Interview: „Keine betriebsbedingten Kündigungen“
Soltau. Eine gute medizinische Versorgung der Patienten auch in der weiteren Zukunft dürfte für den Heidekreis als Träger des Klinikums ein Ziel der aktuellen Entwicklung sein. Ganz vorn aber steht angesichts des Millionen-Defizits des Hauses vor allem, es wirtschaftlich auf gesunde Füße zu stellen. Im besten Falle soll das Haus schwarze Zahlen schreiben. Doch wie in vielen anderen Bereichen auch, sind die Personalkosten die treibenden Kosten. Was bedeutet also der Neubau für die Beschäftigten? Dazu antworten die HKK-Verantwortlichen, Geschäftsführer Dr. Achim Rogge, Personalchef Sven Ortlepp und Betriebsratsvorsitzende Anke Wolters-Rengstorf.
BZ: Herr Dr. Rogge, hat auch für Sie Priorität, mit dem Neubau des Heidekreis-Klinikums vor allem das jährliche Defizit auf Null zu bringen?
Dr. Achim Rogge: Unser Fokus liegt nicht darauf, Gewinne zu erwirtschaften, sondern wir agieren nach dem Prinzip: erst die Medizin, dann die Wirtschaftlichkeit. Und beides bedingt sich: Nur ein gutes, breites medizinisches Angebot mit guter, qualifizierter und ausreichender pflegerischer Versorgung wird sich langfristig bei den Patienten durchsetzen. Selbstverständlich ist dies nur möglich in der Kombination mit optimierten Prozessabläufen, mit strukturierten Abläufen, die in einem Neubau dann auch möglich sind. Ja, das Heidekreis-Klinikum muss es schaffen, auskömmlich zu wirtschaften. Daran arbeiten wir aber schon heute. Wenn Sie sich die Wirtschaftszahlen der letzten drei Jahre anschauen, sind wir auf einem guten Weg: Als ich in 2019 die Verantwortung für das HKK übertragen bekommen habe, hatte das HKK in 2018 ein Defizit von knapp 13 Millionen Euro erwirtschaftet. In 2019 lag dieses Defizit dann nur noch bei 9,9 Millionen Euro und in 2020 werden wir ein nochmals deutlich besseres wirtschaftliches Ergebnis haben.
BZ: Nun ist es angesichts der finanziellen Grundlage einer Krankenhausfinanzierung scheinbar ein Ding der Unmöglichkeit, eine Klinik in einer ländlichen Region vernünftig finanziell aufzustellen.
Rogge: Es ist leider so, dass ein Krankenhaus, das mit schlechten Wirtschaftszahlen oft in den Medien steht, auch bei der Bevölkerung in puncto medizinische Verpflegung keinen guten Ruf genießt. Wir aber haben in unserem HKK im Heidekreis eine sehr gute medizinische und pflegerische Versorgung. Deshalb werden wir es schaffen, die Bevölkerung des Heidekreises durch gute Medizin und Pflege – und einem für den Landkreis zukünftig angepassten Leistungsangebot von uns zu überzeugen. In vielen Bereichen der Grund- und Regelversorgung hat das HKK bisher, obwohl im Heidekreis ein großer Bedarf vorhanden ist, kein medizinisches Angebot gehabt. Als Beispiele sind zu nennen Erkrankungen der Gefäße wie beispielsweise die Schaufensterkrankheit und Erkrankungen des Nervensystems. Ziel ist es, dass diese Patienten sich hier im Landkreis behandeln lassen können.
BZ: Sie haben bei Presseterminen rund um den Neubau gesagt, dass zügig eine Abkehr vom Defizit erreicht werden kann. Gibt es dazu weitere Erkenntnisse, wie sich die finanzielle Situation entwickeln wird – wenn das neue Klinikum seine Arbeit aufgenommen hat?
Rogge: Wie ich bereits mehrfach gesagt habe, wird es zwei bis drei Jahre dauern, bis wir im Neubau richtig angekommen sind, bis alle Prozesse endgültig optimiert sind, bis alle Abläufe wie Zahnräder perfekt ineinandergreifen und wir dann auf Zuzahlungen – finanziert durch Steuergelder – verzichten können. Wie schon oben beantwortet, sind wir bereits seit 2019 auf einem guten Weg: Die Arbeit an Prozessen und Abläufen macht sich bereits in den Altstandorten bemerkbar. Dazu kommen dann noch positive Effekte, die das Defizit verringern, wie beispielsweise die Senkung von Energiekosten. Hier rechnen wir von einem Einsparpotenzial von mehr als 500 000 Euro.
