Gemeinsam gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen
VON ANJA TRAPPE
Soltau. Die Zusammenarbeit im Räderwerk hat gezeigt, wie wichtig es ist, Behörden und sonstige Institutionen zu vernetzen, um unter anderem der Clankriminalität auf die Spur zu kommen. Nun arbeiten die Kreisverwaltung und die Polizeiinspektion zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt im Heidekreis ebenfalls enger zusammen. Landrat Manfred Ostermann und Polizeidirektor Stefan Sengel unterzeichneten am gestrigen Freitag dazu eine Kooperationsvereinbarung. „Es geht darum, die Verbrechen an Kindern und Jugendlichen nicht nur aufzuklären, sondern sie im besten Fall zu verhindern“, betonte Ostermann. Dafür sei die Zusammenarbeit in diesem sensiblen Bereich mit allen datenschutzrechtlichen Erfordernissen notwendig. Regelmäßige Treffen der Mitarbeiter seien geplant, um aus den jeweiligen Perspektiven heraus gemeinsam das Beste zu erreichen. Mit Blick auf die aufgedeckten Missbrauchsfälle in Münster und Lügde sollen im Heidekreis keine Hinweise übersehen werden: „Das sind Zustände und Abgründe, die wir nicht wollen“, betonte Ostermann. Es gehe darum Kinder und Jugendliche ernst zu nehmen, sich schützend vor sie zu stellen. Das forderte er auch von der Bevölkerung, die durchaus aufmerksamer im Hinblick auf sexuellen Missbrauch jedweder Art sein solle. Ein Jahr soll die Kooperation zunächst laufen. Für Polizeidirektor Sengel ist die sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ein „widerlicher Deliktbereich“, gegen den mit der jeweils unterschiedlichen Stoßrichtung der Behörden nun gemeinsam vorgegangen werden soll. Man wolle sich austauschen, auch für die rechtliche Sicherheit der jeweiligen Mitarbeiter einen Rahmen in dem Netzwerk finden. Sengels Stellvertreter und Leiter des Zentralen Kriminaldienstes, Sebastian Pölking, betonte, dass die Arbeit der Polizei sich schon jetzt nicht nur um die Strafverfolgung drehe, sondern auch um die Gefahrenabwehr. Die nun noch intensivere Zusammenarbeit mit dem Jugendamt der Kreisverwaltung ist für ihn ein elementarer Mosaikstein zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs.
In der polizeilichen Kriminalstatistik im Heidekreis ist der Bereich des Missbrauchs von Kinder und Jugendlichen auf gleichbleibendem Niveau. Klar zu erkennen ist allerdings, dass die Zahlen zur Kinderpornografie deutlich steigen: Gab es 2015 26 Fälle, sind es 2019 schon 64. „Wir sind der Meinung, dass es nicht mehr Täter gibt, sondern dass unsere Maßnahmen greifen“, so Pölking zum Ermittlungsdruck und den Ergebnissen auch nicht staatlicher Organisationen, die der Polizei zuarbeiteten. Je mehr Computernetzwerke man aushebe, je mehr hole man ins Hellfeld und stiegen die Fallzahlen.
Sina Böhling, Leiterin des Fachbereiches Kinder, Jugend und Familie bei der Kreisverwaltung, sprach von einem unheimlich sensiblen Feld. Deshalb sei es wichtig gute Schnittstellen zu haben. Letztlich sei die Kooperation ein deutliches Signal an die potenziellen Täter: „Seid Euch nicht sicher“, sagt Böhling. Hinweise auf Taten und Täter nimmt das Jugendamt selbst, aber auch die Fachberatungsstelle Wendepunkte (E-Mail: wendepunkte@heidekreis.de), sowie die Polizei auch anonym und online entgegen.
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Sexueller Missbrauch: Landkreis ist kein weißer Fleck
Ob es bei dem aktuell bekannt gewordenen Missbrauchsfall in Münster auch Hinweise auf Tatbeteiligte im Heidekreis gibt, dazu wollte die Polizei nichts sagen: „Ausschließen können wir gar nichts, auch der Heidekreis ist nicht der weiße Fleck auf der Landkarte“, erklärte Polizeidirektor Stefan Sengel. In der Polizeiinspektion gibt es für diesen Bereich der Ermittlungsarbeit nicht nur geschulte Mitarbeiter, die Kriminalhauptkommissar Carsten Otten führt. Zudem gebe es ein kindgerechtes Vernehmungszimmer, das eine schonende Umgebung zur Befragung bilde, zudem audiovisuelle Vernehmungssysteme, die eine weitere Aussage der jungen Opfer vor Gericht ersparten. Bei der Ermittlungsarbeit in Sachen Kinderpornografie werden die Beamten seit diesem Jahr von einer künstlichen Intelligenz (KI) unterstützt. Denn in den letzten Jahren sind die Datenmengen erheblich angewachsen. In manchen Fällen würden Datenmengen von drei bis vier Terabyte sichergestellt, auf einem Terabyte können zwischen 300000 und 500000 Fotos gespeichert werden. Um nicht jedes Bild in Augenschein nehmen zu müssen, selektiere die KI die Bilder vor. „Das ist eine Entlastung für die Mitarbeiter“, so Otten. Ausschließlich beschäftigen sich zwei Polizisten bei der PI Soltau mit Kinderpornografie, im Ermittlungsfall können es auch sechs sein, im schlimmsten Fall sei die Ermittlungsgruppe „unendlich“. Wie mühsam die Auswertung dieser Bilder ist, machte Otten am Beispiel von Münster deutlich. Dort wäre ein einziger Kollege 30 Jahre an jedem Tag beschäftigt, um die Aufgabe zu bewältigen.