Radwege: Wenn Wurzeln den Asphalt sprengen
Hoch wölbt sich der Asphalt. Quer über den Gehweg erstreckt sich der Riss, zwischen dessen aufragenden Bruchkanten sich ein erdiger Krater auftut. Unkraut ist die buschige Krone dieses Asphaltgipfels – die Natur holt sich den Weg zurück. Stück für Stück bricht sie aus der harten Kruste hervor, um sie irgendwann zu überwuchern und vielleicht – ließe man sie nur gewähren – eines Tages die Spuren der Zivilisation ganz zu tilgen.
Die kraftvolle Idylle dieses realen Bildes schenkt uns Hoffnung. Hoffnung, dass es uns Menschen nicht gelingen wird, die Natur endgültig zu vernichten. Generationen von Kinder kennen solche Bilder aus dem Fernsehen, etwa von der Serie „Löwenzahn“ und ihrem Vorläufer „Pusteblume“ aus den 1970er- und 1980er-Jahren von und mit dem Schauspieler Peter Lustig.
Radfahrer werden schneller und älter dank E-Bikes
Doch das Bild hat auch eine Kehrseite. In der Alterungsgesellschaft der besiedelten Zivilisation mit vitalen Senioren im Alter von 80 Jahren und mehr, werden solche kleinen Naturwunder zur echten Gefahr für Leib und Leben. So fit und sportiv heutige Senioren auch sein mögen – bis zum Oberschenkelhalsbruch braucht es nur einen kleinen Stolperer.
Die Alterungsgesellschaft ist kaum in einer anderen Kommune der Heideregion so wahrnehmbar wie in der knapp 20000-Einwohner-Stadt Schneverdingen. Das Thema Kommune inklusiv hat nicht nur mit Migration zu tun, sondern mit Teilhabe am gesellschaftlichen Leben aus allen möglichen Gründen der Beeinträchtigung. Bordsteinabsenkungen, Profilpflaster an Straßenquerungen, Barrierefreiheit für Sehbeeinträchtigte sind ein gängiges Thema.
Bei den Asphaltaufbrüchen allerdings wird sichtbar, wo die Straßenbaulastträger ins Hintertreffen geraten. In Schneverdingen sind etliche Fuß- und Radwege betroffen. Eine kleine Gasse zwischen zwei Straßen, die nicht im Fokus des Bauhofs liegt, aber für ortsansässige Radfahrer und Spaziergänger ein wichtiger Durchgang zwischen der Kernstadt und Insel beziehungsweise dem Höpen ist, ist die asphaltierte Verbindung zwischen den Straßen Auf der Lust und Haferkamp. Der Zustand des Weges macht den Nutzern zu schaffen. Die 80-jährige Erika nutzt den Weg für ihre Ausflüge. Sowohl zu Fuß als auch mit dem Rad ist der dunkle Stieg nur mit Vorsicht zu genießen.
Sanierungsstau - Wenn Warnbaken schon Moos ansetzen
In einem geradezu haarsträubenden Zustand ist der nordwestlich gelegene Bürgersteig der Harburger Straße auf Höhe der ehemaligen Gärtnerei Schröder. Hier bereits aufgestellte Warnbaken sollen Nutzer zur Achtsamkeit vor den natürlichen Stolperfallen warnen. Geändert wird an dem Zustand nichts, die Baken setzen bereits Moos an. Dieser Fußweg wird zwar eher selten genutzt, doch gibt es auch kombinierte Fuß- und Radwege mit fragwürdiger Asphaltdecke, die deutlich frequentierter sind. Etwa der Radweg von Schneverdingen nach Heber, eine für Einheimische und Touristen bedeutsame Wegstrecke, über deren Zustand die Böhme-Zeitung wiederholt berichtet hat. Auch ohne Touristen hoch viel genutzt ist zudem der Radweg entlang der Verdener Straße auf Höhe des Industriegebiets Schneverdingen Süd. Die Wölbungen und Aufbrüche im Asphalt sind für Radfahrer derart unangenehm, dass sich bereits ein Radpfad auf dem Grünstreifen zwischen Radweg und Straße gebildet hat, weil der eigentliche Radweg seiner Nutzbarkeit beraubt ist.
Das Kernproblem der asphaltierten Wege sind Baumwurzeln. Da die Deckschicht im Sommer von unten schwitzt, sich Wasser an der Unterseite des Asphalts sammelt, breitet sich Wurzelwerk mit Vorliebe zum Asphalt hin aus, um ihn schließlich aufzubrechen. Bäume entlang der Fuß- und Radwege bieten im Sommer zwar angenehmen Schatten und sind wichtige Kohlenstoffspeicher – aber eben auch ein Problem für das Wegenetz.
