Lockdown-Folgen: Solidarität bröckelt auch in den Familien
„Wir gemeinsam“ lautete während des ersten Lockdowns das Motto einer Kolumnenreihe in der Böhme-Zeitung. Zehn Menschen aus dem Heidekreis schrieben dort abwechselnd ihre Gedanken nieder, wie unsere Gesellschaft gemeinsam die Lasten der Coronakrise schultern kann, um diese letztlich so unbeschadet wie möglich zu meistern.
Ein knappes Jahr später bröckelt nicht nur die Solidarität der gesamten Gesellschaft, auch in ihrer kleinsten Einheit scheint bei der Bewältigung der Lockdown-Lasten von einem „Wir gemeinsam“ keine Rede mehr zu sein. Mehrere wissenschaftliche Untersuchungen legen nahe, dass in der viel beschworenen Keimzelle unserer Gesellschaft, der Familie, es vor allem eine Person ist, die tagtäglich den Spagat zwischen Homeoffice und Homeschooling meistern muss: die Mutter.
Diese Ergebnisse decken sich mit den Eindrücken, die Ina Reichinger in ihren Beratungs- gesprächen macht. „Die Frauen sind zum Teil extrem erschöpft“, sagt die Leiterin der Ehe- und Lebensberatung im Kirchenkreis Soltau. Ein Mann ziehe sich auch in der Krise eher raus aus den familiären Verpflichtungen. Allen Emanzipationsbestrebungen zum Trotz herrschten immer noch (oder inzwischen wieder) alte Rollenmuster vor.
Gerade bei jüngeren Paaren schienen traditionelle Muster eine Rolle zu spielen, sagt die Diplom-Pädagogin und systemische Familientherapeutin. Und das hat Konsequenzen für das Familienleben: „Meistens sind es vor allem die Frauen, die sich für die Kinder verantwortlich fühlen und zwar komplett, auch, wenn sie zudem noch berufstätig sind.“
In der Coronakrise mehr denn je, glaubt Jutta Allmendinger. „Wir sehen, dass die sogenannte Mental Load, also die psychische Belastung, von Frauen während des Lockdowns extrem steigt“, sagte die Soziologie-Professorin, die bundesweit als Expertin für Bildungs- und Berufswege von Frauen gilt. Bei Männern sei diese Belastung dagegen mehr oder weniger unverändert. Auch auf dem Arbeitsmarkt drohten Retraditionalisierungen der alten Rollen, in den die Mütter nach dem Lockdown langsa- mer zurückkehrten als die Väter. Allmendinger befürchtet, dass Frauen durch die Coronakrise um drei Jahrzehnte zurückgeworfen würden.