Wenn man nicht brav sein will
Es war in Munster schon ein heftiger Paukenschlag, als sich im Januar die CDU-Fraktion spaltete. Acht Mitglieder – allen voran christdemokratische Urgesteine wie der ehemalige Kreisvorsitzende Gerd Engel – sagten Tschüss und gründeten eine neue Fraktion mit dem Namen Munster-Union.
Zerrieben hatte man sich innerhalb der bisherigen Fraktion an der Frage: Wie umgehen mit Bürgermeister Ulf-Marcus Grube? Die einen, die Abtrünnigen, wollten Grube im Zuge seines Zerwürfnisses mit der Feuerwehr und anderen Vorfällen aus dem Amt entfernen. Die anderen nicht, sahen in dem Vorgehen sogar eine Intrige und Grube als Opfer.
Am Ende führten die zwischenmenschlichen Probleme zum Bruch innerhalb der Fraktion. Die Munster-Union bleibt allerdings nicht nur dem Namen nach nah an der CDU. Bislang ist niemand aus der Partei ausgetreten. Der Kreisverband betont, die Türen für eine Rückkehr offen halten zu wollen.
„Wo Menschen zusammenkommen, gibt es eben auch Konflikte“, hatte in dem Zuge Timo Albeshausen als CDU-Kreisverbandsvorsitzender in der Böhme-Zeitung festgestellt.
Da ist Munster kein Einzelfall, wenn man Jahre oder gar Jahrzehnte zurückschaut. In Schneverdingen etwa rieb sich unter anderem SPD-Mann Hans-Gustav Kuhnke 1996 mit dem damaligen Bürgermeister Dieter Möhrmann (SPD) und spaltete sich später gemeinsam mit einem weiteren Mitstreiter im Stadtrat ab. Anlass war die Frage, ob das Rathaus erweitert werden soll oder nicht. Kuhnke ist gestorben, die Schneverdinger Wählergemeinschaft gibt es noch immer, sie arbeitet als Gruppe mit der FDP im Stadtrat in Schneverdingen zusammen.
Ähnliche Zerwürfnisse gab es in Bad Fallingbostel, als sich 2015 die Gruppe Bürgerliste von der SPD abspaltete. Im vergangenen Jahr knallte es in Walsrode, als sich die Fraktion 23 ebenso von der SPD lossagte. Auch da vertrug man sich innerhalb der Fraktion nicht.
In Soltau mussten die Sozialdemokraten Federn lassen, als sich 2009 die dps-Wählergemeinschaft gründete. Der SPD-Fraktionschef Wilfried Worch-Rohweder, vorheriger Ortsvereins- und Kreisvorsitzender, stritt sich mit seinen Parteifreunden und stieg mit zwei weiteren SPD-Mitgliedern aus Fraktion und Partei aus. Inzwischen ist die Soltauer Wählergemeinschaft Geschichte, sie wurde Ende vergangenen Jahres aufgelöst.
Weniger persönliche Animositäten spielen eine Rolle, sondern die Landespolitik
Die höchsten Wellen aber schlug schon 1977 eine Abspaltung in Soltau und auf Kreisebene. Damals brach die CDU auseinander, die Freie Union wurde gegründet, heute die Bürgerunion. Sie ist aktuell im Soltauer Stadtrat mit sieben Abgeordneten vertreten und im Kreistag mit zwei.
Bei der Gründung spielten weniger persönliche Animositäten innerhalb einer überschaubaren politischen Gruppe eine Rolle, sondern vielmehr die Landespolitik. „Es ist noch immer ärgerlich, alle politischen und sachlichen Gründe des Webergutachtens sprachen damals für Soltau als Kreisstadt.“
Rechtsanwalt Dr. Jochen Rothardt blickt noch heute wenig versöhnlich zurück. Er saß damals bereits und insgesamt gut 30 Jahre im Rat und war zu dem Zeitpunkt ehrenamtlicher Bürgermeister für die CDU und blieb es bis 1981 für die Bürgerunion.
Es war die Kreisreform, die die CDU in Soltau sprengte. Die SPD/FDP-geführte Landesregierung hatte sich durchgesetzt und in der Frage des Kreissitzes nicht für Soltau entschieden, sondern für das kleinere Bad Fallingbostel. Das Gutachten des Verwaltungsrechtlers Werner Weber hatte Soltau aufgrund seiner größeren Zentralität als Kreissitz vorgesehen.
