Jede Stimme zählt: Kampfabstimmung um IGS
Nach der Sitzung des Kreis-Schulausschusses am Donnerstag scheint Gewissheit, was viele befürchtet haben: Bei der wichtigsten schulpolitischen Entscheidung, die die Bildungslandschaft des Heidekreises, insbesondere im südlichen Teil, über Jahrzehnte prägen wird, wird es eine Kampfabstimmung geben (BZ vom 23. Juni). Kommenden Freitag geht es im Kreistag um die Frage, ob der Heidekreis als einer der letzten Kreise Niedersachsens eine Integrierte Gesamtschule (IGS) mit Sitz Bad Fallingbostel erhält, die auch zur Entlastung des Walsroder Gymnasiums beitragen soll, oder ob ein zweites Gymnasium in Walsrode eingerichtet wird.
Dabei kommt es auf jede Stimme an. Auf der einen Seite haben sich die SPD mit 16 Abgeordneten, Bündnis 90/Die Grünen (6) und Landrat Jens Grote mehr oder weniger klar für eine IGS positioniert. Dagegen haben die Sprecher von CDU (16), FDP/BU (5) und AfD (3) angekündigt, dass sie die von der Verwaltung in einem „Hilfsantrag“ vorgeschlagene Gründung eines zweiten Gymnasiums favorisieren werden. Bei den drei UWG-Kreistagsmitgliedern gibt es nach Aussage ihres Sprechers Thomas Gross kein einheitliches Abstimmungsbild. So könnte am Ende die Stimme des einzigen Vertreters der Linken den Ausschlag geben, der in der bisherigen knapp zweijährigen Kreistagsperiode meist durch Abwesenheit glänzte.
Sollte die Entscheidung gegen eine IGS fallen, wäre der Landrat ein Verlierer dieser Auseinandersetzung. Denn Grote hatte sich im vorangegangenen Ausschuss mit Nachdruck für eine IGS-Gründung ausgesprochen und eine mit viel Lob bedachte Lösung vorgestellt. Diese könnte neben der Etablierung einer neuen, zeitgemäßen Schulform für den ganzen Heidekreis ein gymnasiales Angebot für Bad Fallingbostel bringen, den Schulstandort Bomlitz sichern und würde das überlastete Gymnasium Walsrode entlasten.
Von der dabei ebenfalls diskutierten Idee einer IGS „Böhmetal“ mit einer Außenstelle in Bomlitz hatte die Verwaltung nach Rücksprache mit den Schulleitern aus pädagogischen Erwägungen wieder Abstand genommen, zumal das Kultusministerium dieses Konstrukt als „derzeit für nicht genehmigungsfähig“ bewertet habe. Zudem hatte die Stadt Walsrode raumplanerische Bedenken geäußert und sogar beim Kultusministerium interveniert. So bleibt es bei der kleineren Lösung, die der Landrat der Politik zuversichtlich ans Herz legte: „Wir schlagen Ihnen frohen Mutes eine IGS nur in Bad Fallingbostel vor.“ Die solle ab dem Schuljahr 2024/25 beginnend mit Klassenstufe fünf aufgebaut und später um eine gymnasiale Oberstufe ergänzt werden.
„Wenn es dieses Mal nicht klappt, wird das nie mehr was“
Die Fronten beim Thema IGS Bad Fallingbostel sind klar, sie verlaufen entlang der Parteigrenzen. Befürworter bezeichneten am Donnerstag im Schulausschuss die Integrierte Gesamtschule als überfälliges Bildungsangebot für den Heidekreis, das nicht nur den Belangen der Schüler am besten gerecht werde, sondern auch ein Standortfaktor sei, der bei Ansiedlungs- und Zuzugsentscheidungen zunehmend Bedeutung erhalte. Kritiker bezweifeln hingegen, dass eine IGS in der Kreisstadt die angespannte Situation des Walsroder Gymnasium nachhaltig entspannen würde. Sie plädieren für die Beibehaltung des dreigliedrigen Schulsystems. „Letzten Endes ist das auch eine Glaubensfrage“, sagte AfD-Mann Alfred Dannenberg in der Diskussion. Das von Landrat Jens Grote empfohlene Vorgehen sei für die CDU „erst mal nachvollziehbar“, räumte Torsten Söder ein, um dann mehrere Einwände nachzuschieben. Vierzügig, wie vorgeschlagen, wäre eine IGS in Bad Fallingbostel zu klein. Mindestens eine Sechszügigkeit, bis zu 180 Schüler, brauche es, um die erforderlichen Schülerzahlen für eine gymnasiale Oberstufe zu generieren. „Wo sollen die aber herkommen?“, so Söder, der zudem erhebliche Probleme bei der Schülerbeförderung befürchtet. Auch sehe er in einer IGS in der Kreisstadt eine Gefahr für einen dann „teuer ausgebauten“ Schulstandort Bomlitz. Angesichts vieler offener Punkte wäre es aus CDU-Sicht daher fahrlässig, „heute oder im Kreistag eine Entscheidung dafür zu treffen. Deshalb stimmen wir jetzt für ein zweites Gymnasium in Walsrode.“ Später könne man immer noch eine IGS gründen – „in Bad Fallingbostel oder woanders“.
