Mangel macht den Lehrer-Beruf nicht attraktiver
Heidekreis. Der Druck an den Schulen wächst in Niedersachsen. Wie sich zum Halbjahreswechsel herausstellte, fehlt es vielen Schulen an Lehrern. Der Durchschnittswert der Unterrichtsversorgung an den allgemein bildenden Schulen liegt im ersten Halbjahr des Schuljahres 2022/2023 bei 96,3 Prozent. Im Vorjahr lag dieser Wert noch bei 97,4 Prozent. Kultusministerin Julia Willie Hamburg sieht großen Handlungsbedarf. „Das Delta zwischen Wunsch und Wirklichkeit ist erneut größer geworden“, sagte sie zu Beginn des zweiten Halbjahres. Doch die Ideen, wie der Lehrermangel kurzfristig behoben werden soll, stoßen bei den Schulleitern im Heidekreis wenig auf Zustimmung.
Hohe Arbeitsbelastung
Auf die schon jetzt große Arbeitsbelastung geht Björn Edelmann, Leiter der Realschule Munster, ein, der die Vorschläge der Kommission der Kultusministerkonferenz in den Einzelheiten zwar nicht kommentieren will, aber mitteilt: „Man kann aber schon heute feststellen, dass die Lehrkräfte unter einer hohen Arbeitsbelastung stehen, gerade im Zuge von Abordnungen und auch Mehrarbeit, die durch kurzfristige Ausfälle von Kolleginnen und Kollegen aufgefangen werden müssen.“ Er sieht die Gefahr, dass die Vorschläge der Kommission Irritationen auslösen und „für eine zukunftsorientierte Schulpädagogik und Schulorganisationsfrage nicht förderlich sind“.
Zwangsvollzeit nicht gutheißen
Weniger Teilzeit-Anstellungen zu ermöglichen, soll eine Option sein mit dem vorhandenen Personal im Kollegium zurechtzukommen. „Eine Zwangs-Vollzeit würde ich nicht gutheißen“, sagt Iris Wagner. Die Schulleiterin der Grund- und Oberschule in Bispingen weist darauf hin, dass es durchaus ein Bewusstsein im Kollegium für die aktuelle Mangelsituation gäbe. Mehrere Lehrkräfte hätten mit einer Erhöhung der Stundenkontingente reagiert. Die Bereitschaft, der eigenen Schule, ein Maximum der eigenen Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen, wenn Lehrkräfte fehlen, sei da. Für Lehrer ist die Möglichkeit in Teilzeit zu arbeiten, eine beliebte Anstellung, oft aus familiären Gründen heraus. An der KGS arbeiten aktuell etwa ein Viertel der Lehrer in Teilzeit. Das ist eine etwa gleichbleibende Zahl seit vielen Jahren, teilt Schulleiter Mani Taghi-Khani dazu mit. Zudem erinnert Wagner daran, dass Teilzeitkräfte sich bewusst für eine reduzierte Stundenzahl entschieden hätten, und es dafür auch weniger Geld gibt.
In Notlage Mehrarbeit vorstellbar
Die Klassen zu verdichten, das heißt mehr Schüler in einer Klasse, ist ein weiterer Vorschlag genauso wie die Stundenzahl der Lehrer punktuell aufzustocken. Wagner erinnert sich an ihren Berufseinstieg: „Als ich vor 23 Jahren angefangen habe, als Lehrerin zu arbeiten, gab es schon einmal ein verpflichtendes Arbeitszeitkonto. Die Lehrkräfte haben zu der Zeit ein bis zwei Stunden wöchentlich mehr unterrichten müssen, die hinterher zu einem schlechten Kurs ausgezahlt oder über den gleichen Zeitraum abgebummelt werden konnten“, berichtet sie. Das sei in einer Notlage wie aktuell wieder vorstellbar, doch man müsse sich bewusst sein, dass Lehrkräfte schon jetzt sehr viel mehr arbeiten. Dem pflichtet auch Taghi-Khani bei: „Was hinter zwei Stunden wöchentlicher Mehrarbeit für engagierte Lehrkräfte steckt (Vorbereitung und Nachbereitung des Unterrichts, Korrekturen, Schülergespräche, Elterngespräche, Teamsitzungen mit Kollegen) können nur Praktiker beurteilen.“ Aus dem Ruhestand heraus wieder an die Schule zurückzukehren, ist ebenfalls ein Vorschlag, der durchaus schon jetzt möglich ist und in der Praxis erlebbar ist. Die GOBS Bispingen beschäftigt derzeit stundenweise zwei pensionierte Lehrerinnen. Dies sei für die Schule, so Wagner, eine tolle Möglichkeit zusätzliche Lehrkräftestunden zu erhalten. Doch viele Lehrerinnen und Lehrer wünschen für ihren Ruhestand, nicht mehr in ihrem Beruf zu arbeiten und dies müsse man respektieren. Zumal sich auch der Zeitpunkt der Pension wie bei der Rente nach hinten verlagert habe, so Wagner. Aktuell liegt die Regelaltersgrenze für Lehrer bei 67 Jahren.
