Wo Freya ein Hausrecht hat
Nur zwei Männer hat Elke Kirstein-Schulz in ihrem langen Künstlerleben aus einem Stamm geklopft. Meist schafft sie mit Beitel und Klöpfel mal üppige, mal schlanke Frauenkörper, früher aus Marmor und Findling, heute vorwiegend aus Eiche.
Bekannte Werke der Bildhauerin stehen im Museumsgarten, auf dem Waldfriedhof und vor dem Rathaus in Soltau. Das jüngste Ergebnis ihres kreativen Schaffens vor ihrem eigenen Haus in Wolterdingen. Eine Tänzerin mit geneigtem Kopf, grazilen Armen und einem Schuppenmuster, das schön anzusehen ist und die mühevolle Handarbeit beweist.
Kirstein-Schulz, 78, flink, drahtig, das graue Haar zurückgebunden, liegt die Kunst am Herzen, früher realistisch in Acryl, später schlichter in Stein. Und eben die Frau.
Das Matriarchat fasziniert sie, bei der das Weibliche eine herausgehobene Stellung innehat. Eine alte Kultstätte gibt es nahe Wolterdingen. Die Wiekule. „Wie“ bedeute „Heilig“ in der alten Sprache. In der Kuhle hätten die Frauen einst ihre Feste gefeiert, wie Lichtmess und Frühlingstag-und-Nachtgleiche. Zwei von acht Festen übers Jahr, die Kirstein-Schulz sonst in ihrem Garten begeht. Am 23. März soll nun die Wiekule erstmals im Mittelpunkt stehen.
Skulptur aus zwei Meter hohem Eichenstamm
Als Orientierung für den Weg zur Kultstätte hat Kirstein-Schulz eine Freya-Skulptur aus einem zwei Meter hohen Eichenstamm geschaffen. Dennoch braucht es zwei Anläufe, bis der schmale Pfad an der Straße in Richtung Wieheholz zu finden ist.
Das Auto am besten am Fahrbahnrand in Richtung Reimerdingen abstellen, dort, wo ein Schild auf eine historische Stätte zur historischen Schlacht von Soltau in der Soltauer Heide hinweist. Dann muss man etwa 100 Meter in Richtung Wolterdingen zurücklaufen und sich links halten.
Und tatsächlich: Erst sieht man den Findling mit dem Schriftzug Wiekule, eine Bank und auch gleich die Freya, die ein paar Meter im Wald hinein ihre Arme gen Himmel streckt. Sie gilt als Göttin der Fruchtbarkeit und des Frühlings, des Glücks und der Liebe.
Für Kirstein-Schulz ist sie fest mit der Wiekule verbunden, segne sie die Erde, damit alles am 21. März neu geboren werden kann. Seit einem Jahr steht die Figur dort, die Witterungseinflüsse haben das helle Holz an die Farben des Waldes angepasst. Kirstein-Schulz will sie wieder weißen, damit sie leuchtet und zu ihrem Element, der Luft, passt.
Unter den Stiefeln quietscht das Regenwasser dieser Tage auf dem weiteren Weg, der geradeaus und dann leicht nach rechts führt. Hinter den Bäumen öffnet sich im Wald die Wiekule. Es ist ein kleiner Tümpel, in dessen braunschwarzem Wasser sich die Bäume spiegeln. Ein verwunschener Ort, auf dem sich Moos auf abgestorbenen Ästen breitgemacht hat, dem das Heute mit dem dahinterliegenden Acker aber nahe ist.
Im Damals, so um 1300, war die Kule insbesondere mit dem Fest zur Frühlingstag- und Nachtgleiche der Kirche ein Dorn im Auge, erzählt die Wolterdingerin. Das Kloster Walsrode beschloss daher, in der kleinen Ortschaft ein Gotteshaus zu bauen. Dort hineinzugehen, ist für Kirstein-Schulz kein Thema: „Sie haben die Hexen verbrannt, viel von dem alten Wissen verschwand mit den Frauen.“
Auf einer Fahrradtour hat Kirstein-Schulz gemeinsam mit ihrem Mann den kleinen Findling am Straßenrand und die Infotafel des Heimatbundes für die Wiekule entdeckt. Die Energie, die der Ort für sie ausstrahlt, begleite sie über Stunden.
