Energetische Katastrophe: Modernisierung durch Abriss
Genau genommen läuft das neueste Vorhaben der Wohnungsbaugenossenschaft Soltau (WGS) unter der Überschrift Modernisierung. Von Modernisierung im bekannten Sinne kann allerdings nicht die Rede sein.
Denn tatsächlich will die WGS an der Beethovenstraße in Soltau drei Mehrfamilienhäuser aus dem Jahr 1967 abreißen. Sie seien aus wirtschaftlicher Sicht nicht mehr zu sanieren und sollen durch moderne Neubauten ersetzt werden, die den aktuellen Anforderungen an Wärmedämmung, Energieeffizienz und Wohnkomfort entsprechen.
13 Millionen Euro sollen nach bisheriger Rechnung investiert werden – teils gefördert durch die N-Bank aufgrund der geplanten höchsten Energiestandards. Statt insgesamt 30 Wohnungen sollen es künftig 43 sein. Der Baustart ist für 2024 geplant.
„Die Modernisierung oder auch Ersatzneubau ist für uns ein Leuchtturmprojekt“, betont WGS-Geschäftsführer Ralf Gattermann und wohl bislang im Heidekreis einmalig. Dafür gilt es zunächst, die logistische Herausforderung zu bewältigen.
Noch sind alle Gebäude mit den Nummern 13, 17 und 21 bewohnt. Die Wohnungen sind klein, eineinhalb bis zwei Zimmer haben sie, die Mieter sind zwischen 25 und 85 Jahre alt, manche wohnen dort ihr ganzes Leben.
Am kommenden Dienstag will die WGS die Bewohner über das Vorhaben genauer informieren. Denn diese müssen über kurz oder lang ausziehen. Das erste Haus muss wahrscheinlich schon in diesem Jahr leer stehen, um abgerissen zu werden.
Bislang hat die WGS zehn Wohnungen in ihrem Bestand nicht wieder vermietet, um sie den Bewohnern der Beethovenstraße anbieten zu können. Weitere sollen noch hinzukommen. Zudem will sich die Genossenschaft an den Umzugskosten pauschal beteiligen.
Die Häuser lägen in einem sehr attraktiven Bereich, erklärt Gattermann. Stadtnah, mit dem Nachbar Breidingsgarten gebe es für die Bewohner ein schönes Naherholungsgebiet. Die Möglichkeit, in eine der neuen Wohnungen zurückzuziehen, die gebe es. Jedoch nicht mehr zu den aktuellen Mietkonditionen.
Allerdings, das gibt Norbert Behrens von der Planungsgemeinschaft Nord aus Rotenburg zu bedenken, sänken die Nebenkosten in den neuen Gebäuden auch dank Photovoltaik und Wärmepumpen enorm. „Bislang heizt man in den alten Häusern die Gärten mit“, sagt der Architekt, der für die WGS bereits das Neubauprojekt an der Winsener Straße in Soltau umgesetzt hat.
Die Häuser, die nun abgerissen werden sollen, wurden 1967 als öffentlich geförderte Bauten errichtet. Damals entstanden 30 Altenwohnungen. Die Neubauten werden über die Grundflächen der bisherigen Häuser hinausragen und sie werden mit zwei Vollgeschossen und einem sogenannten Staffelgeschoss höher.
Stark gestiegene Kosten in der Baubranche
Baumaterial, Zinsen und der Mangel an Handwerkern. All das lässt seit Monaten die Kosten im Baubereich in die Höhe schießen. Ein Fakt, der auch der Wohnungsbaugenossenschaft Soltau (WGS) bei ihren aktuellen Projekten zusetzt.
Hinzu komme, so erklärt es Architekt Norbert Behrens, dass die Energieeffizienz des Wohnungsbestandes immer stärker in den Fokus rückt. Schon im vergangenen Jahr hat daher sein Unternehmen, die Planungsgemeinschaft Nord (PGN), für die WGS den gesamten Wohnungsbestand überprüft und diesen wie bei einer Ampel in die Farben Grün, Gelb und Rot eingeteilt. „Grün ist in Ordnung, bei Gelb müssen wir noch was machen und bei Rot ist es wirtschaftlich unsinnig zu sanieren“, erläutert Behrens.
