Das Golddorf erobert Berlin
Ein Dorffest mitten in Berlin gibt es auch nicht alle Tage. Tatsächlich ist es auch eher ein Dörferfest, das am Freitagabend im City-Cube auf dem Messegelände der Hauptstadt gefeiert wurde. Delegationen aus 22 kleinen Ortschaften – vom nahe der dänischen Grenze gelegenen Medelby bis zum oberbayerischen Huglfink – trafen aufeinander und boten ein in jeder Beziehung buntes Bild. Mitten drin: Vertreter der Dorfgemeinschaft Kirchboitzen.
Die 600-Seelen-Ansiedlung südlich von Walsrode ist einer von gerade einmal sieben Bundessiegern des traditionsreichen Wettbewerbs „Unser Dorf hat Zukunft“, an dessen 28. Ausgabe sich 3300 Ortschaften aus der ganzen Republik beteiligten (BZ vom 4. Juli: „Mehr als 200 Einwohner feiern das Golddorf“). Das in einer „Kirchboitzer Infrastruktur GmbH“ eingebettete große ehrenamtliche Engagement der Dorfgemeinschaft überzeugte die Fachjury, die alle Wettbewerbsdörfer bereiste. Insbesondere dass es mithilfe der Infrastruktur-Gesellschaft gelang, eine ansässige Landarztpraxis zu erhalten, fand große Beachtung. Auch auf der Bühne in Berlin wurde der gelungene Einsatz für die medizinische Grundversorgung herausgestellt.
Als Schirmherr der Veranstaltung ließ es sich Landwirtschaftsminister Cem Özdemir nicht nehmen, das Landleben zu preisen, auch als eine Art Lebensversicherung für die Demokratie. „Sie sind der beste Verfassungsschutz, den es gibt“, rief er in den Saal und erntete großen Applaus. Özdemir unterstrich die Bedeutung des ländlichen Raums mit seinen stark vom Ehrenamt getragenen Strukturen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Einbindung des Einzelnen in die Gemeinschaft schaffe Verständnis und bilde den Kitt einer starken demokratischen Mitte. „Und die Extremisten bleiben, wo sie hingehören: am Rand“, so der schwäbelnde Bundesminister und Sohn türkischer Arbeitsmigranten, der die integrative Kraft des Dorflebens kongenial verkörpert.
„Keine Stadt-Land-Spaltung wie in den USA“
Özdemir beklagte, dass Politik zu oft ausschließlich von der Stadt her gedacht werde und warnte vor einer Spaltung zwischen Stadt und Land. Wohin die führe, lasse sich in den in den USA beobachten. „Darin liegt kein Segen“, warb der Politiker für Austausch und gegenseitigen Respekt.
Abgeordneter, Minister und Bundespräsident
Die Kirchboitzener absolvierten in der Hauptstadt ein volles Programm. Neben der Großveranstaltung auf der Grünen Woche waren sie vom örtlichen Bundestagsabgeordneten Lars Klingbeil in den Bundestag eingeladen. Im Gespräch mit Klingbeil ging es um regionale Themen wie den Breitbandausbau, aber auch um Fragen der nationalen und internationalen Politik. Die Gäste wollten unter anderem wissen, wie der SPD-Mann ein mögliches Verbotsverfahren gegen die AfD bewerte. Klingbeil vertrat die Position, dass man die Partei vor allem inhaltlich stellen müsse.
Das „Golddorf“ Kirchboitzen darf sich nicht nur über große Beachtung freuen, sondern erhält auch ein Preisgeld in Höhe von 15 000 Euro. Und nach dem Bundestagsabgeordneten und dem Bundesminister wird es im März sogar zu einer Begegnung mit dem Staatsoberhaupt kommen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird eine Delegation aus Kirchboitzen empfangen.
Wettbewerb mit Tradition
Mit dem bundesweiten Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ ehrt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) alle drei Jahre bürgerschaftliches Engagement und macht positive Entwicklungen in ländlichen Regionen sichtbar. Der Wettbewerb hat eine lange Tradition und wurde auf Bundesebene erstmals 1961 ausgerufen – damals unter dem Namen „Unser Dorf soll schöner werden“, der bis 1998 bestand hatte.