Der Vorschlag war von der Landesregierung ohne Begründung abgeändert worden. Eine gewaltige Protestwelle zog das nach sich. In Hannover demonstrierten Tausende Soltauerinnen und Soltauer. Auch andere Landkreise waren mit der Neueinteilung nicht einverstanden, von 48 wehrten sich mehr als 20 erbittert.
Trotz Zusagen der Christdemokraten auf Landesebene, bei einer Übernahme der Regierung die Kreissitz-Entscheidung rückgängig machen zu wollen, passierte das nicht: Der damalige CDU-Landesvorsitzende und spätere Minister Wilfried Hasselmann habe das bei einem Besuch in Soltau den Christdemokraten sogar explizit versprochen, erinnert sich Rothardt.
Doch als 1976 die CDU an die Regierung kam, hielt sie nicht Wort. Zünglein an der Waage war erneut die FDP, mit deren Duldung die Christdemokraten zunächst allein regierten, später eine Koalition bildeten.
„Da ging das Geschachere los“, sagt Rothardt und erinnert sich, was Hasselmann im Nachgang zu ihm gesagt hat: „Das ist Politik“ – und er riet ihm, das nicht so schwer zu nehmen. Das Versprechen sei politisch nicht einlösbar gewesen. 1977 fiel die endgültige Entscheidung gegen Soltau und für den Kreissitz Fallingbostel.
„Das war der Grund, die CDU zu verlassen“, so Rothardt. Im Stadtrat verließ er gemeinsam mit fünf Abgeordnete die Fraktion. Der bisherige CDU-Ortsverbandsvorsitzende Walter Beushausen kritisierte im Juni 1977 im Nachrichtenmagazin Der Spiegel: Eine solche Partei müsse ja eigentlich „Wählerbetrugsvereinigung“ heißen. Anders als aktuell in Munster legten die Abtrünnigen sofort die Parteibücher nieder und gründeten die Freie Union nicht nur in Soltau, sondern auch in Schneverdingen.
Ein riesiger Paukenschlag, der in Feindschaften endet
„Das war natürlich ein riesiger Paukenschlag. Ab dem Tag waren wir ein Feind der großen Parteien“, sagt Rothardt. Dass der Protest auch innerhalb der Soltauer CDU zuvor einmütig gegen die Landesentscheidung geführt worden war, hat nach dem Austritt keine Rolle gespielt, tiefe Feindschaften taten sich auf.
Die Freie Union entwickelte sich indes zu einer Landespartei weiter und erzielte gute Ergebnisse – insbesondere im Altkreis Soltau. „Doch alle waren in Berufen gebunden und schafften es nicht, landesweit wirklich auf die Dauer präsent zu sein. Auch wenn es vor Ort sensationelle Ergebnisse gab“, erinnert sich Rothardt.
Soltau bekommt eine Reha-Klinik
Dennoch blieb man noch Stachel im Fleisch – und vor diesem Hintergrund fand ein Gespräch mit dem damaligen Ministerpräsident Ernst Albrecht statt, der Rothardt darin gebeten habe, „aufzuhören, Ärger zu machen“. Bei dem Gespräch, bei dem auch der damalige Stadtdirektor Jürgen Fenner anwesend war, wurden am Ende die eingefrorenen 25 Millionen D-Mark für den Bau einer Rehaklinik in Soltau freigegeben.
Der damalige Sozialminister Hermann Schipkoweit wollte die Klinik in Soltau eigentlich nicht ansiedeln. „Es war nicht als Ersatz für den Kreissitz gedacht, eher dafür, endlich brav zu sein“, sagt der Rechtsanwalt. Die Freie Union nannte sich in Bürgerunion um und trat nur noch bei Kommunal- und Kreistagswahlen an. Der Parteistatus wurde 1990 abgelegt.
Noch bis heute sei es undenkbar, dass CDU und Bürgerunion zumindest in Soltau gemeinsame Sache mache. „Man hat sich nie wieder zusammengefunden.“ Und längst, so Rothardt, sei die Selbstständigkeit der Bürgerunion von großer Bedeutung, stelle andere Ansichten sicher.
Interessant ist an der Stelle noch, dass man auf Stadt- und Kreisebene eine Gruppe gemeinsam mit der FDP bildet, die auf Landesebene in den größten Protestzeiten die „zweifelhafte Reform“, wie der Spiegel 1977 schrieb, zur Koalitionsfrage erhoben hatte und sie als „Prestigeprojekt“ und „Jahrhundertwerk“ als kleinerer Partner durchboxte.
Wir haben einen Teil des Artikels, der sich um die die Gründung der SWG in Schneverdingen dreht in dieser digitalen Version gegenüber der gedruckten Zeitung konkretisiert.