BZ: Hauptkostenfaktor auch einer Klinik ist das Personal. Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat das Klinikum aktuell? Wie viele davon haben befristete Verträge?
Sven Ortlepp: Um das medizinische Gesamtkonzept voranzubringen, sind alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der klinischen Versorgung absolut notwendig. Wir haben insgesamt über 1100 Mitarbeitende und bauen in der Pflege weiter auf. Grundsätzlich gibt es keine generelle Regelung, etwa Verträge bei Neueinstellungen nur noch zu befristen, sondern wir entscheiden jedes Mal einzelfallbezogen. Aber es ist auch so, dass Doppelbesetzungen, zum Beispiel am Empfang, in der Technik, in der Verwaltung nach dem Umzug nicht mehr notwendig sein werden.
BZ: Was bedeutet das für die Mitarbeiter?
Ortlepp: Grundsätzlich haben wir mit dem Betriebsrat eine Sanierungs-Vereinbarung geschlossen, dass wir auf betriebsbedingte Kündigungen verzichten. Etwas mehr als 43 Prozent unserer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind in der Pflege inklusive Funktionsdienst wie OP, Herzkatheter-Labor und Notaufnahmen beschäftigt, 16 Prozent der Belegschaft sind Ärzte und 8 Prozent arbeiten in der Verwaltung. Wo Mitarbeiter eingesetzt werden, wenn ihr bisheriger Tätigkeitsbereich entfällt, klären wir in jedem Einzelfall mit dem Betroffenen individuell.
BZ: Sind denn alle Planstellen besetzt, in welchen Abteilungen fehlt es an Personal?
Ortlepp: Wir haben formal keinen Stellenplan oder Planstellen im Haus. Wir richten die Personalstärke an der Leistungsentwicklung aus, die im verabschiedeten Wirtschaftsplan jährlich neu justiert wird. Dabei beachten wir auch die gesetzlichen- und tariflichen Vorgaben. So haben wir beispielsweise neu die Pflegepersonaluntergrenzenverordnung zu beachten, die Mindeststärken in praktisch allen Pflegebereichen unserer beider Häuser vorgibt und dokumentiert wird.
BZ: Nochmal zurück zu den Doppelstrukturen, die es bei einem Neubau geben könnte: Welche und in welchem Umfang müssten sie abgebaut werden?
Rogge: Es wird keine Kündigungen in der Pflege oder Ärzteschaft geben, um Geld zu sparen. Ganz im Gegenteil, wir suchen weiterhin neue Ärzte und Pflegende. Nochmals: Um das medizinische Gesamtkonzept voranzubringen, sind alle Mitarbeitenden in der klinischen Versorgung absolut notwendig.
BZ: Dennoch gibt es Betroffene, was bedeutet das für diese?
Anke Wolters-Rengstorf: Der Abbau von Doppelstrukturen ist aus Sicht des Betriebsrates für die Belegschaft sehr förderlich. Kollegen können besser aufeinander eingehen und der Teamgeist wird gestärkt. Überstunden würden in Ausnahmefällen in einem wahrscheinlich erträglichen Maß anfallen durch eine bessere Besetzung. Dadurch wird die Arbeitsbelastung gesenkt. Durch die Zusammenlegung erhoffen wir uns auch die Besetzung von offenen Stellen – durch die Erhöhung der Attraktivität des Arbeitsplatzes.
BZ: Wie hoch ist der Personalbedarf im Neubau? Richtet dieser sich nach der Bettenzahl oder den Patienten?
Ortlepp: Der Bedarf richtet sich nach den Patienten, die umfassend ärztlich und pflegerisch betreut werden. Dieser quantitative Ansatz gibt uns einen planerischen Anhalt, zugleich erfordert der qualitative Ansatz, also der Fächermix, eine differenziertere Betrachtung. Wie bereits beschrieben, sind unterschiedliche Vorgaben, wie die Pflegepersonaluntergrenzenverordnung zu beachten, die Mindeststärken in praktisch allen Pflegebereichen vorgibt.
BZ: Nun verbinden der Betriebsrat und die HKK-Jugendvertretung in einem Brief zum dringend benötigten Neubau die Hoffnung, dass damit ein sicherer Arbeitsplatz für mehr als 1000 Kolleginnen und Kollegen geschaffen wird. Können Sie das zusichern, ohne das Ziel, schwarze Zahlen zu schreiben, aus dem Auge zu verlieren?
