"Rechtlich okay, moralisch schwierig"
Soltau. Immer wieder haben die Initiatoren des Bürgerbegehrens kritisiert, dass sie vom Landkreis in ihrem eigentlich urdemokratisch legitimierten Vorgehen ausgebremst würden. Nun wundern sie sich erneut, dass der hoch verschuldete Heidekreis und das Heidekreis-Klinikum, das auf jährliche Finanzspritzen aus dem Kreishaushalt in Millionenhöhe angewiesen ist, eine ihrer Meinung nach „Werbekampagne sondergleichen gestartet haben“. Ihnen aber werde finanzielle Unterstützung verweigert, sie könnten einzig auf Spenden zurückgreifen. Nicht nur die Erstellung und Produktion der Kreis-Flyer koste viel Geld, auch die Verteilung an alle Haushalte. Zudem würden Aufkleber und Plakate produziert, ein Lkw aufwendig beschriftet, Werbe-Diskussionen via Internet mit professionellen Moderatoren geführt und auch finanziert. Nun verteile der Landrat auch noch Broschüren mit seinem Konterfei, die zwar ausgewogen aussehen würden, aber nach Meinung der Initiatoren im Inneren eine deutliche Werbung gegen ein „Ja“ in Sachen Bürgerentscheid enthalte.
Die Initiatoren sehen darin parteiische Werbung für den geplanten „dezentralen Südkreis-Standort“. Als „Griff ins Staatssäckel“ verurteilen die Sprecher des Bürgerbegehrens, Otto Elbers, Adolf Köthe, Werner Salomon und Dr. Wolfram Franz, das Vorgehen. Rechtlich sei es sicher nicht angreifbar, wissen sie, moralisch aber vergeben sie eine „glatte 6“. Zumal Unterstützer des Bürgerbegehrens nicht nur für dieses spendeten, sondern über den Heidekreis und die von diesem verwendeten Steuermittel in die Werbekampagne doppelt zahlten. Dass sich die Werbung vorzugsweise gegen den Bürgerentscheid erheblich aufsummiert, zeigt eine Anfrage an Klinikum (siehe Infobox) und Heidekreis. So hat der Flyer „Ein Gesamtklinikum für den Heidekreis in Bad Fallingbostel“, den der Landkreis selbst im Januar mit einer Auflage von mehr als 65 000 Stück als Postwurfsendung verbreitete, fast 15 600 Euro für Druck und für Verteilung gekostet.
In Bayern beispielsweise wäre solch Werbung wohl nicht möglich gewesen. Dort gibt es einen sogenannten Fairnesspassus im Gesetz, der festlegt, dass grundsätzlich beide Seiten berücksichtigt werden müssen. In Niedersachsen gibt es diesen Grundsatz in den rechtlichen Vorgaben rund um ein Bürgerbegehren nicht. Die Sichtweise Bayerns sei innerhalb der Bürgerbegehren-Verfahren sinnvoll, indet der Landesverband Mehr Demokratie in Bremen und Niedersachsen. Schon zum Start eines Bürgerbegehrens sei der Hauptverwaltungsbeamte aber auch in Niedersachsen aufgefordert, auf Anfrage die Initiatoren zu beraten, egal ob dieser das Vorhaben gut oder schlecht inde, betont Sprecher Dirk Schumacher. Da sehe der Gesetzgeber eine Neutralität vor. Völlig in Ordnung sei natürlich, wenn ein Landrat betone, das Vorhaben inhaltlich anders zu sehen. Allerdings, so sieht es Mehr Demokratie, sei hier dennoch eine persönliche Zurückhaltung angebracht, weil der Landrat direkt von den Wählern gewählt worden sei.
Der Landkreis Heidekreis steht dagegen auf dem Standpunkt, dass es keine Neutralität zu geben brauche – auch angesichts der mehr als 12 000 Unterschriften, die das Bürgerbegehren bereits im Heidekreis gesammelt hat. Diese wären nach Meinung der Initiatoren jedoch ein starkes Argument für mehr Zurückhaltung vonseiten des Landkreises. Kreissprecher Andreas Pütz weist dagegen darauf hin, dass der Landkreis durchaus für die Position öffentlich eintreten könne, die er für richtige halte: „Er ist hierbei aber an das Wahrheits- und Sachlichkeitsgebot gebunden.“ Laut Pütz werde derzeit ein weiterer Flyer gedruckt und verteilt, Inhalt ist der Ablauf des Bürgerentscheids. 67 600 Stück werden im Heidekreis an die Haushalt verschickt: Gesamtkosten rund 10 225 Euro. Weitere Maßnahmen in diese Richtung seien nicht geplant.