Schon vor 20 Jahren hatte sie die Idee, dem Platz mehr Aufmerksamkeit zu geben und eine Figur zur Orientierung aufzustellen. Die Stadt lehnte damals ab. Jetzt hat ihr Wolterdingens Ortsvorsteher Andreas Buhr geholfen. Er sicherte die Skulptur im Untergrund, stellte zudem zwei Bänke auf. Der Eigentümer der Fläche gab seine Zustimmung.
Ein Jahr bearbeitete Kirstein-Schulz den Stamm, fertigte zunächst eine Skizze, klopfte Stück für Stück den Kopf heraus, die Äste wurden zu Freyas Armen. Alles macht die Künstlerin mit der Hand, um ein besseres Gefühl für das Objekt zu bekommen, als mit einer Maschine möglich wäre. Zur eigenen Sicherheit steht sie bei ihrer Arbeit in der Höhe auf einem Tisch und nicht auf der Leiter.
Kirstein-Schulz lebt eng mit der Natur verbunden. Sie hat keinen Fernseher, kein Handy, das Auto bewegt sie selten, fährt Fahrrad und geht auch zu Fuß nach Soltau und zurück. Sie wünscht sich eine viel stärkere Rückbesinnung auf die Umwelt in Zeiten, wo selbst im Heidekreis Überschwemmungen nicht enden wollen. Jeder könne etwas tun und dürfe nicht darauf warten, dass „die da oben“ tätig werden. An der alten Kultstätte der Wiekule einfach auf einer Bank sitzen, schauen und entspannen, schlägt sie vor. Eines ist ihr aber wichtig. Das Hausrecht der Freya sollte respektiert werden.
Kultfeste übers Jahr
Am 23. März ab 14 Uhr möchte die Wolterdinger Künstlerin Elke Kirstein-Schulz die Wiekule in Wolterdingen, die alte Kultstätte aus dem Matriarchat, wieder sichtbar machen. Das Datum lehnt sich an das Fest der Frühlingstag-und-Nachtgleiche am 21. März an, an dem nach altem Glauben alles neugeboren wird.
Die Künstlerin will an dem Nachmittag über die Kultfeste informieren. Wer möchte, kann danach mit ihr nach Hause auf einen Tee oder Kaffee kommen.
Das Jahr beginnt mit seinen Kultfesten aber bereits am 2. Februar zu Lichtmess, um das neue Licht, das zur Wintersonnenwende geboren sei, zu feiern und die Dunkelheit des Winters mit Tänzen und bemalten Gesichtern zu verabschieden. Heute wird an den Tagen der Karneval gefeiert.
Nach dem Fest am 21. März, findet am 1. Mai Walpurgis statt mit Maibaumpflanzen und der Vorbereitung der Sonnenwende, die dann am 21. Juni als Fest der Fruchtbarkeit begangen wird. Nach der Erkenntnis von Kirstein-Schulz stand da auch der Teeberg in Soltau im Mittelpunkt.
Am 1. August wurde das Schnitterinfest gefeiert, am 21. September wieder die Herbsttag-und-Nachtgleiche. Das Hollefest am 1. November spiegelt sich in dem Märchen Frau Holle wider, mit Gold- und Pechmarie in der Anderswelt, wenn Samen und Säfte der Bäume mitgenommen werden.
Die Göttin ist Holle oder Freya in ihrem schwarzen Aspekt, die von Luzifer, dem Lichtbringer, unterstützt wird, was wiederum am 21. Dezember zur Wintersonnenwende führt. Die wurde laut Karl Baurichters Sagen- und Spukgeschichten übrigens in der Grundlosen Kuhle in Soltau gefeiert.