Liberal auch in schwierigen Zeiten
Es gibt viele Gründe, die Menschen dazu bringen, sich aktiv in einer politischen Partei zu engagieren. Bei Alexander Künzle war es Trotz. Kurz nach dem Abitur war der Rotenburger der FDP beigetreten und blieb zunächst passives Mitglied. Es waren die lauten, manchmal schrillen Westerwelle-Jahre als „putzmuntere Opposition“ gegen die erste Große Koalition unter Angela Merkel. Die fetten Jahre der Partei. Bei der Bundestagswahl 2009 erzielte die FDP mit 14,6 Prozent ein Rekordergebnis. Es reichte für eine schwarz-gelbe Regierung.
Zwei Jahre später war der historische FDP-Triumph verspielt. Das Wahlversprechen „mehr Netto vom Brutto“ war nur für Hoteliers in Erfüllung gegangen, die FDP wurde als „Mövenpic-Partei“ verspottet und Guido Westerwelle als Parteivorsitzender vom glücklosen Philipp Rösler abgelöst. Es begann der beispiellose Abstieg einer Partei, die die Bundesrepublik über Jahrzehnte geprägt hatte, meistens als Regierungspartner. Öffentlich für die FDP einzustehen war 2011 nirgends in Deutschland vergnügungssteuerpflichtig. In Rostock, wo Künzle in dieser Zeit Jura studierte, am allerwenigsten. Mecklenburg-Vorpommern war schon vorher liberale Diaspora. Nun schrumpfte die FDP dort zur Splitterpartei. Künzle, der in seiner Freizeit gerne beim Gaming am Computer entspannt oder Sport treibt, am liebsten Golf und Boxen, ärgerte sich darüber. Auch über die Häme der anderen.
Seine Reaktion auf die Krise seiner Partei war kein Rückzug, sondern ein trotziges „jetzt erst recht“. Auf einer Versammlung der FDP-Nachwuchsorganisation Junge Liberale (Julis) in Rostock trat er erstmals seit seinem Parteieintritt ans Rednerpult. Die Zeit als passives Mitglied war vorbei. Künzle legte den Golfschläger beiseite und zog die Boxhandschuhe an. In der personell ausgezehrten Partei stieg Künzle schnell auf, in vier Jahren bis zum Juli-Landesvorsitzenden. Er machte nun Wahlkampf, als Repräsentant einer unbeliebten Partei. „Rostock kann ein hartes Pflaster sein“, sagt Künzle. Er wurde angepöbelt und bedroht, einmal angespuckt.
Unterschriften sammeln für eine Partei am Abgrund
Die FDP scheiterte. Sie flog 2013 aus dem Bundestag und verpasste drei Jahre später mit mickrigen drei Prozent klar den Einzug in den Schweriner Landtag. Bittere Jahre der Parteigeschichte. „Weil die FDP nicht mehr im Bundestag saß, mussten wir Unterschriften sammeln, damit die Partei zur Landtagswahl 2016 überhaupt antreten durfte“, erinnert sich Künzle – und will die Erfahrung nicht missen. „Sowas kennen CDU, SPD und Grüne gar nicht. Das lehrt Demut.“
2017 war für Künzle ebenso wie für seine Partei eine Zäsur. Der ledige, kinderlose Rotenburger bestand vor dem Oberlandesgericht Rostock das Zweite Staatsexamen, mit dem die lange Ausbildungszeit zum Volljuristen endet. Die FDP schaffte den Wiedereinzug in den Bundestag. In den Folgejahren stand für Künzle der Berufseinstieg im Vordergrund. Der begann holprig, inklusive einer kürzere Phase der Arbeitslosigkeit. Schließlich bot sich ihm die Chance, in seiner Heimatstadt Rotenburg eine Kanzlei zu übernehmen.
Heute ist Rechtsanwalt Künzle politisch wieder aktiver. Er kandidiert als mit 36 Jahren jüngster Direktkandidat im Heidekreis für den Bundestag und steht auf Platz 23 der FDP-Landesliste. Als Jurist sieht er die Freiheitseinschränkungen während der Corona-Krise kritisch, ohne dabei Sympathien für die sogenannte Querdenker-Szene zu entwickeln, der er vorwirft, Hand in Hand mit der AfD das politische Klima zu vergiften. Zum Thema Corona finde seine Partei den richtigen Ton, freut er sich über viel Zustimmung im Wahlkampf.
So passt vieles Zusammen zwischen der Partei und ihrem Kandidaten. Rechtsanwalt, Bürgerrechte, Golfplatz. Nur der Boxring scheint nicht ins Bild zu passen. Aber vielleicht ist das ein Missverständnis. „Boxen hat viel mit dem Kopf zu tun“, sagt Künzle. Mit Kampfstrategie und der Bereitschaft, hart zu sein. „Vor allem gegen sich selbst“.