Lebenshilfeschüler haben es in der Krise noch schwerer
Erfolge in der Bildung, sagt Oliver Bauer, hängen stark von der Beziehungsarbeit ab. Das sei entscheidend. Während andernorts als viel entscheidender die richtige technische Ausstattung gilt, um Unterricht in diesen Zeiten möglich zu machen, sind Bauer und die weiteren Pädagogen der Lebenshilfe Soltau schon froh, wenn sie den Kontakt zu ihren Schülern nicht verlieren.
„Mit Homeschooling können wir unseren Schülern nicht gerecht werden“, sag Bereichsleiter Bauer. Schule funktioniere an der Tagesbildungsstätte nur über den Dialog mit dem Gegenüber, über Videokonferenzen sei das nur in Einzelfällen möglich. „Wir merken, dass bei einigen Schülern der Kontakt verloren geht.“ Vor allem sei das so, wenn die Elternhäuser nicht mitziehen könnten oder wollten. Pädagogin Melanie Beier freut sich daher auf die kommende Woche, wenn sie einen ihrer Schüler zum Spazierengehen abholen kann. Er war drei Monate nicht im Unterricht. „Jetzt geht es darum, vorsichtig wieder Kontakt aufzunehmen.“
An der Tagesbildungsstätte unterrichtet sie die Schülerinnen und Schüler der sogenannten Mittelstufe. Die Schützlinge sind zwischen 10 und 13 Jahre alt, wie alle Lebenshilfe-Schüler sind sie in der geistigen Entwicklung beeinträchtigt, viele haben schwere Mehrfachbehinderungen. Schulpflicht aber gilt auch für sie. Mittlerweile versucht die Lebenshilfe den Unterricht im Szenario B aufrechtzuerhalten, auch weil die Räume klein sind, Abstand halten und Maskenpflicht nur bedingt funktionierten. Aber einige Schüler kommen auch nicht in den Wechselunterricht, weil die Sorge vor einer Corona-Ansteckung groß ist.
Kontakt mit den Schülern zu Hause versuche man zwar via Zoom zu halten. Einfach sei das nicht, aber für einige dann doch gelungen: „Wir starten mit einer Frühbesprechung, das hat sich mittlerweile gut eingespielt“, sagt Beier. Um Struktur zu bieten gibt es für die Lebenshilfe-Schüler Wochenpläne. Darin werden außer schulischen Aufgaben auch solche gefordert, wie Spazierengehen, mit den Eltern einzukaufen oder gemeinsam zu kochen. Zudem hat Beier sogenannte Lernboxen gefüllt, mit Aufgaben zur Sinneserfahrung, Geschichten zum Vorlesen und motorischem Spielzeug. „Wir versuchen alles auszuschöpfen, was geht.“ Und die Erledigung der Aufgaben werde natürlich kontrolliert.
„Unser Unterricht basiert auf individuellen Aufgaben, da wir grundsätzlich sehr viele unterschiedliche Persönlichkeiten, Möglichkeiten und Kompetenzen haben“, sagt Bereichsleiter Bauer. Für alles aber sei der Dialog die Grundlage – und viele müssten die Dinge im wahrsten Sinne des Wortes begreifen.
Die jüngeren Lebenshilfeschüler werden nicht in der Tagesbildungsstätte beschult, sondern in verschiedenen Grundschulen im Nordkreis. Für sie ist aufgrund der Klassengröße Präsenzunterricht möglich gewesen. Insgesamt zollt Lebenshilfe-Bereichsleiter Oliver Bauer allen Eltern großen Respekt. „Die sind schon sehr taff.“ Sie machten ja sich immer Sorgen um ihre Kinder.
Es sei enorm, was diese Familien leisteten – dabei denkt er auch an Geschwisterkinder, die oft zurückstecken müssten. Angesichts der zusätzlichen Herausforderungen in Coronazeiten hätte man mit mehr Aufbegehren, mit mehr Forderungen gerechnet, ergänzt Lebenshilfe-Geschäftsführer Gerhard Suder. „Hier gibt es aber ganz großes Verständnis.“ Suder findet aber, dass die aktuelle Situation in der Tagesbildungsstätte ein Beispiel dafür sei, diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Inklusion mehr in den Blick zu nehmen. Gerade für Kinder mit solch hohem Hilfsbedarf sei es erst recht schädlich, wenn sie so lange nicht in die Schule gingen.