwand, so die Staatsanwältin, um den beiden anderen Angeklagten Zugang in die Wohnung zu verschaffen. Anschließend habe die 15-Jährige das spätere Opfer mit den beiden anderen Angeklagten allein gelassen. Dabei soll ihr deren Absicht bewusst gewesen sein, den heute 24-jährigen A. „abzuziehen“.
Diesen Hergang bestätigte A. bei der Befragung durch das Gericht. Nach gerade einmal einer Minute in der Wohnung habe die Jugendliche gesagt, sie müsse zur Toilette, sei stattdessen aber zur Wohnungstür gegangen, habe diese geöffnet und die Wohnung verlassen. Daraufhin seien die beiden Hauptangeklagten erschienen, direkt auf ihn im Wohnzimmer zugegangen und hätten auf ihn eingeschlagen, Justin F. mit einem silberfarbenen Schlagstock, Vojtech P. mit Fäusten – „immer wieder“. Zwischenzeitlich habe F. von ihm abgelassen, eine auf einem Sideboard deponierte Halstasche mit Puma-Schriftzung an sich genommen und einen nebenan im Zimmer des Opfers stehenden Fernseher zerstört. Nach weiteren Schlägen und diversen Drohungen hätten die beiden Angeklagten sich entfernt.
In der entwendeten Tasche hätten sich 2000 Euro befunden. Mit dem Geld wollte er mit seinem Vater eine Urlaubsreise in dessen Heimat auf dem Balkan finanzieren, so der Zeuge. Nach der Herkunft des Geldes befragt, sagte der berufs- und arbeitslose A., der Sozialleistungen bezieht, er habe es über einen längeren Zeitraum angespart. Die Frage von F.s Verteidiger Frank Speer, ob es sich möglicherweise um Einnahmen aus Drogenverkäufen gehandelt habe, verneinte der Zeuge, der bei der weiteren Befragung dann zunehmend in die Defensive geriet.
Auf die Frage, weshalb er den Überfall erst nach fünf Tagen bei der Polizei gemeldet habe, konnte er keine überzeugende Erklärung geben. Mehrfach beteuerte er, Angst gehabt „und den Schock meines Lebens“ erlebt zu haben. Ein Polizeibeamter sagte aus, A. habe ihm ein T-Shirt mit Blutspuren übergeben und angegeben, andere Spuren der Tat „übergewischt“ zu haben. Ein Attest über eine ärztliche Untersuchung von A. sechs Tage nach dem vermeintlichen Überfall bestätigte die Verletzungen. Nach Überzeugung von Rechtsanwältin Uta Petschull passten diese nicht zu der beschriebenen Art der Attacken.
Unklar blieb auch, wie die Beteiligten zueinander standen. Während Milan A. angab, Cara W. zuvor nicht oder allenfalls flüchtig gekannt zu haben – sie habe per Instagram Kontakt zu ihm aufgenommen und ihn kennenlernen wollen –, wartete Rechtsanwältin Uta Petschull anhand gesicherter Chatverläufe mit einer anderen Version auf. Demnach könnten sexuelle Absichten im Spiel gewesen sein. Das legten eindeutige Aussagen von Milan A. gegenüber Cara W. und umgekehrt nahe, die laut Chatprotokoll kurz vor dem Treffen gemacht wurden. Dass diese von seinem Handy stammen sollten, konnte A. gar nicht fassen. „Das habe ich niemals geschrieben“, hielt er der Verteidigerin entgegen. Auch die beiden Hauptangeklagten habe A. im Vorfeld der verhandelten Tat besser gekannt als angegeben, sind die Verteidiger überzeugt.
Von den Angeklagten selbst gab es keine Aussagen. Bei Eröffnung des Prozess hatten sie erklärt, sich nicht zu den Tatvorwürfen äußern zu wollen. Es bleibt abzuwarten, ob der für heute erwartete Bruder von Justin F. oder Milan A.s Vater mit ihren Aussagen zur Aufklärung beitragen können und wollen. Letzterer kann erst gegen Ende des Prozesses gehört werden, wenn ein Dolmetscher zur Verfügung steht.
Bei einer weiteren Straftat, die Justin F. zur Last gelegt, der Überfall auf eine Tankstelle in Munster am 20. Februar 2023, herrscht aufgrund von Videoaufnahmen sowie der detaillierten Schilderung des Opfers zum Ablauf dagegen Klarheit. Gegen 20.50 Uhr habe sich die Tür geöffnet und ein junger Mann sei eingetreten, beschrieb die 28-jährige Jasmin D. das Geschehen. Er sei dunkel gekleidet gewesen, mit einer Kapuze auf dem Kopf und einer Stoffmaske in Gesicht. Die Mitarbeiterin hielt sich zu dem Zeitpunkt allein im Verkaufsraum auf.
Angeklagten an Augenpartien erkannt
Zielstrebig sei die Person zu ihr hinter den Kassentresen gekommen. „Er hat ein Messer gezogen und wollte Geld.“ Sie habe die Kasse geöffnet, woraufhin der Räuber die darin befindlichen Scheine entnahm, 125 Euro, und sie aufforderte, auch den Tresor zu öffnen – begleitet von Beschimpfungen. Als „Schlampe“ habe er sie beleidigt und noch schlimmere Ausdrücke benutzt, die sie nicht wiederholen könne.
Nachdem sie mehrfach deutlich gemacht habe, dass sie keinen Schlüssel für den Tresor habe, habe der Räuber mit den erbeuteten 125 Euro das Weite gesucht.
Unmittelbar vor der Tat hatte ein Mann den Kundenraum betreten, möglicherweise um die Lage für den anschließenden Überfall zu sondieren. Er kaufte eine Packung Zigaretten und verließ die Tankstelle wieder. Auf im Außenbereich gemachten Videoaufnahmen ist zu erkennen, dass er der Fahrer eines mit drei Personen besetzten Mercedes CLK war. Bevor das Fahrzeug das Tankstellengelände verließ, stieg der Beifahrer aus. Der Räuber sei etwa zehn Zentimeter größer gewesen als sie. Er habe versucht, einen ausländischen Akzent vorzutäuschen, erinnert sich die Zeugin. Zwischendurch, als er sich nicht darauf konzentriert habe, sei jedoch deutlich geworden, dass er sich verstellen wollte. Trotz der Kapuze und der Gesichtsmaske, die er trug, identifizierte die Zeugin den wenige Meter entfernt auf der Anklagebank sitzenden Justin F. als Täter – sie erkenne ihn anhand der Augenpartien wieder. Ob es sich bei dem Fahrer um Vojtech P. gehandelt haben könnte, da sei sie aber nicht sicher.
Die Tankstellenmitarbeiterin schilderte den Ablauf des Überfalls klar, wirkte bei der Befragung jedoch angespannt. Sie unterziehe sich seit dem Überfall einer Traumatherapie mit Sitzungen in mehrwöchigem Abstand. Das helfe ihr, das Erlebte zu verarbeiten. Abgeschlossen habe sie damit aber noch nicht: „Ich fühle mich noch immer unbehaglich in der Dunkelheit.“