Berufliche Globalisierung
Ausländische Lehrer anzustellen, ist bisher schwierig. Deshalb soll die Anerkennung von Abschlüssen erleichtert werden. Der Realschulleiter aus Munster, Björn Edelmann, meint dazu: „Das muss in einer immer weiteren beruflichen Globalisierung eine starke Betrachtung haben.“ Wie langwierig und anspruchsvoll das Verfahren derzeit ist, hat die GOBS Bispingen gerade mit einer Lehrerin erfahren, die ihren Abschluss in Moldawien gemacht hat. „Sie hat alle Strapazen auf sich genommen und ich kann mich nun doppelt freuen über eine fantastische Lehrerin, die dazu noch Russisch spricht und Deutsch als Zweitsprache für unsere ukrainischen Kinder in der Oberschule unterrichtet“, berichtet Wagner. Konstruktiv formuliert Edelmann, der im Einvernehmen mit dem Personalrat des Kollegiums geantwortet hat, dass sich die Schule weitaus mehr Möglichkeiten wünscht, die Lehrkräfte vermehrt auch im außerunterrichtlichen Angebot einzusetzen, „um interessante AG-Angebote und/oder Förderangebote umsetzen zu können. Diese seien wichtig, um bei den Schülern Entwicklungspotenziale freizusetzen. Auch eine stärkere Ausrichtung im digitalen Bereich sei wichtig und müsse eine zügige Umsetzung erfahren. Doch das direkte Lernen und die direkte Kommunikation zwischen den Lehrkräften und den Schülern dürfe nicht zu kurz kommen. Dem pflichtet auch Wagner bei, die den Hybridunterricht nicht als lernwirksame Option sieht. „In der Zeit des Distanzunterrichts haben wir gesehen“, teilt sie mit, „dass einige Schüler mit den Anforderungen an Selbstorganisation, Eigenständigkeit und Selbstdisziplin überfordert waren, die im Distanzunterricht von ihnen erwartet wurden. Es ist für mich nicht vorstellbar, diesen Kindern weniger Lernchancen zu geben, indem man eine Sparversion von Unterricht erteilt.“
Neues Pflichtfach raubt weitere Stunden
Mit Blick auf die jetzt schon beschlossene Einführung von Informatik als Pflichtfach im Jahrgang 9 und 10 an allen Schulformen sieht KGS-Schulleiter Taghi-Khani bereits jetzt eine neuerliche Verschlechterung der Unterrichtsversorgung auf die weiterführenden Schulen zukommen. De facto wird im Schuljahr 2024/25 an der KGS fast eine komplette weitere Lehrerstelle fehlen, „ohne dass an einer anderen Stelle eine Reduzierung der Stundentafel stattfindet.“ Taghi-Khani hat dennoch Hoffnung, dass in Hannover sowohl die Vorschläge der Wissenschaftlichen Kommission als auch die Schwangerenregelung und die additive Einführung des Fachs Informatik kritisch überprüft und nicht übernommen wird bzw. verändert wird. Wagner formuliert die Sorge, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen junge Menschen abschrecken könnten, den Beruf Lehrer zu wählen: „Bei einem Lehrkräftemangel sollte die Attraktivität des Berufs eher gesteigert werden.“ An der Umfrage der Böhme-Zeitung wollten sich nicht alle Schulleiter beteiligen. Bei der nächsten Schulleiterkonferenz Anfang März gibt es auf Kreisebene wieder einen Austausch untereinander.
Zusätzlicher Engpass
Die Schulleiter warten dringend auf eine Aufhebung des Beschäftigungsverbots von schwangeren Lehrerinnen, der die Unterrichtsversorgung zusätzlich belastet. Hintergrund dazu ist immer noch der Corona-Infektionsschutz. KGS-Schulleiter Mani Taghi-Khani informierte die Eltern über die Vorgabe des Landes, die einen Unterricht in Präsenz ausschließt. Möglich wäre es nur, wenn alle Personen in der Schule eine Maske tragen oder immer mindestens 1,5 Meter von der schwangeren Lehrkraft entfernt sind. Dies betrifft nicht nur den Klassenraum, sondern auch die Wege dorthin. Die Umsetzung sei illusorisch. Die KGS kann über digitalen Unterricht eine Lösung ermöglichen. Allerdings nur, indem eine zusätzliche Aufsichtsperson im Klassenzimmer ist. An der GOBS in Bispingen ist derzeit nur eine Kollegin schwanger. „Ich hoffe, es ist nur eine Frage der Zeit bis die Regel wieder aufgehoben wird“, so Schulleiterin Iris Wagner.