Heute gebraucht, morgen überflüssig
Die Böhme-Zeitung berichtet regelmäßig über fehlende Fahrzeuge, Bus-Ersatzverkehr, überfüllte Waggons, Verspätungen und Zugausfälle auf dem Heidekreuz. Die Kritik richtet sich dabei vor allem an den Streckenbetreiber Start Niedersachsen Mitte. Aber die Bahn hat insgesamt Probleme. Das erlebten Fahrgäste auf den Heide-Strecken am Freitag massiv: Ab dem frühen Nachmittag ging nichts mehr. Grund war ein Stellwerksausfall in Soltau.
Der Bahnverkehr im nördlichen Heidekreis kam zum Erliegen, die Linie RB 38 (Hannover-Buchholz) verkehrte nur noch zwischen der Landeshauptstadt und Dorfmark. Auch übers Wochenende wird es Einschränkungen geben, allerdings nur auf der Strecke zwischen Soltau und Bremen. Hier war in den vergangenen Wochen ohnehin ein Ersatzverkehr mit Bussen eingerichtet. Mittlerweile fahren zwischendurch wieder einige Züge auf der Strecke – bis Montag nun wieder ausschließlich Ersatzbusse. „Wir betonen ausdrücklich, dass diese Situation auf eine unvorhergesehene Entwicklung außerhalb unserer Kontrolle zurückzuführen ist“, heißt es vom viel gescholtenen Bahnunternehmens Start Niedersachen Mitte.
„In diesem Fall trifft Start tatsächlich keine Schuld“, bestätigt Malte Diehl, Landesvorsitzender des Fahrgastverbands Pro Bahn. Immer wieder kommt es bundesweit zu Zugausfällen wegen nicht besetzter DB-Stellwerke. „Bisher kam Niedersachsen recht glimpflich davon“, sagt Diehl mit Blick etwa auf Thüringen, wo es zwischen Erfurt und Nordhausen seit Monaten gehäuft zu Zugausfällen wegen fehlendem Stellwerk-Personal kommt. „Die Probleme sind hausgemacht“, so Diehl.
Die Personaldecke ist nicht nur bei der Bahn dünn. Doch in den Stellwerken kommen zum allgemeinen Facharbeitermangel weitere Faktoren hinzu. Die Bahn will den Personalaufwand in ihren Stellwerken durch Digitalisierung stark reduzieren. Doch die Umstellung verläuft langsamer als vorgesehen, die Personalplanung ist dadurch in Schieflage geraten. „Es gab mal den Plan, das Schienennetz ganz Deutschlands aus wenigen Betriebszentralen heraus zu bedienen“, erinnert sich Diehl an große Visionen. Tatsächlich ist die Zahl der Stellwerke immer noch unüberschaubar groß, das System kleinteilig. Stellwerke aus verschiedenen Bauserien unterscheiden sich technisch stark, spezialisierte Fachkräfte können nicht überall eingesetzt werden. Zudem gilt es, die jeweiligen Gleise und Weichen am Ort zu kennen. Fehler können schlimme Folgen haben. Wie 2016 beim Zugünglück im bayerischen Bad Aibling mit zwölf Toten. Ein abgelenkter Fahrdienstleiter hatte fahrlässig zwei Züge in entgegengesetzter Richtung aufeinander zufahren lassen. Daher gilt: Sicherheit geht vor. Im Zweifel – wenn eine Schicht nicht besetzt werden kann – kommen die Züge zum Stehen.
Die Personalgewinnung sei auch deshalb schwierig, weil die Jobs im Stellwerk für junge Menschen trotz guter Bezahlung „keine prickelnde Perspektive bieten“, so Diehl. Jeder wisse schließlich: Das Ziel der Bahn ist es, die Digitalisierung voranzutreiben und ein Großteil des heute dringend benötigten Personals für die Zukunft überflüssig zu machen.