Zug zu spät: Abiturient verpasst Entlassungsfeier

Auf der Amerikalinie stehen die Signale seit über zwei Wochen nicht für die Autos, sondern für die Züge komplett auf Rot. Foto: vo

Und täglich grüßt das Murmeltier: Die Serie von Pannen, haarsträubenden Situationen und Totalausfällen auf der Heidebahn ließe sich ins Unendliche verlängern. Seit der vergangenen Woche ist sie um eine ärgerliche individuelle Episode reicher. Landrat Jens Grote schilderte sie am Freitag in der Kreistagssitzung. Er habe am Vortag an der Abiturienten-Entlassungsfeier des Gymnasiums Soltau teilgenommen – anders als ein Abiturient, der nicht dabei war, weil er mit der Heidebahn nicht rechtzeitig nach Soltau kommen konnte.

„Das geht gar nicht“, so Grote, und sei doch nur ein weiteres Beispiel, wie unzumutbar und frustrierend sich die Situation auf der Heidebahn für viele Schüler, Pendler und auch für den Landkreis als Kunde von Start im Bereich vonSchülerbeförderung darstelle: „Beschwerden dazu erreichen auch uns nahezu täglich.“ Am selben Tag eine weitere aus dem südlichen Teil des Heidekreises, als nach der sechsten Schulstunde die Schülerinnen und Schüler von Walsrode Richtung Hodenhagen und Schwarmstedt mit 44 Minuten Verspätung befördert wurden.

Für Grote eine weitere Zuspitzung einer bereits nicht hinnehmbaren Situation. Seit Mitte Juni habe sich die schon ohnehin unzureichende Qualität des Zugverkehrs auf den Regionalbahnen 37 Bremen – Soltau – Uelzen und 38 Hannover – Soltau – Buchholz in nicht mehr vermittelbarer Weise negativ entwickelt. Aufgrund deutlich zu wenig betriebsbereiter Triebwagen ist seit Mitte Juni der Betrieb auf der RB 37 komplett auf Schienenersatzverkehr umgestellt (die BZ berichtete mehrfach) und der Betrieb auf der RB 38 wird anstelle von Dreifach- oder Doppeltraktionen fast ausschließlich mit Einzeltriebwagen bei fast täglichem Ausfall einzelner Züge.

„Verlagerung auf Busse ist de facto unmöglich“

Und doch sind die Möglichkeiten zu reagieren begrenzt. Aus der Elternschaft gebe es zunehmend Forderungen, die Schülerbeförderung von der Schiene auf durch den Landkreis neu einzurichtende Buslinien zu verlagern. Aber: „Bei alleine rund 600 Schülerinnen und Schülern, die die Bahn nutzen und vom Heidekreis einen Fahrausweis erhalten, ist eine Verlagerung auf Busse schon de facto unmöglich, da Busse und auch Busfahrerinnen und -fahrer in ausreichender Zahl nicht am Markt sind.“

Gespräche mit den Verantwortlichen von Start Niedersachsen Mitte und der Landesnahverkehrsgesellschaft (LNVG), zuletzt vergangenen Montag in einer Videokonferenz, hätten deutlich gemacht, dass der Mangel an einsatzfähigen Fahrzeugen aufgrund fehlender Kapazitäten in Werkstätten zur Wartung und Reparatur sowie fehlender Ersatzteile nicht in einem kurzen und absehbaren Zeitraum behoben werden könne. Nach seiner Einschätzung, die wohl auch die LNVG als Auftraggeber von Start teile, würde ein Betreiberwechsel an der Situation nichts ändern, denn es handele sich um einen systemischen Fehler: „Es gibt zu wenig Geld im System, zu wenig Waggons und keine ausreichende Bevorratung von Ersatzteilen.“ Wegen des Fachkräftemangels müssten Werkstattkapazitäten gebündelt werden. Grote: „Es war insbesondere ein Fehler, auf die Werkstatt in Soltau zu verzichten.“

Kleinteiliges Herumdoktern helfe nicht weiter. Es brauche einen Masterplan: „Es müssen dringend mehr Züge beziehungsweise Waggons auf die Strecke und Verschleißteile ausreichend vorgehalten, nicht erst bei Bedarf beschafft werden.“ Da sieht der Landrat den Schlüssel beim Mutterkonzern des Betreibers, denn Start stehe mehr oder weniger alleine vor den Problemen und habe keine Aussicht, sie alleine beheben zu können. „Ich kann nicht erkennen, dass es eine nachhaltige Strategie der DB gibt, eigenständige Konzerngesellschaften wie Start bei Wartung und Personalengpässen zu unterstützen.“ Auch beim Metronom komme es zu erheblichen Ausfällen.

Der Heidekreis habe sich bemüht, mit Wirtschaftsminister Olaf Lies ins Gespräch zu kommen. „Es muss vom Land mit zusätzlichen Ressourcen und veränderten Zuständigkeiten für eine kurzfristige, aber auch nachhaltige Lösung der genannten Probleme gesorgt werden.“ Voraussichtlich Mitte September werden die Verantwortlichen von Start und der LNVG auf Einladung von Samtgemeindebürgermeister Björn Gehrs den Bürgern in Schwarmstedt Rede und Antwort stehen müssen. Frustrierend, dass so etwas fast Tradition im Heidekreis hat.

Ob das Treffen den Durchbruch bringen könne? Da hält sich Grote bedeckt und appelliert an die Hartnäckigkeit und den Durchhaltewillen aller Beteiligten: „Bitte, lassen Sie nicht nach, Verbesserungen bei Start einzufordern und resignieren Sie nicht. Verkehrswende und Klimaschutz sind alternativlos und wir müssen die dafür erforderlichen Maßnahmen weiter gemeinsam auf allen Ebenen einfordern.“ Gleichwohl sei es „schade und frustrierend, dass solche Veranstaltungen inzwischen fast schon eine Tradition im Heidekreis haben“.

Reinhard Vorwerk