Hinzuzurechnen ist allerdings auch das Honorar für die Erstellung des Rechtsgutachtens. Dieses war noch in Auftrag gegeben worden, nachdem das Bürgerbegehren vorläufig zugelassen und die Unterschriftensammlung abgeschlossen war. Der Inhalt des Rechtsgutachtens spielte bei der gerichtlichen Auseinandersetzung keine entscheidende Rolle. Gekostet hat es rund 14 000 Euro, für die anwaltliche Vertretung seien laut Kreissprecher 2700 Euro aufgewendet worden. Die Initiatoren haben ihrerseits für das Gerichtsverfahren rund 15 000 Euro aufgewendet. Trotz Erfolg vor dem Verwaltungs- und dem Oberverwaltungsgericht hätten sie nur rund 2700 Euro vom Landkreis erstattet bekommen. Den Vorwurf der Initiatoren, dass die Straßenmeisterei Werbezäune aufstelle und Banner aufhänge, weist der Landkreis zurück. Mitarbeiter seien dafür nicht aktiv.
21 Plakate der Initiatoren auf privaten Grundstücken
Wird allerorten nun auch mit großflächigen Plakaten für die jeweilige präferierte Abstimmung geworben, müssen die jeweiligen Straßenbaulastträger das Aufstellen von Plakaten grundsätzlich zulassen, so der Heidekreis. Zudem seien die straßenverkehrsrechtlichen Sicherheitsbestimmungen zu beachten. Die Initiatoren des Bürgerbegehrens haben 21 Plakate drucken lassen, die derzeit an Zäunen auf privaten Grundstücken aufgehängt werden. Letztlich muss man auch einen Blick auf die Kosten rund um den Bürgerentscheid selbst werfen. Der Landkreis geht davon aus, dass das Wahlverfahren, das per Briefwahl oder in den verschiedenen Wahllokalen in den Kommunen stattfindet, am Ende zwischen 160 000 und 200 000 Euro kosten wird. Für die Initiatoren führe trotzdem nichts am Bürgerentscheid vorbei. Deshalb schon nicht, weil kurz nach dem eingereichten Antrag am 20. Juli für ein Bürgerbegehren bereits Nägel mit Köpfen gemacht worden seien: 1,5 Millionen Euro seien da schon für den Architektenwettbewerb in die Hand genommen worden.
Infobox: Aktiv für den Standort F4
Werbemittel in nicht unerheblicher Höhe hat auch das Heidekreis-Klinikum im Budget. Laut Kliniksprecherin Nina Bernard verfüge die Unternehmenskommunikation über einen eigenen Etat und sei nach dem Kreistagsbeschluss Im Juni 2020 vom Aufsichtsrat beautragt worden, den Standort F 4 (südwestlich Bad Fallingbostels) aktiv zu bewerben. „Wir nutzen im wesentlichen bestehende Formate, unter anderem unseren Neubau-Blog auf der Website des Heidekreis-Klinikums und auch den Gesund:heidjer, der bereits seit 2017 bis zu viermal im Jahr erscheint. Die jetzt verteilte Ausgabe befasst sich schwerpunktmäßig mit Themen rund um das Neubau-Projekt.“ Die Nein-Bürgerinitiativen unterstütze das Klinikum hauptsächlich mit diversen Druckvorlagen, beispielsweise für Roll- und Bauzaunbanner sowie Plakate. Die Social-Media-Accounts, Facebook und Instagram, lägen in der Verantwortung der Unternehmenskommunikation, also in den Händen „meiner Mitarbeiterin, die Grafikerin ist, und mir selbst“, so Bernard. Den Werbefilm, der beispielsweise in Walsrode und in Bad Fallingbostel laufe, habe man eigenständig produziert. Das Abspielen, sprich, die notwendige Technik dafür sei ihnen von einem Unterstützer des Standorts F4 kostenfrei zur Verfügung gestellt worden. Bei den Facebook-Live-Streams arbeiten man mit drei kleinen Kameras. Bei der Umsetzung würde man von einem Streaming-Dienstleiste aus Schleswig-Holstein unterstützt. Der Gesamtetat für die Unternehmenskommunikation des Klinikums liege seit Jahren bei knapp unter 100 000 Euro. at