Das habe woanders auch geklappt, hielt Franka Strehse (SPD) Söder entgegen und verwies beispielhaft auf die anfangs niedrigen Zahlen bei der Einrichtung des gymnasialen Zweigs an der KGS Schneverdingen. Eine IGS wäre eine Angebotsschule nicht nur für Bad Fallingbostel, „sie tut dem ganzen Heidekreis gut“, so die Neuenkirchenerin und befand: „Das dreigliedrige System ist nicht gut. Ziel ist nicht Abi für alle, sondern so weit wie möglich das Beste für jeden Einzelnen.“
Als zu hoch angesetzt sieht auch Heinz-Dieter Braun, der als hinzugewähltes Mitglied im Ausschuss sitzt, die von Söder angesprochene Sechszügigkeit. „Mit der Entwicklung kommt der Zulauf“, forderte der DGB-Kreisvorsitzende ein Votum pro IGS jetzt und warnte: „Wenn es dieses Mal nicht klappt, wird das hier nie mehr was.“ Das sieht auch der Landrat so: „Sonst ist die IGS im südlichen Heidekreis tot.“
Kern des Problems sei die Raumnot des Gymnasiums Walsrode, gibt es für Dannenberg Wichtigeres. Er sprach sich dafür aus, das bestehende Nebeneinander der Schulformen nicht anzutasten. Für Lüder Warnecke (FDP) hat die Sanierung der maroden Oberschule Bomlitz Priorität.
„Wir sprechen viel zu sehr über Eltern“
Isabell Lohrengel (SPD) führte ihre eigene Biografie ins Feld. Sie habe „alle Vorteile einer IGS“ bei ihrem Studium in Hannover kennen- und schätzengelernt, so die Walsroderin. „Sie ist ein guter Weg für alle Schüler.“ So sah es auch hier Parteifreund Birhat Kaçar: Die IGS ist die beste Schulform, bei der Schüler das Beste erreichen können.“ Um die gehe es schließlich, so der Soltauer, der meinte: „Wir sprechen viel zu sehr über Eltern.“ In die gleiche Kerbe schlug Carsten Gevers: „Bündnis 90/Grüne präferieren vor allen Dingen aus pädagogischen Gründe die IGS.“
„Ich verstehe die CDU-Argumente nicht“, sagte Schülervertreter Yanik Möller in Richtung der Union. Der Schüler der KGS Schwarmstedt, der kommende Woche sein Abiturzeugnis erhält, nannte deren Schulvorstellungen „nostalgisch“. Viele Schüler hätten Probleme mit dem dreigliedrigen System und würden bereits in der Grundschule von Ängsten geplagt.
„Seien Sie ein bisschen mutig für den Vorschlag mit den größtmöglichen Möglichkeiten“, warb Landrat Grote vor der Abstimmung um eine Mehrheit für seinen Vorschlag – erfolglos: Bei Stimmengleichheit von 7:7 wurde der Beschlussvorschlag an den Kreisausschuss für die Einrichtung einer vierzügigen IGS Bad Fallingbostel abgelehnt. Stattdessen gab es eine knappe Mehrheit für ein zweites Gymnasium in Walsrode. Jetzt ist der Kreistag am Zug.