„Null Toleranz“ bei Angriffen auf Ordnungskräfte

Feuerwehrleute, die in der Berliner Silvesternacht in Hinterhalte gelockt und mit Pyrotechnik angegriffen werden, eine mutmaßlich von einem Schüler ermordete Berufsschullehrerin in Ibbenbüren, mehr als 100 verletzte Polizisten in Lützerath. Das noch junge Jahr hat bereits eine Reihe negativer Schlagzeilen erzeugt. Bei aller Unterschiedlichkeit der Vorfälle – ein Muster ist zu erkennen: Menschen werden bei der Ausübung ihres Berufs angegriffen, die Autorität und Neutralität ihrer Position wird missachtet.

Hat Deutschland ein generelles Problem mit fehlendem Respekt? Oder handelt es sich um Einzelfälle, deren Ursachen allein an den jeweiligen Handlungsorten und bei den beteiligten Personen zu suchen sind? Die Böhme-Zeitung hat im Heidekreis nachgefragt. Bei Menschen, die Uniform tragen: Polizei, Feuerwehr, Heidebahn. Haben Respektlosigkeiten, Pöbeleien und Angriffe zugenommen?

Wenn Kreisbrandmeister Thomas Ruß auf 2022 zurückblickt, „dann sind da schon ein paar Sachen gewesen“, wie er sagt. Gewalt gegen Einsatzkräfte sei ein „Dauerthema“ in den Wehren. Mit der Aktion „Gewalt geht gar nicht“ hat der Kreisfeuerwehrverband das Thema zuletzt vor rund vier Jahren ins Zentrum einer Kampagne gestellt. Dass die Zahl unschöner Vorfälle generell zunehme, mag Ruß so pauschal nicht bestätigen. Verändert habe sich eher die Qualität als die Quantität. Häufiger Anlass für gereizte Diskussionen und Pöbeleien seien Absperr-Situationen. Autofahrer, die sich vermeintlich gut auskennen und nicht akzeptieren wollen, wenn ihnen die Durchfahrt verwehrt wird. Sie kennen da schließlich diesen einen Feldweg ...

Mit dem Traktor auf Einsatzkräfte zugefahren

Solche Diskussionen gibt es immer wieder. Die rote Linie vonseiten der Feuerwehr sei klar, so Ruß: Komme es zu handfesten Beleidigungen oder anderen Straftaten, werde Anzeige erstattet. Da gebe es „null Toleranz“. Das musste im vergangenen Jahr auch ein Landwirt erfahren, der im Februar in Bomlitz mit seinem Traktor zunächst eine sturmbedingte Feuerwehrabsperrung missachtete und anschließend unter wüsten Beschimpfungen direkt auf ehrenamtliche Einsatzkräfte zufuhr, die sich gerade um einen Baum kümmerten, der auf die Fahrbahn zu stürzen drohte. Die Feuerwehrleute mussten ausweichen, um sich in Sicherheit zu bringen. Es folgte eine Anzeige, und im Oktober kam es vor dem Amtsgericht Walsrode zum Prozess. Dieser endete mit einer Geldstrafe und befristetem Führerscheinentzug. Gründe für die völlig unangemessene Aggressivität des Angeklagten konnte das Gericht nicht benennen.

Aggresivität gegen Polizeibeamte: kein klarer Trend

Und wie sieht es bei der Polizei aus? Nehmen aggressives Verhalten und Respektlosigkeit gegenüber deren Mitarbeitern im Heidekreis zu? Die Frage ist schnell gestellt, aber nicht einfach zu beantworten. „Respektloses Verhalten ist grundsätzlich nicht messbar“, teilt die Polizeiinspektion Heidekreis auf BZ-Anfrage mit. Erfasst werden Delikte wie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Körperverletzungen im Einsatz. Hier weist die Kriminalitätsstatistik für den Heidekreis im Zehnjahresvergleich keine gradlinige Entwicklung aus.

Ein Höhepunkt bei der Gewalt gegen Vollstreckungsbeamte wurde 2017 erreicht, in dem Jahr kam es im Bereich der Polizeiinspektion Heidekreis zu 114 Vorfällen. 2020 waren es noch 79 Fälle, 2021 sank die Zahl dann auf 54. Die Kriminalitätsstatistik für 2022 liegt noch nicht vor, allerdings zeichnet sich laut Polizeiangaben im Vergleich zum Vorjahr „eine deutliche Zunahme der Taten ab“. Es sind eher Schwankungen als eindeutige Trends.

Unterhalb der Schwelle von Straftaten wird es kompliziert. In den vergangenen Jahren gab es im Heidekreis vor allem zwei Szenen, aus denen heraus versucht wurde, Polizeiarbeit zu delegitimieren: das kriminelle Clan-Milieu und die Corona-Protestbewegung. Beide Szenen haben offenbar an Kraft eingebüßt.

Dass Clan-Angehörige mit herausforderndem Verhalten, Tumulten und offen zur Schau gestellten Regelverstößen die Polizei herausfordern, komme im Heidekreis seit einigen Jahren praktisch nicht mehr vor, heißt es bei der Polizei. Nach polizeilicher Einschätzung mache sich hier die Räderwerk-Arbeit bezahlt, die Erhöhung des Drucks auf die Szene. Befürchtungen, dass sich die Situation mit dem Ende der Corona-Beschränkungen wieder verschärfen könnte, hätten sich nicht bestätigt. Inwieweit auch die seit 2020 eingesetzten Bodycams, mit denen Polizeibeamte bestimmte Einsatzsituationen filmen, zur Deeskalation beigetragen haben, lässt sich nicht klar beantworten, da es noch keine Statistiken dazu gibt.

Ziel: Delegitimierung der Polizei

Respektlosigkeit der Corona-Protestszene gegenüber der Polizei äußerte sich im Heidekreis eher subtil: Protestmärsche wurden bewusst nicht angemeldet, polizeiliche Anordnungen missachtet, Abstandsregeln sowie die Pflicht zum Tragen von Mund-Nase-Bedeckungen provokativ ignoriert. Der Polizei wurde die Legitimität abgesprochen, Regeln durchzusetzen. Mit dem Ende fast aller Corona-Auflagen scheint sich der Protest nun aufzulösen. „Auch die zuletzt festgestellten Teilnehmerzahlen im niedrigen zweistelligen Bereich wiesen eine abnehmende Tendenz auf“, so die Polizei. Verblieben sei eine kleine „Mischszene“, „deutliche Auflösungserscheinungen sind festzustellen.“

Mehr Aggressivität auf der RB 28

Auch Ordnungskräfte privater Unternehmen haben mit respektlosem Verhalten zu kämpfen. Im Heidekreis zum Beispiel die Schaffner der Heidebahn. Streckenbetreiber ist das Bahnunternehmen Start Niedersachsen. „Beleidigungen und Beschimpfungen kommen häufiger vor als früher, vereinzelt ereignen sich auch körperliche Attacken“, so eine Unternehmenssprecherin. Auslöser sei meist die Fahrscheinkontrolle. Speziell auf der Strecke RB 38 (Hannover-Buchholz) verzeichne das Unternehmen aktuell eine „leicht erhöhte Tendenz von Agressivität und respektlosem Verhalten“. Daher sei auf der Linie temporär eine zusätzliche Zugbegleitung mit an Bord. „Das erhöht die Sicherheit für alle Beteiligten.“