Landesbehörde kennt Zustand der Wege nicht
Für Heberer und Verdener Straße liegt die Straßenbaulast beim Land. Die Böhme-Zeitung hat bei der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr (NLStBV) zu dem Sanierungsbedarf nachgefragt – und eine lange, aber zugleich ernüchternde Antwort erhalten. Aus der geht hervor, dass der Landesbehörde der tatsächliche Sanierungsbedarf ihrer Rad- und Fußwege schlichtweg nicht bekannt ist. Es gebe unterschiedliche Schadensbilder, Baumwurzelschäden würden nicht separat erfasst. Auch sieht sich die Behörde außerstande, eine valide Aussage zu dem Kostenvolumen hinter dem Sanierungsbedarf zu tätigen.
Dennoch setzt sich die NLStBV mit der Frage der Substanzerhaltung beim Wegenetz auseinander. Die Beseitigung der Bäume selbst spielt dabei keine Rolle. Vielmehr geht es um alternative Varianten der Sanierung ohne Asphaltschicht. In Schleswig-Holstein erprobe die Straßenbauverwaltung „einige Teststrecken in wassergebundener Wegedecke“.
Was damit gemeint ist, hat sich die Böhme-Zeitung in der Stadt Rendsburg angesehen, die ebenfalls mit dieser Alternative zur Sanierung von Aufbruchstellen experimentiert hat. Dabei wird auf eine Tragschicht eine dynamische Schicht verbaut, die der Wasserspeicherung dient und ein Austrocknen verhindert. Darüber liegt die körnige Deckschicht mit einem gallertartigen Stabilisator. Der Stabilisator ist ein organisches Bindemittel und umweltverträglich.
Wasserdurchlässiger Mineralstoffboden als Alternative zum Asphalt
Genutzt werden solche Mineralstoffe von Hanse-Grand auch im Heidekreis, etwa im Kloster Walsrode. Ein ähnliches Konzept hat die Stadt Schneverdingen im Südpark verbaut. Solche Wege in Parkanlagen fallen Nutzern oft unangenehm auf. Grund dafür sind meist die groben Steine, die dabei eingesetzt werden.
Die NLStBV sieht sich daher von dem Mineralstoffboden „nicht uneingeschränkt überzeugt“, wie es Rick Gaue von der Behörde vorsichtig formuliert. „Unter anderem sei hier aufgeführt, dass bei geringer Nutzung die Flächen vom Rand her zuwuchern und die Nutzbarkeit für Inline-Skater und andere Sportgeräte nicht möglich ist.“ Es komme zu Konflikten mit Nutzern. Ähnlich argumentiert Detlef Lerch von der Schneverdinger Stadtverwaltung, auch er steht einer Sanierung betroffener Strecken mit Mineralstoffböden skeptisch gegenüber.
Derweil ist man in Rendsburg von der alternativen Lösung überzeugt. Man habe Aufbrüche gehabt, an Stellen, wo selbst ein 28 Zentimeter dicker Asphaltaufbau mit verbautem Geogitter dem Druck der Wurzeln nicht standgehalten habe. „Wir haben verschiedene Körnungen versucht zwischen 0/8er- und 0/13er-Körnung“, bestätigt Reiner Jochims vom Fachdienst Tiefbau der Stadt an der Eider, dass auch die Rendsburger bei den neuen Sanierungskonzepten erst experimentieren mussten. Rendsburg hat neben Wurzelaufbrüchen auch mit Absackungen im Eiderschwemmland zu kämpfen. Die Deckschicht mit einer 0/8er-Körnung habe sich als die beste Variante erwiesen.
Stadt Rendsburg hat Alternative mit Erfolg getestet
Eine Besichtigung mehrerer ein bis drei Jahre alten Sanierungsstellen lässt das Experimentieren nachvollziehen. Ebene Reparaturstellen mit der kleinsten Körnung weisen Steine auf, die für Fußgänger, Radfahrer, Rollatorennutzer kaum auszumachen sind. Eine ein Jahr alte Deckschicht auf einem Radweg zwischen zwei Stadtvierteln wirkt fest, von Abnutzung keine Spur. „Im Herbst genügt die Körnung noch dafür, dass das Laub zerrieben wird und sich auflöst, sodass auch keine Rutschgefahr besteht“, haben die Rendsburger bereits einiges an Erfahrung gemacht.
Die Stadt hat Hanse-Grand mit größerer Körnung auch an einer abschüssigen Stelle in einer Unterführung eingesetzt. Die viel genutzte Reparaturstelle ist inzwischen drei Jahre alt und muss im vierten Jahr wohl einer Pflege unterzogen werden, da die Deckschicht stellenweise sichtbar abgetragen ist.
Die Rendsburger haben sich nach der mehrjährigen Testphase für das neue Sanierungskonzept entschieden. Sie gehen den innovativen Weg. „Aus Gründen der Nachhaltigkeit“, wie Reiner Jochims erklärt. Die Entsiegelung trage zur Verbesserung des Wasserhaushalts im Boden bei und sei weniger kostspielig bei notwendigen Nacharbeiten.
Die hinter Hanse-Grand stehende Firma aus Selsingen im Kreis Rotenburg wurde in diesem Jahr für ihren Baustoff im Wettbewerb „Blauer Kompass“ des Kompetenzzentrums Klimafolgen und Anpassung im Umweltbundesamt von Bundesumweltministerin Svenja Schulze ausgezeichnet.