Kommentar: Über Tatsachen und Gerüchte
Nein, ein Gerücht war es nicht, was die Böhme-Zeitung in ihrer Dienstagausgabe veröffentlicht hat. Der Artikel war überschrieben mit der Schlagzeile: „Klinik-Streit: Droht Chefarzt Dr. Franz die Kündigung?“. Eine Leserin schickte uns daraufhin einen Brief, in dem sie ihre Erwartung zum Ausdruck brachte, dass die Böhme-Zeitung über Tatsachen berichten soll und nicht über Gerüchte.
Tatsächlich handelte es sich aber um einen fundierten Bericht. Der Redaktion liegen die entsprechenden E-Mails vor – und die sind sehr deutlich. Es ist Fakt, dass Sebastian Zinke, stellvertretender Klinikum-Aufsichtsratsvorsitzender, eine E-Mail an die Klinik-Geschäftsführung in Sachen Dr. Wolfram Franz weitergeleitet hat mit dem Vermerk „zur Kenntnisnahme und ggf. weiteren (arbeitsrechtlichen) Veranlassung“.
Auch der Aufsichtsrat selbst hat gegenüber der Böhme-Zeitung bis heute nicht bestritten, dass die Personalie Thema während der Sitzung in der vergangenen Woche war. Sowohl Aufsichtsratschef Hermann Norden als auch Geschäftsführer Norbert Jurczyk sagten auf Nachfrage der Böhme-Zeitung lediglich „kein Kommentar“. Das ist aber nichts anderes als eine indirekte Bestätigung unserer Information, dass über den Chefarzt in dem angeführten Zusammenhang gesprochen worden ist. Sonst hätte ihre Entgegnung gelautet: „Das ist falsch.“
Der Bericht der Böhme-Zeitung lässt keinen Interpretationsspielraum bei der Frage „Ist es wahr oder nicht“ zu, da er Tatsachen liefert, und diese Tatsachen der Wahrheit entsprechen. Damit entfällt aber ein wesentliches Merkmal eines Gerüchts, das darin besteht, dass es Zweifel über dessen Wahrheitsgehalt gibt. Dennoch ist es einer Zeitung unbenommen, auch über Gerüchte zu berichten. Sie muss damit aber außerordentlich vorsichtig umgehen. Nur wenn an einem Gerücht ein großes öffentliches Interesse besteht, sollte es veröffentlicht werden – aber mit dem deutlichen Hinweis, dass es sich um ein solches handelt. Dann kann jeder Leser entscheiden, für wie glaubwürdig er es hält.
Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist der Rücktritt des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff. Bereits gut eine Stunde bevor er in einer Pressekonferenz seinen Rücktritt bekanntgab, haben Nachrichtenagenturen sowie Zeitungen und Zeitschriften auf ihren Internetseiten verbreitet, Wulff werde um 11 Uhr zurücktreten – das war nichts anderes als ein Gerücht. Doch die Anzeichen sprachen eindeutig dafür, es zu verbreiten, auch wenn jede offizielle Bestätigung zu diesem Zeitpunkt fehlte.
Aber auch, wenn ein Gerücht offensichtlich nicht zutrifft, kann es von öffentlichem Interesse sein, wenn gleichzeitig die Absicht aufgedeckt wird, die jemand damit verfolgt. So streut Wladimir Putin zurzeit das Gerücht, es gebe ein Mordkomplott gegen ihn. Der Zweck ist eindeutig: Er will seine Chancen bei der morgigen Präsidentenwahl in Russland verbessern. Der deutsche Presserat, der über die ethischen Standards der Presse wacht, hält die Verbreitung von Gerüchten in einer Zeitung denn auch für zulässig. In Ziffer 2 seines Pressekodex‘ heißt es: „Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen.“
Daran hält sich die Böhme-Zeitung – was aber im Fall der Berichterstattung über Dr. Franz nicht notwendig gewesen ist. Er sieht sich tatsächlich dem immensen Druck ausgesetzt, über den die Böhme-Zeitung berichtet hat. Einen Vorwurf hätte man der Redaktion nur dann machen können, wenn sie diesen Vorgang nicht publik gemacht hätte.