„Das Vertrauen der Passagiere steht auf dem Spiel“
Zugreisende auf den Schienen des Heidekreuzes erleben ein böses Déjà-vu. Vor einem Jahr, im ersten Sommer unter der Verantwortung des damals neuen Streckenbetrei- bers Start Niedersachsen Mitte, einer Unternehmenstochter der Deutschen Bahn, herrschte monatelang Chaos an den Bahnhöfen und in den Zügen. Fahrten fielen regelmäßig aus oder verspäteten sich, der Fahrplan diente nur noch als grobe Orientierung. Züge waren oft heillos überfüllt, die Mitnahme von Fahrrädern wurde ausgesetzt, Passagiere mussten bangen, sich noch irgendwo in ein Abteil drücken zu können.
Dem Unternehmen kam all das teuer zu stehen, die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen (LNVG) schickte im vergangenen November eine Zahlungsaufforderung über 2,7 Millionen Euro raus. Der Betrag setzte sich zusammen aus einer Vertragsstrafe und Abzügen wegen verspäteter oder ausgefallener Züge. „Wir gehen davon aus, dass die Strafe dazu beitragen wird, dass es zu nachhaltigen Leistungsverbesserungen kommt“, erklärte Landrat Jens Grote damals zuversichtlich gegenüber dieser Zeitung.
Mit seiner Prognose sollte Grote falsch liegen. Pünktlich zum kalendarischen Sommerbeginn am Mittwoch spitzt sich die Lage auf dem Heidekreuz wieder dramatisch zu. Das Unternehmen steht erheblich unter Druck. „Wir wissen, dass das Vertrauen unserer Passagiere auf dem Spiel steht“, sagt Betriebsleiter Mathias Hoff.
Seit Mitte letzter Woche verkehren keine Züge mehr auf der Linie RB37 zwischen Verden und Uelzen, der Streckenbetreiber hat einen Ersatzverkehr mit Bussen eingerichtet. Grund seien fehlende Fahrzeuge. Die BZ wollte wissen, wer Verantwortung trägt für den Fahrzeugmangel – und stieß dabei zunächst einmal auf die LNVG. Sie beziehungsweise das Land ist Eigentümerin der Fahrzeuge und vermietet diese an die jeweiligen Streckenbetreiber.
Die Behörde reicht den Schwarzen Peter allerdings umgehend weiter. „Die Gründe für die aktuellen Probleme liegen im Wesentlichen in der Instandhaltung der Fahrzeuge“, erklärt Dirk Altwig auf BZ-Anfrage. „Die volle Verantwortung für die Instandhaltung der Fahrzeuge liegt bei Start, dafür bezahlt die LNVG ja auch“, stellt der Behördensprecher klar. „Wir werden ausgefallene Fahrten nicht bezahlen und prüfen Vertragsstrafen und weitere vertragliche Instrumente.“
Zumindest noch bis zum 25. Juni ist auf der Linie RB 37 (Bremen-Uelzen) ein Notbetrieb mit Bussen eingerichtet. Die Maßnahme wurde laut dem Bahnunternehmen Start Niedersachsen Mitte notwenig, weil zu wenige Fahrzeuge zur Verfügung stehen. Ein Problem, das Stammkunden bereits kennen. Es führt nicht nur dazu, dass immer wieder Fahrten aus- fallen müssen. Es hat auch zur Folge, dass kürzere Züge eingesetzt werden und es in den Wagen zu Drangzeiten unangenehm eng wird.
Ausgerechnet zum Beginn der Ferienzeit ist die Fahrzeugverfügbarkeit jetzt auf ein kritisches Level gesunken. Die Probleme seien „Folge einer Reihe von unvorhergesehenen Störungen und Ausfällen, die erhebliche Auswirkungen auf unsere Flotte hatten“, erklärt Start-Betriebsleiter Mathias Hoff in einer Stellungnahme gegenüber einem Bahnkunden, der Zugausfälle auf der Linie RB 37 aus der jüngsten Vergangenheit dokumentiert hat. An manchen Tagen fielen demnach bis zu fünf Züge hintereinander aus.
LNVG fordert besseres Instandhaltungsmanagement
Hoff versucht nicht, die Probleme kleinzureden. Der Ersatzverkehr mit Bussen sei die Antwort darauf. „Dies ist sicherlich nicht die ideale Lösung und wir sind uns bewusst, dass es dadurch zu Abweichungen im Fahrplan kommt.“
Probleme bei der Fahrzeugverfügbarkeit im Dieselnetz Niedersachsen Mitte erkennt auch die Landesnahverkehrsgesellschaft (LNVG), sieht sich als Eigentümerin der Flotte aber nicht in der Verantwortung. „Für eine funktionierende Wartung braucht es genügen Werkstätten, Personal und Ersatzteile, dafür muss Start sorgen“, so LNVG-Sprecher Dirk Altwig. Die Anzahl der an Start vermieteten Fahrzeuge reiche aus.
Dem Unternehmen stünden für das Netz Niedersachsen Mitte insgesamt 38 Fahrzeuge zur Verfügung. Der tägliche Betrieb benötige nur 28, sodass genügend Reservefahrzeuge zur Verfügung stünden. Die Flotte ist allerdings ziemlich alt. 25 Züge stammen aus dem Baujahr 2011, elf sogar aus 2003. Die älteren seien zwischenzeitlich modernisiert worden, dies werde auch mit den jüngeren Fahrzeugen noch geschehen. Die wirtschaftliche Lebensdauer von Eisenbahnzügen liege im Schnitt bei 30 Jahren. „Es geht hier um Züge, von denen viele hundert in Deutschland fahren, das muss auch die DB- Tochter Start hinbekommen“, sagt Altwig. Sei eine Werkstatt im Betrieb eingeschränkt, sei es Angelegenheit des Streckenbetreibers, die Lücke durch Aufträge an Dritte zu schließen. Bei der LNVG sieht man das Hauptproblem offenbar im Instandhaltungsmanagement. „Wir bieten Start an, mit externen Fachleuten die Abläufe bei der Instandhaltung zu überprüfen.“