„Die Männer sahen aus wie Struwwelpeter“
VON MARCEL MAACK
Behringen. Hätte die Politik keinen offiziellen Lockdown angeordnet, Ute Winkler hätte ihn selbst herbeigeführt. Zumindest für ihren Friseursalon. Die Inhaberin des Haarstudios Winkler in Behringen sagt klar und deutlich: „Ich hätte in jedem Fall geschlossen.“ Als Grund gibt sie an: „Man ist als Friseur direkt über dem Kunden drüber.“
Wie soll eine Friseurin eineinhalb Meter Abstand zum Kunden einhalten, wenn ihre Arme viel kürzer sind? Ganz klar: So etwas ist schlichtweg nicht möglich. Dieser fehlende Abstand war es, was Ute Winkler von Beginn der Corona-Pandemie an Angst machte. Bereits mehrere Tage vor offizieller Lockdown-Anordnung von politischer Seite sagte sie deshalb zu ihrer Angestellten: „Wir machen jetzt die letzte Woche, egal was die da oben tun.“
Winkler holte Ratschläge bei ihrer Steuerberaterin ein. Finanzielle Ängste plagten die 60-jährige Friseursalon-Inhaberin zunächst nicht: „Das Haus ist abbezahlt, ich hatte genügend Rücklagen für ein Vierteljahr.“ Erst vier Wochen später sei sie diesbezüglich unruhig geworden.
Der offizielle Lockdown kam, Ute Winkler beantragte für ihre Angestellte Kurzarbeit und bemühte sich um staatliche Unterstützung aus dem sogenannten ersten Hilfspaket. „Die Antragstellung war nicht leicht, auch für meine Steuerberaterin nicht“, blickt Winkler zurück. Zunächst hätten sich die Formulare am Computer nicht öffnen lassen, und dann habe Winkler nicht gewusst, wie man den ausgefüllten Antrag online abschickt. Schließlich habe es aber geklappt und sie habe eine Bewilligungsbescheinigung erhalten.
Sechs Wochen lang ließ Winkler ihren Salon geschlossen, aber langweilig war ihr nicht einen einzigen Tag. „Ich hab mich über diese Zeit gefreut, denn ich hatte viel aufzuarbeiten.“
Deutlich schwieriger gestaltete sich die Zeit ab Wiedereröffnung. „Ich bin nicht mit gutem Gefühl angefangen“, sagt Winkler und nennt als Grund die unzureichende Distanz zum Kunden. Sie selbst und ihre Mitarbeiterin hätten Angst gehabt – Angst, sich eventuell über einen Kunden infizieren zu können. „Wir sind den Fischen zum Fraß vorgeworfen worden – so haben wir uns gefühlt“, beschreibt sie die Tage der Unsicherheit. Zur Verdeutlichung sagt sie: Erst habe sie nichtmal mehr in ein Café gehen dürfen – und nun sollte sie mit einem Mal wieder ganz dicht an ihren Friseurkunden dran sein. Andererseits sei ihr natürlich klar gewesen, dass sie irgendwann wieder öffnen musste – das Geld habe wieder hergemusst.
Bereits 14 Tage vor Wiedereröffnung sprach Ute Winkler mit ihrer Enkelin. „Meinst du, du könntest Omi die erste Woche unterstützen?“, fragte sie diese. Die Enkelin sagte ja, übernahm den Telefondienst, trug Termine in den Kalender ein, empfing die Kunden und manches mehr. „Wenn wir sie nicht gehabt hätten, wäre es für uns der Wahnsinn gewesen“, berichtet Winkler.
Rasieren und Bartpflege sind nicht mehr möglich
Seit das Haarstudio wieder geöffnet hat, ist dort vieles anders. Team und Kunden tragen Mund-Nasen-Schutz, jeder Kunde muss sich nach Betreten des Salons die Hände waschen bzw. desinfizieren, Kunden müssen zueinander eineinhalb Meter Mindestabstand einhalten. Vor jeder Behandlung sind die Haare zu waschen, gesichtsnahe Dienstleistungen wie Augenbrauen- und Wimpernfärben, Rasieren und Bartpflege sind nicht mehr möglich. Jeder Kunde hat seine Kontaktdaten zu hinterlassen und wer charakteristische Krankheitssymptome aufweist, darf gar nicht erst rein in den Salon.
Zwischen den Waschplätzen und an der Kasse befinden sich jetzt Plexiglaswände, Zeitschriften und Getränke sind aus dem Salon verbannt, bezahlen sollen die Kunden mit Karte. Was Ute Winkler ärgert: Ausgerechnet ein paar Geschäftsmänner seien ihr mit der Antwort gekommen, dass sie keine Karte hätten. Dabei gehe es doch um die Gesundheit aller.
Und wie sahen die Kundinnen und Kunden aus, als sie nach langer Zeit endlich das erste Mal wieder zu Ute Winkler ins Haarstudio kommen durften? „Die Frauen haben sich was einfallen lassen, die haben zum Beispiel Spangen benutzt oder sich Zöpfe gebunden“, erinnert sich Winkler. Und die Herren der Schöpfung? Winkler muss lachen: „Die Männer sahen ein bisschen aus wie Struwwelpeter.“ Allerdings nur ein Teil von ihnen, bei anderen hätten deren Frauen die Haarschneidemaschine angesetzt.
Ute Winkler berichtet abschließend, für Frauen und Männer habe gleichermaßen eines gegolten: „Alle waren sehr froh, dass ich wieder aufhatte. Und sie haben keine Angst gehabt – die Angst war nur auf unserer Seite.“
Immerhin: Nach drei Tagen habe sich die Angst, sich möglicherweise infizieren zu können, sowohl bei Winkler als auch bei ihrer Angestellten gelegt, erinnert sich die Salonchefin.