Geothermie: Erdwärme und weißes Gold
Munster/Hannover. Der sogenannte Green Deal (Grünes Geschäft) der Europäischen Union, ein politisches Programm zur Verstärkung aller Maßnahmen, um – so der hinter dem Deal stehende Wille – den Kohlenstoffdioxid-Ausstoß der Industriegesellschaft einzudämmen und Einfluss auf den Klimawandel nehmen zu können, zwingt die Bundesrepublik Deutschland zu großen politischen Maßnahmen. Zu diesen Maßnahmen gehört die nahezu vollständige Umstellung der Energieproduktion auf erneuerbare Energien bis zum Jahr 2050. Dass mit den Erneuerbaren neben der Energie- auch eine weitere wichtige Ressourcenfrage geklärt werden kann, belegen nun neue Daten aus Munster.
Zu den Erneuerbaren zählt die tiefe Geothermie, eine weitgehend in Vergessenheit geratene Energiequelle. Obwohl diese Energiequelle nur mit hohen Erstinvestitionskosten für tiefe Bohrungen ins Erdreich zu erschließen ist, hat sie gegenüber der Wind- und der Sonnenenergie einen wesentlichen Vorteil – sie liefert dauerhaft Wärme oder Strom und ist damit grundlastfähig. Das Potenzial in Niedersachsen und im Heidekreis ist erheblich, denn rund 5000 Meter unter der Erdoberfläche befindet sich poröser roter Sandstein, auch Rotliegendes genannt, der in weiten Teilen Wasser führt. Dieses Wasser wird vom heißen Erdkern und von radioaktiven Zerfallsprozessen erhitzt. Das Wasser, das aufgrund enthaltener radioaktiver und Schwermetallsubstanzen nicht als Trinkwasser geeignet ist, kann in einem geschlossenen Kreislauf gefördert, über einen Wärmetauscher energetisch genutzt und erkaltet über eine zweite Bohrung wieder ins Rotliegende versenkt werden. Diese Dublette zweier Bohrungen sorgt dafür, dass der Druck im tiefen Erdreich gleich bleibt. Gerade unter Munster ist das Rotliegende so porös, dass das dort 147 Grad heiße Wasser gut durch das Gestein passieren kann. Ein idealer Standort also, für CO2-freie Wärmelieferung für die nächsten 200 Jahre, wie Geologe Professor Dr. Dieter Michalzik bereits im Vorjahr im BZ-Interview bestätigt hat. Lars Klingbeil ist ein wichtiger Kommunikator zwischen Hannover und Berlin, gehörte selbst einige Zeit dem Aufsichtsrat der Stadtwerke an und verweist gegenüber der BZ auf die weggefallene Zusage der Bundeswehr, die Wärme abzunehmen. Doch darauf kommt es gar nicht an, wie diese Zeitung bereits im Januar 2019 berichtet hatte. Allein eine reine Verstromung würde grundlastfähig 2 bis 2,5 Megawatt liefern und laut Stadtwerke rund 10 000 Tonnen CO2 einsparen.
Jan Niemann: „Wir können auch verstromen“
Niedersachsen hatte 2014 im Rahmen eines einstimmigen Landtagsbeschluss das Geothermieprojekt in Munster zum Pilotprojekt erklärt – Ziel war es, die Bundeswehr als Abnehmer für die Wärme zu gewinnen. „Wir können allerdings auch verstromen“, weist Jan Niemann, der Stadtwerke der Stadtwerke Munster Bispingen darauf hin, dass es auf die Bundeswehr gar nicht ankommt. Da die Streitkräfte wegen des langen Vorverfahrens zur Ermittlung der Machbarkeit des Projekts von ihrer ursprünglichen Zusage, die Wärme für ihren Standort Munster abzunehmen, zurückzog, dämmerte das Projekt vor sich hin, die Stadtwerke haben alles vorliegen, was sie benötigen, um das Projekt zu starten – nur an der Absicherung der Erstinvestition fehlt es. „Mit einer Bürgschaft könnten wir günstigere Kredite erlangen“, so der Vorsitzende des Stadtwerkeaufsichtsrats, Alfred Schröder.
Dabei können die Stadtwerke einen großen Teil der Kosten bereits einsparen. Der Erdgasförderer Exxon-Mobil will seine Bohrung Munster Südwest Z3 für einen symbolischen Euro abgeben, was die erheblichen Bohrkosten bereits um rund 14 Millionen Euro reduzieren hilft. Das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) hat das Projekt abgesegnet.
Das im vergangenen Jahr mangels Rückenwind aus Hannover und Berlin vor sich hindümpelnde Projekt könnte jetzt aber neuen Rückenwind bekommen. Inzwischen liegen den Stadtwerken nämlich neue Daten über die Zusammensetzung des Thermalwassers vor. Die BZ hat Einblick in die vertraulichen Unterlagen nehmen können. Demnach enthält das Wasser im Rotliegenden durchschnittlich 353 Milligramm Lithium je Liter. Das Geothermieprojekt plant mit einem Wasserdurchlauf von 40 Litern pro Sekunde. Demnach könnten die Stadtwerke als Betreiber des Projekts gewissermaßen als Nebenprodukt jede Stunde bis zu 50 Kilogramm Lithium fördern. Bei einer vorgesehenen Laufzeit von 8500 Stunden jährlich liegt die mögliche Jahresproduktion bei etwa 425 Tonnen des für die E-Mobilität und für Smartphones so begehrten Rohstoffs, der nach Salz im Mittelalter und Elfenbein zu Kolonialzeiten heute ebenfalls oft als weißes Gold bezeichnet wird.
Um die Munsteraner Daten in ein Wirtschaftlichkeitsverhältnis zu setzen, verweisen die Stadtwerke auf ein australisches Unternehmen, das im Oberrheingraben Lithium aus vorhandenen Bohrungen fördern will, wo die Analysedaten lediglich 161 Milligramm Lithium je Liter Wasser anzeigen.
Bisher wird Lithium vor allem aus Südamerika, China und Australien geliefert. In Bolivien und Chile führt die oberirdische Produktion bereits zur Versteppung der Landschaft, der Landwirtschaft geht das Wasser aus, die Lebensgrundlagen der indigenen Völker werden zerstört, weshalb etwa das Freiburger Öko-Institut sich für die Einführung von ökologischen Standards für die Lithiumproduktion stark macht.
Bisher hielt sich die große Koalition in Hannover mit einer Förderung des Vorhabens in der Oertzestadt zurück – aus beihilferechtlichen Gründen, wie es heißt. Ob das Pilotprojekt nun endlich vorankommt, wird sich zeigen. Immerhin, im Dezember vergangenen Jahres brachte Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) neues Interesse zum Ausdruck. Er sehe im Vorschlag der Stadtwerke zur „Lithium-Gewinnung aus geothermischen Tiefenwässern beachtliches Potenzial, um alternative Versorgungsquellen zur Diversifizierung der Lithium-Versorgung Deutschlands zu erkunden“.
Von Bernhard Knapstein