Libyen: Kein Platz für humanitäre Illusionen
Munster. Die Stiftung Sankt Barbara ist eine 1995 auf Veranlassung des ehemaligen Außenministers Klaus Kinkel (FDP) gegründete Institution. Damals hatten die Vereinten Nationen – anders als die deutsche Wirtschaft – das Minenräumen als internationale Aufgabe noch nicht auf dem Schirm. Stiftungsgründer Dr. Klaus Koehler ist bundesweit ein erstrangiger Kenner Libyens, wo er selbst rund 40 Jahre gelebt und gearbeitet hat. Seine Stiftung Sankt Barbara ist in diesem Jahr seit 25 Jahren für das Auswärtige Amt und für andere Nationen mit ihrem Friedens- und Wiederaufbauwerk aktiv. Über Libyen und die Chancen zur Befriedung hat die BöhmeZeitung mit Koehler gesprochen.
Die St.-Barbara-Stiftung ist 25 Jahre jung, aber hier im Kreis kaum bekannt – woran liegt das?
Dr. Klaus Koehler: Wir haben zwar in Munster unseren Sitz, sind aber vor allem in Afrika tätig.
Welche Ziele verfolgt die Stiftung in der nächsten Zeit?
Tja, zurzeit ist die Welt in Unordnung, und das schon seit vielen Jahren. Nehmen wir Syrien. Die syrische Regierung steht unter dem Schutz Russlands. Berlin hält sich leider zurzeit dort raus und will erst Mittel für Wiederaufbauarbeiten freigeben, wenn Assad nicht mehr an der Macht ist. Meiner Einschätzung nach wird das aber bis auf Weiteres nicht erfolgen. Und selbst wenn, stellt sich die Frage, wie ein neuer Machthaber einzuschätzen ist. Es gibt nur Mittel, die allerdings in erster Linie auf das Gesundheitswesen zielen.
Wie steht es um die Befriedung Libyens, da gibt es ja auch noch Millionen Minen im Wüstensand?
Ich bin seit 40 Jahren in Libyen aktiv und stehe in ständigem Kontakt zu gleichfalls gut vernetzten Persönlichkeiten, die zum Teil aber aus politischen Gründen nicht in Libyen leben. So, wie ich das Land kenne – und ich kenne es gut – ist der entscheidende Faktor zur Befriedung des Landes der Faktor Arbeit. Darüber hinaus gibt es noch circa drei Millionen Panzerminen aus dem Zweiten Weltkrieg und unzählige neu verlegte Minen und Sprengfallen, die beseitigt werden müssen.
Mit Arbeit alleine ist es aber doch nicht getan?
Naja, man muss in Libyen drei Projekte vorantreiben, um Stabilität zu schaffen und die Migration aufzuhalten.
Welche Projekte sind das?
Da ist zunächst die Eisenbahn. Die Infrastrukturprojekte im Umfang von etwa 10 000 Kilometern Bahnstrecke waren an Russland und China vergeben. Seit Gaddafis Sturz ruhen die dortigen Projekte. Als Zweites ist die Wasserleitung, die bereits unter Gaddafi unter dem Namen Great Man Made River Project geplant worden ist, fertig umzusetzen. Da geht es um Rohrleitungen im Durchmesser von vier Metern, die mit dem Wasser aus unterirdischen Süßwasserspeichern in der Wüste für 50 Jahre das Land versorgen könnten.
Wie ist denn da der aktuelle Status?
Gaddafi hatte dafür bereits 83 Milliarden US-Dollar ausgegeben. Das ist jetzt durch die Bombenangriffe und andere Zerstörungen zurückgeworfen worden. Verdichterstationen und andere technische Anlagen entlang dieser Leitung müssen wieder hergestellt werden.
Was ist der dritte Faktor?
Das ist die Landwirtschaft. Man übersieht gerne, dass die Region einmal die Kornkammer Roms war. Unter Gaddafi gab es einen Tag im Jahr, an dem jeder, Männer wie Frauen, einen Baum pflanzen mussten. Das System funktioniert, wenn die entsprechende Bewässerung gesichert wird.