Drei Häuser an der Beethovenstraße sind nun die ersten, die aufgrund ihrer tiefroten Einschätzung tatsächlich abgerissen werden sollen. Es seien die schlechtesten aller Objekte, erklärt Behrens. Eines der Gebäude werde noch mit Öl geheizt, die beiden anderen mit Gas, nach seiner Einschätzung seien die Wände ein besserer Sichtschutz: „Die Häuser sind ökonomisch eine Vollkatastrophe.“
Mittlerweile gebe es zudem strenge Vorschriften des Gesetzgebers. Bis 2045 soll Deutschland CO2-frei sein, schon bis 2033 gebe es erhöhte Vorgaben, hinzu komme zurzeit das Umrüsten auf Wärmepumpen. „Und das trotz der aktuell schwierigen Rahmenbedingungen“, verweist Behrens wie WGS-Geschäftsführer Ralf Gattermann auf die Situation in der Baubranche.
Um vor diesem Hintergrund dennoch zu bauen und vernünftigen Wohnraum zu kostengünstigen Preisen bieten zu können, hat die PGN, die häufig mit Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften zusammenarbeite, ihre Gebäude standardisiert und immer wieder angepasst. Behrens vergleicht das mit einem VW Golf, der mittlerweile in der achten Generation produziert werde: Auch in der Architektur bauten Dinge aufeinander auf, um kostenoptimiert bauen zu können.
„Wir verdichten die bestehenden großen Grundstücke, wir bauen tiefer und höher und erreichen so eine bessere Wirtschaftlichkeit“, so Behrens. Hier in Soltau sei es das erste Projekt dieser Art, anderswo gebe es das schon häufiger.
Natürlich könne er die Gefühle und Emotionen der Menschen verstehen, die aus solchen Gründen ihre Wohnungen verlassen müssten. Gattermann erzählt von einigen Anrufen, die ihn auch von den Mietern aus der Beethovenstraße erreicht hätten: Teils gebe es großes Verständnis, mehr erklären wolle er am kommenden Dienstag bei der Anwohnerversammlung. Ersatzwohnungen seien teilweise im Umfeld gefunden worden. Ältere Mieter sollen besonders begleitet werden, verspricht er.
Entstehen sollen nun drei Gebäude mit jeweils zwei Voll- und einem Staffelgeschoss als Dachausbau: In zwei Häusern sollen 13 Wohnungen entstehen, in einem 17. Bei Letzterem werde es auch kleinere Wohnungen geben, auf den Aufzug solle dort zunächst verzichtet werden, um die Wohnungen günstiger anbieten zu können.
Die vermietbare Fläche steige von bislang fast 1400 Quadratmetern auf fast 3000. „Wir verdichten auch in der Ortslage“, verweist Behrens auf das Thema Flächenverbrauch. Bislang sind die Baukörper in den vorherigen Grenzen so geplant, dass kein extra Bebauungsplan notwendig sei, dazu gebe es auch Absprachen mit Stadt und Landkreis.
Baustart soll 2024 sein, der Baufortgang sei bislang nur theoretisch geplant, es könne zunächst auch nur ein Block bis Ende 2023 leergezogen und abgerissen werden, um bereits mit dem Bau beginnen zu können. Fest steht, dass alle Gebäude mit Photovoltaik ausgestattet werden sollen, vielleicht auch unter Nutzung der Balkonbrüstungen. Ob es tatsächlich Fußbodenheizungen werden, da war sich Architekt Behrens noch nicht ganz sicher, vielleicht setze er auch auf Infrarotheizungen, da spare man den hohen Fußbodenaufbau.
Letztlich gehe es darum, den KfW-40-EE-Status zu erreichen, der ein Passivhaus bescheinige und entsprechende günstige Kredite verspreche. „Wir versuchen, in die Förderung zu kommen. Es wird energetisch ein Vorzeigeobjekt in einer schönen Wohngegend“, findet Gattermann.
Ob die WGS noch andere wirtschaftlich unsanierbare Wohnungen im Bestand habe? „Über das ein oder andere Objekt müssen wir da noch nachdenken. So eine Maßnahme wie in der Beethovenstraße aber wird nicht Standard sein.“
Fast 800 Wohnungen im Bestand
Seit mehr als 100 Jahren gibt es die Wohnungsbaugenossenschaft in Soltau (WGS). Sie wurde genau am 11. März 1919 noch als „Gemeinnützige Baugenossenschaft Soltau“ gegründet. Die regen Bautätigkeiten begannen aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg, damals ging es darum, die Wohnungsnot zu lindern. Inzwischen hat die WGS fast 800 Wohnungen in ihrem Bestand. Letztes großes Projekt waren die Neubauten an der Winsener Straße. In einem Mehrfamilienhaus entstanden in dem Neubaugebiet 36 Wohnungen, in drei Stadthäusern je acht Wohnungen. at