Strenges Kontrollregime für Dienstwaffen
Als vor drei Wochen nach den vier Morden in Westervesede und Brockel bekannt wurde, dass der mutmaßliche Täter ein Bundeswehrangehöriger ist, kam schnell die Vermutung auf, dass der 32-Jährige eine Bundeswehrwaffe benutzt haben könnte. Dieser Verdacht bestätigte sich nicht, was nichts an der Ungeheuerlichkeit der Tat ändert. Bei der Bundeswehr und insbesondere in der betroffenen Einheit in Seedorf, dürfte es dennoch eine gewisse Erleichterung gegeben haben, dass das Gewehr des Herstellers Heckler & Koch nicht aus den dortigen Beständen stammte. Es war eine von mehreren Waffen, die der Soldat als Sportschütze privat besessen und wie vorgeschrieben auch angemeldet haben soll.
Die Nachricht, dass es keine Armeewaffe war, habe ihn nicht überrascht, sagt Brigadegeneral Björn F. Schulz. Dabei macht der Standortälteste und Kommandeur der Panzertruppenschule Munster deutlich, keine weitere Kenntnis von den Umständen der Taten zu haben. Er kenne aber die vorgegebenen Abläufe und Sicherheitsvorkehrungen beim Umgang mit Dienstwaffen, für die er in seiner Vorgesetztenfunktion selbst Verantwortung trage.
Ob Soldaten privat Waffen besitzen, die natürlich ordnungsgemäß angemeldet sein müssten und der Inhaber die erforderliche Berechtigung vorweisen könne, da gebe es von Seiten des Dienstherrn keine Kontrollen. Das sei ihr staatsbürgerliches Recht, „wie bei jedem anderen auch.“ Aber es dürften eben nur private Gewehre und Pistolen sein, Bundeswehrwaffen ausschließlich für dienstliche Zwecke in der Kaserne und auf militärischem Übungsgelände oder bei Übungen im öffentlichen Raum geführt werden. Dort müssten sie auch bleiben und dürften keinesfalls mit nach Hause genommen werden.
General hat selbst keinen Waffenschein
Er selbst habe demzufolge noch nie eine Bundeswehrwaffe zu Hause gehabt. „Ich habe auch keinen Waffenschein“, sagt Schulz. Dennoch sei ihm natürlich der Umgang mit militärischen Waffen vertraut, müsse es auch sein, da sie „in unglaublicher Vielzahl im Rahmen der soldatischen Ausbildung“ eingesetzt würden.
Bei der Kontrolle auf Vollständigkeit von Waffenbeständen steht nach Aussage des Generals „ein strenges Kontrollregime über allem“. Alles lagere physisch gesichert in dafür konstruierten Gebäuden in einer gesicherten Kaserne, mit vergitterten Fenstern, besonderem Schließmechanismus, elektronischer Sicherung sowie überwachender Sensorik. Ein aufwendiges Sicherheitssytem, im Vergleich zur Situation Ende der 1970er-Jahre, als der Autor dieses Artikels in seiner Bundeswehrzeit als Waffen- und Gerätewart für die Aufbewahrung von Waffen und Munition seiner Einheit zuständig war, ein Quantensprung.
Ein Fach für jede Waffe, so dass sofort zu sehen ist, wo beispielsweise ein G 36 fehlt. Wo eine Lücke ist, da gibt es einen dokumentierten Nachweis, wo es sich gerade befindet – gegen Unterschrift ausgegeben für den Ausbildungs- oder Übungsbetrieb, oder zur Reparatur in der Werkstatt.
Munition und Kampfmittel werden verschlossen. Nachdem die letzte Patrone gezählt ist – es gilt das Mehraugenprinzip – und der Abgleich mit der Schießkladde stimmt, werde die Packung versiegelt und plombiert. Das könne auf der Schießbahn oder beim Gefechtsschießen schon mal anspruchsvoll sein. Meist beruhten Abweichungen vom Soll auf Zählfehlern.
Täglich zum Dienstschluss werde die Vollständigkeit der Waffenkammer durch den Verantwortlichen überprüft. Mindestens einmal pro Woche gebe es Kontrollen durch Vorgesetzte und nach Vorkommnissen gegebenenfalls auch häufiger.
Bei der Soldaten-Ausbildung gelte der eiserne Grundsatz, dass jeder für seine Waffe verantwortlich ist, diese immer am Mann oder an der Frau zu halten sei. Verstöße würden streng geahndet, angefangen mit einer Belehrung und sollte das wiederholt vorkommen, mit disziplinarischen Maßnahmen.
Wenn etwas fehlt, dann bewegt sich nichts
Und wenn etwas fehlt? „Dann bewegt sich nichts“. Dann gebe es Befragungen und Kontrollen bis hin zur Schließung der Kaserne beziehungsweise Überprüfung derjenigen, die sie verlassen wollen. Das Fehlen einer Waffe werde hoch aufgehängt, sagt Schulz, die Meldung geht bis hoch ins Ministerium.
Über die optischen, physischen und technischen Sicherheitsmaßnahmen hinaus bleibt der Faktor Mensch. Bekanntlich könne man nicht in Köpfe hineinschauen, bemüht der General eine bekannte Weisheit. Da habe die Bundeswehr aus Einsätzen auf dem Balkan und in Afghanistan sowie auch von Bündnispartnern bezüglich Traumatisierungs-Krisenmanagement viel dazugelernt. Es gebe ein psychosoziales Netzwerk mit Sozialdienst, truppenärzlichen und psychologischen Beratungsangeboten.
Wichtig sei vor allem die Kameradschaft: Man achte aufeinander, spreche bei auffälligen Verhaltensveränderungen den Kameraden direkt an oder wende sich an Vorgesetzte. Auch das sei Teil der soldatischen Ausbildung und Prägung. Zudem verweist Hauptmann Matthias Möncher als Leiter der Stabsabteilung 2 (Sicherheit) auf ein weiteres vorgeschaltetes Sicherheitskriterium: „Der Militärische Abschirmdienst durchleuchtet jeden, bevor er an Waffen kommt.“
Hundertprozentige Sicherheit mit der Garantie, dass nichts abhanden kommt, gebe es nicht, sagt Schulz abschließend. Gleichwohl ist er überzeugt, dass man in puncto Waffensicherheit „organisatorisch und inhaltlich sehr gut aufgestellt“ sei. Da habe die Bundeswehr einen „Standard, wie nur wenige Armeen.“