Über wie viel Arbeit sprechen wir hier?
Wenn man diese Projekte für die fünf Millionen Menschen umfassende Bevölkerung wieder in Gang bringt, dann braucht man Arbeitskräfte aus Afrika. Wenn alle 10 Kilometer ein Camp mit den erforderlichen rund 500 Arbeitern eingerichtet wird, sind das alleine schon 750 000 realistische Arbeitsplätze. Entscheidend hierbei ist auch, dass diese Arbeitskräfte, die überwiegend aus Zentralafrika kommen werden, ihre monatliche Entlohnung - und das sind etwa 300 US-Dollar - in ihre Heimat überweisen und so dazu beitragen, Fluchtursachen zu beseitigen.
Und das sind alles Arbeitsplätze für Migranten?
Auch. Eines muss unsere Gesellschaft zu Libyen verstehen: Es gibt keinen Libyer, der in seinem Land die Flüchtlingslager haben will. Da darf man sich tatsächlich keine humanitäre Illusionen machen.
Und das soll bei Arbeitscamps anders sein?
Ja, denn da kann man Ordnung halten und vor allem: Diese Camps dienen unmittelbar der Zukunft des Landes. Wenn man Arbeit schafft, dann haben Milizen keine Chance. Die Unordnung in dem Land rücke ich erst durch ein Arbeitsnetz wieder zurecht. Hinzukommt, und das ist leider bittere Realität, dass derjenige, der die politische Kontrolle über das Land hat, Europa auch herausfordern kann, indem er eine Million Flüchtlinge mal eben übers Mittelmeer schickt, während aus Zentralafrika neue Menschen nachrücken. Mit einer solchen Flüchtlingsbewegung in Libyen kommt Europa nicht zurecht.
Wie sieht es denn mit den Kosten für ein solches Befriedungskonzept aus?
Auf 20 Jahre verteilt, liegen die Kosten bei 250 Milliarden Euro. Libyen ist reich durch die Ölvorkommen, die Kosten für diesen Befriedungsplan könnte das Land zu 50 Prozent selber zahlen. Auf die EU und andere Beteiligte kämen im Schnitt jährlich 7,25 Milliarden Euro – das ist darstellbar.
Hat Corona Sie nur zurückgeworfen, oder gibt es auch neue Perspektiven?
Bei der Ausbildung von rückkehrwilligen Flüchtlingen zu Fragen der Gefahreneinschätzung in ehemaligen Kriegsgebieten gibt es durchaus sinnvolle Handlungsmöglichkeiten. Wir können unsere Bildungsarbeit digital verstärken, Lehrfilme produzieren, die das für das Leben in zuvor umkämpften Kriegsgebieten erforderliche Wissen vermitteln. Geflüchtete können in Echtzeit das auch an die Zurückgebliebenen weitervermitteln. Das heißt nicht, dass man nicht mehr vor Ort sein muss.
Sie haben auch den Senegal in Ihrem Programm ?
In der Tat, wir haben ein Projekt zur Aufforstung im Süden Senegals in Vorbereitung und zwar in den Mangrovenwäldern südlich Gambias und auch etwas im Norden. Einige Gebiete in der Casamance sind noch immer mit Minen belastet. Wenn man dort weiter aufforstet, dann muss gleichzeitig geräumt werden. Ziel ist es aus deutscher Sicht, die Mangrovenwälder, die dreimal mehr CO2 speichern als deutsche Baumkulturen, aufzuforsten und die Minenproblematik gleichzeitig anzugehen. Das ist ein Programm für mehrere Jahre. Das Projekt ist durch die Coronakrise zurückgeworfen worden. Der Senegal ist zurzeit in erster Linie an Geldern für das Gesundheitswesen interessiert. Unser Antrag liegt zwar vor, aber das Geld auf Eis.
25 Jahre St.-Barbara-Stiftung hat auch Sie älter werden lassen. Wie steht es um die Zukunftssicherung der Stiftung?
(lacht) Wenn wir keine Zeit haben älter zu werden, werden wir es auch nicht. Ich habe viele Freunde und die Aufgaben der Stiftung bleiben auch in Zukunft bestehen.