Besuch aus Berlin will Sorgen und Nöte anhören
Der Protest gegen die mögliche Neubaustrecke der Bahn durch das Gewerbegebiet Horstfeld in Bispingen ist in Berlin angekommen. Der Vorsitzende des Bundesverkehrsausschusses Udo Schiefner (SPD) wird am Dienstag, 11. Juli, zum Gespräch in Schumachers Kartcenter erwartet. Im Gespräch mit Unternehmern sowie Vertretern aus der Kommunalpolitik und von Bürgerinitiativen will er hören, welche Sorgen und Nöte sich durch die Planungen der Deutschen Bahn für eine ICE-Fernverkehrsstrecke zwischen Hamburg und Hannover breitmachen. SPD-Chef Lars Klingbeil hat das Angebot ernst genommen: Im Nachgang des Besuchs der Landkreisvertreter Anfang Mai im Verkehrsausschuss, bei dem die Haltung gegen die Streckenvariante durch das erfolgreiche Gewerbegebiet deutlich wurde, hatte Schiefner einen direkten Austausch vor Ort vorgeschlagen. Auch im Landkreis Celle will er mit Betroffenen sprechen.
„Der Ausschussvorsitzende hat uns verstanden“, sagte Bürgermeister Dr. Jens Bülthuis am Donnerstag bei der Ratssitzung im Kartcenter. Er war stellvertretend für die Bürgermeister gemeinsam mit Landrat Jens Grote bei dem Austausch in Berlin dabei. In Zukunft könnte es sein, dass hier nicht mehr getagt werden könnte, sagte Bülthuis in Anspielung auf die Trassenführung über das Horstfeld. Schumachers Kartcenter müsste weichen. Der kurzfristig anberaumte Termin mit dem Verkehrsausschussvorsitzenden nährte seine Hoffnungen, dass sich durch den Gegenbesuch die Chancen erhöhen, eine Neubaustrecke durch Bispingen verhindern zu können. Wobei die Bahn in ihren Vorschlägen auch eine Streckenführung durch die Ortsteile anbietet. Entscheiden wird darüber der Bundestag voraussichtlich im zweiten Halbjahr, nachdem der Fachausschuss darüber beraten hat.
Sichtbar und hörbar sollte auch der Bürgerprotest werden, so die Aufforderung von Stephan Müller, dem Sprecher der Bürgerinitiative Unsynn. Allerdings sollte dem Verkehrsausschussvorsitzenden Schiefner signalisiert werden, dass sich der Protest nicht gegen ihn richte – im Gegenteil, über seinen Besuch freue man sich. Doch forderte Müller im Sinne von Klingbeils Engagement für die Region Rückhalt der Bürger ein. Klingbeil stecke derzeit Prügel ein, dafür, dass er sich in seiner Region gegen die Neubaupläne der Bahn positioniere. „Wir sind es ihm schuldig“, sagte Müller, der trotz bislang nicht erfolgreicher Nachfolgersuche von seinem Amt als Sprecher zurückgetreten ist.
„Der Protest erlahmt“
Mit rund 25 Menschen im Publikum ist die Ratssitzung in Bispingen am Donnerstag gut besucht gewesen. Doch für Stephan Müller ist es trotzdem zu wenig Beteiligung. Er hätte rund 150 Menschen erwartet, denn er hatte alle Mitglieder der Bürgerinitiative Unsynn angeschrieben. Bürger für den Protest zu motivieren, wird schwieriger, so sein Eindruck, „Die Menschen sind müde geworden, der Protest erlahmt.“ Persönlich sei er enttäuscht, trotz mehrfachen Appells keinen Nachfolger gefunden zu habe. Er machte seine Ankündigung jetzt wahr und trat gestern als Sprecher für Bispingen der Bürgerinitiative Unsynn zurück. Nichtsdestotrotz wolle er sich auch in Zukunft in der Bürgerinitiaitve Unsynn engagieren, dann aber überregional. Seit acht Jahren kämpft er für den Ausbau der Bestandsstrecke zwischen Hamburg und Hannover und gegen einen Neubau der ICE-Fernverkehrsstrecke.