Wolters-Rengstorf: Ja, denn mit dem Betriebsrat wurde bereits mehrmals besprochen, dass es zu keinen betriebsbedingten Kündigungen kommen wird. Wir als Betriebsrat haben die Hoffnung, dass der Neubau und die moderne und hervorragende medizinische und pflegerische Betreuung unserer Kolleginnen und Kollegen von der Bevölkerung angenommen wird. Diese Akzeptanz sichert letztendlich unsere Arbeitsplätze.
BZ: Inzwischen wurde das Labor ausgegliedert. Zumindest personell spielt diese Abteilung keine Rolle mehr, kostentechnisch natürlich weiterhin. Ärztlicher Direktor Dr. Frank Schmitz hatte die Privatisierung kürzlich in einem Videogespräch kritisiert, weil die Kostenersparnis nach seinen Worten nur ein kurzer Effekt sei, die Privatisierung langfristig teurer kommen wird, die Ärzte zudem weniger Zugriff auf die Leistung des Labors hätten. Wie sehen Sie das?
Rogge: In einem Krankenhaus kann es keine hoch qualifizierte medizinische Versorgung ohne Labor geben. Das langfristig geplante Projekt Labor wurde bereits im Herbst 2019 angeregt, da es für einen sicheren und reibungslosen Ablauf in einem Labor wichtig ist, dass jederzeit die Fachkompetenz eines Laborarztes in Anspruch genommen werden kann. Um dem großen Mangel an Laborärzten entgegenzuwirken, ist die Zusammenarbeit mit großen Laborbetreibern sinnvoll und üblich. Außerdem kann das Labor mit dem Wechsel zu dem Unternehmen LADR auch von niedergelassenen Ärzten im Heidekreis und auch von unseren medizinischen Versorgungszentren genutzt werden. LADR hat sich in einer im September 2019 gestarteten europaweiten Ausschreibung, die das HKK gemeinsam mit dem AKH Celle und dem Klinikum Peine durchführte, gegen letztlich drei Mitbewerber durchgesetzt. Es ist der Geschäftsführung und dem Betriebsrat wichtig, dass wir einen starken, verlässlichen Partner mit gutem Ruf in der Branche gefunden haben, der unsere Laboreinrichtungen an den Standorten Soltau und Walsrode weiter nutzt und alle Beschäftigten des Labors übernommen hat. Mit LADR können wir optimale Patientensicherheit mit schnellen Laborergebnissen garantieren und der Standort Soltau soll zudem durch LADR mit neuesten diagnostischen Laborgeräten ausgestattet werden. Jede Fachabteilung bekommt durch unser Labor selbstverständlich alle Laborparameter, die er für die bestmögliche Behandlung seiner Patienten benötigt.
BZ: Ist eine Privatisierung auch für andere Abteilungen wie die Küche, Teile der Verwaltung oder die Apotheke vorgesehen? Liegen dazu schon konkrete Angebote vor? Welche Einsparung erhofft sich die Klinik dazu?
Rogge: Es gibt keine Pläne oder Angebote, es sind auch keine weiteren Ausgliederungen oder Privatisierungen geplant. Interview: Anja Trappe
Infobox: Überraschung: Plötzlich mehr Gesprächspartner im Boot
Die Böhme-Zeitung hatte sich mit einer Interview-Anfrage rund um das Thema der künftigen wirtschaftlichen Ausrichtung eines Klinikneubaus an den Geschäftsführer des Heidekreis-Klinikums, Dr. Achim Rogge, gewandt. Insbesondere ging es der BZ darum, noch einmal explizit darzulegen, was ein Neubau nicht nur für die Patienten der Region, sondern auch für die Mitarbeiter bedeutet. Aufgrund der Coronasituation kam es nicht zu einem persönlichen Interview, das grundsätzlich durch Nachfragemöglichkeiten einen anderen Gesprächsverlauf zulässt. Also formulierte die BZ die Fragen schriftlich. Letztlich antwortete Rogge aber nicht nur, wie von der BZ gewünscht, selbst, sondern holte den Personalchef und die Betriebsratsvorsitzende dazu. Es liege in der Natur der Sache, dass man arbeitsteilig aufgestellt sei. Rogge müsse ja parallel noch ein Klinikum leiten, hieß es dazu aus dem Klinikum. at