Er versuchte Rat und Verwaltung wachzurütteln, indem er vortrug, wie sich die Bahnpläne entwickelt haben. Vom Alpha-E-Kompromiss des Dialogforums Schiene Nord, der einen Ausbau der Bestandsstrecke beinhaltet bis zu einer apokalyptischen Fiktion in die Zukunft. Doch Reaktionen und Nachfragen der politischen Fraktionen blieben aus. Mit Bildern von ICE-Großbaustellen aus anderen Regionen Deutschlands hat Müller zusätzlich versucht, das Szenario, das Bispingen und der Region bevorstehen könnte, deutlich zu machen. Denn entgegen der Einschätzungen vieler Bürger, dass die Neubauvariante doch nicht einfach so von der Bahn und der Politik auf Bundesebene beschlossen werden könnte, wie Müller als Ortsvorsteher immer wieder hört, skizzierte er die nächste Schritte. Es steht im Herbst der Beschluss des Planungsbeschleunigungsgesetzes im Bundestag an. Infrastruktur-Projekte von überragendem Interesse sollen so leichter und schneller durchgesetzt werden können. Die Bürgerinitiative Unsynn hatte bereits vor der Beratung kürzlich auf das Detail in der Gesetzesvorlage hingewiesen, dass Geschwindigkeiten von 300 Stundenkilometer dort explizit erwähnt wurden, die nur auf einer neuausgebauten Strecke möglich wären. Dies wäre dann eine Vorfestlegung, die den ausgehandelten Kompromiss des Dialogforums Schiene Nord für einen Ausbau der Bestandsstrecke für nichtig erklären würde.
„Durch den Einbruch der Steuereinnahmen droht Bispingen die wirtschaftliche Selbstständigkeit zu verlieren, denn einige größere Bauprojekte aus der Vergangenheit müssen noch bezahlt werden“, sagte Müller. Er spitzte damit zu, was schlimmstenfalls der Gemeinde drohen könnte.
Wie die Unternehmer mehrfach deutlich machten, wird mit dem Abriss von Kartcenter, McDonalds, Tankstelle, Spielhalle und KFC auch der Niedergang der anderen touristischen Betriebe befürchtet. Auch bezweifeln sie, dass sie die mehrjährige Bauzeit überleben würden.
Müller rechnet wiederum in realistischer Weise damit, dass der Bundestag sich im ersten Halbjahr 2024 mit den Beratungen zu den Streckenvarianten, davon eine bislang noch nicht benannte Vorzugsvariante beschäftigen wird. Deutlich kritisierte er die DB Netz AG, sie habe in allen bisherigen Verfahren oft nicht korrekte Angaben gemacht. „Sie arbeitet ausschließlich intransparent, woher ihre Zahlen und Daten stammen, können wir nur raten. Die Arbeitsergebnisse kommen wie das berühmte Kaninchen aus dem Zylinder.“ Das Ziel der Bahn sei seit 30 Jahren eine Neubaustrecke von Hamburg nach Hannover, so Müller. Er nimmt die Position des Bundesministerium so wahr, dass sowohl die Generalsanierung der Bestandsstrecken „mit so viel Alpha E wie möglich“ als auch ein Neubau befürwortet werde, damit der Deutschlandtakt erreicht wird. „Man will also alles.“
Eindrücklich richtet Müller seinen Appell an Rat und Gemeinde, eine öffentliche Informationsveranstaltung für die Bürger zu veranstalten. Vorbild sei für ihn die Gemeinde Seevetal. Die Gesamtsituation sei komplex, ohne fachliche Kompetenz von Gutachtern und Juristen könne auch die Bürgerinitiative den Sachverhalt nicht überblicken. Auch wenn die Entscheidung bei dem großen Bahninfrastrukturprojekt auf die Zielgerade einbiegt, legt Müller sein Amt als Sprecher nieder. Es habe viel ehrenamtliche Arbeit auf seinen Schultern gelastet. Deshalb habe er bereits vor einem Jahr den Rat informiert, dass er sein Amt abgeben wolle. Auch wenn er Lara Abels aus Hützel als Unterstützerin für die Arbeit auf Social Media habe gewinnen könne, sei er enttäuscht, keinen Nachfolger gefunden zu haben. Für Christian Deppner von der Bürgerinitiative X durch Y in der Gemeinde Brackel, der zusammen mit Stefan Mundt und Horst Bellof von der Bürgerinitiative Trassenalarm zur Ratssitzung gekommen war, ist es eine Katastrophe, dass Müller als Sprecher aufgibt. „Er reißt eine große Lücke“, so Deppner.