Neue Corona-Verordnung macht Testzentren zu schaffen
„Mit Änderung der bundeseinheitlichen Corona-Testverordnung werden seit dem 30. Juni Testkapazitäten noch gezielter eingesetzt“, heißt es auf der Homepage des Heidekreises. Der Satz ist vom Bundesgesundheitsministerium übernommen und erkennbar darum bemüht, das Wörtchen „eingeschränkt“ zu vermeiden. Tatsächlich sind, ungeachtet der gerade wieder stark steigenden Infektionszahlen, die Zeiten der generell kostenfreien Bürgertests seit Donnerstag Geschichte. Nur noch wer einen guten Grund vorzubringen weiß, kann sich seitdem noch gratis oder zum ermäßigten Preis von drei Euro testen lassen. Alle anderen zahlen ihren Schnelltest selbst, jedenfalls in der Theorie. Für die Betreiber von Testzentren gibt es somit nun drei verschiedene Abrechnungskategorien – und eine um ein Vielfaches höhere Zahl ungeklärter Detailfragen, wie in den Einrichtungen vor Ort zu erfahren ist.
In Schützenuniform ins Testzentrum?
„Können sich in dieser Woche alle Soltauer für drei Euro testen lassen?“, fragt sich zum Beispiel die Geschäftsführerin des MTV Soltau, Petra Kurtz. Der größte Verein der Stadt betreibt am Hindenburgstadion ein eigenes Schnelltest-Zentrum. Die rhetorische Frage der MTV-Vertreterin zielt auf das viertägige Soltauer Schützenfest, das am Donnerstag beginnt. Wer ins Schützenzelt will, hat einen Anspruch auf den Drei-Euro-Test, denn er möchte „eine Veranstaltung in Innenräumen besuchen“, wie es von der Corona-Testverordnung für die Ermäßigung eingefordert wird. Aber wie kann er das im Testzentrum glaubhaft machen? Die Verordnung nennt für den Regelfall Eintrittskarten oder Reservierungsbestätigungen, doch beides passt hier nicht. Also die Ausnahme, auch daran wurde gedacht: „In einigen Fällen wird eine Teilnahme an einer Veranstaltung auch aus sich heraus plausibel sein“, so der Verordnungstext, „etwa bei Dorffesten im eigenen Dorf oder bei entsprechender Kleidung im Umfeld eines traditionellen Festes (Karneval, Oktoberfest).“ Also am besten in Schützenuniform ins Testzentrum, dann kann nichts schiefgehen.
Was amüsant klingen mag, kann im Testzentrum tatsächlich zu Problemen und Diskussionen führen. Vieles ist ungeklärt, geht aus dem Verordnungstext nicht klar hervor. Ab wann ist die private Zusammenkunft eine „Veranstaltung“, was zählt eine mündliche Auskunft und wer steht eigentlich in der Pflicht, den Wahrheitsgehalt im Zweifelsfall zu überprüfen? „Wir kennen die meisten derjenigen, die zu uns zum Testen kommen“, sagt Kurtz. „Da hat jeder einen triftigen Grund“. Auch Kreativität sei gefragt. „Wer zu einer goldenen Hochzeit gehen will, sollte im Testzentrum die Einladungskarte vorlegen“, so Kurtz. „Wir testen jedenfalls weiter“, versichert sie. „Wenn am Ende des Tages 100 Euro für die Vereinskasse übrig bleiben, macht uns das schon zufrieden.“ Testzentren, die nicht von gemeinnützigen Vereinen betrieben werden, können das indes nicht so locker sehen.
„Nicht praktikabel“ – so lautet das Urteil von Dr. Benjamin Rebhan über die am Donnerstag in Kraft getretene bundesweit gültige Corona-Testverordnung. Rebhan betreut das Testzentrum am Ärztehaus Oeninger Weg in Soltau. Dort sorge die Neuregelung vor allem für Mehrarbeit und Unsicherheit unter den Testwilligen. „Die Situation ist total unbefriedigend“, klagt der Mediziner.
Die meisten Bürgerinnen und Bürger, die sich am Ärztehaus testen lassen, sind schon älter. Die bezahlen ihre Testungen nicht, was möglich wäre, bargeldlos übers Smartphone. Stattdessen gebe es immer wieder Situationen, in denen passendes Kleingeld fehle oder Quittungen über drei Euro ausgeschrieben werden müssten. „Da kommt dann eine ältere Frau ohne Bargeld ins Testzentrum, die ihren im Sterben liegenden Mann besuchen will und dafür einen Test benötigt.“
In der Praxis gebe es eigentlich nur Gratis-Testungen oder welche zum ermäßigten Preis von drei Euro, berichtet Rebhan. Überrascht sei er davon nicht. „Wir haben im Vorfeld bei uns im Testzentrum eine Befragung mit 800 Teilnehmern durchgeführt“, erzählt er. Mehr als 90 Prozent der Befragten hätten angegeben, sich nicht mehr anlasslos testen lassen zu wollen, wenn sie den Test komplett selbst bezahlen müssen. Ob unter denen, die jetzt mit Gründen kommen, nicht doch auch solche sind, die das nur vorspiegeln, um Geld zu sparen? „Wir können nicht wissen, ob wir angeschwindelt werden“, räumt Rebhan ein.
„Die Corona-Zahlen gehen massiv nach oben“
Besorgnis bereitet ihm aus medizinischer Sicht die für die Sommermonate ungewöhnlich hohe Corona-Inzidenz. Deren wahre Größe kenne aufgrund der insgesamt deutlich reduzierten Testzahlen niemand, doch Anzeichen seien alarmierend. „Bei uns fallen 10 bis 15 Prozent der Tests positiv aus“, berichtet er, „die Zahlen gehen massiv nach oben“. Der Sommer mag sich aufgrund der umfangreichen Lockerungen und des warmen Wetters gut anfühlen, aber die Corona-Lage ist, anders als im Sommer 2021, ganz und gar nicht entspannt. Für den Herbst und Winter lässt das nichts Gutes erahnen. Das Testzentrum am Ärztehaus wird jedenfalls wohl so schnell nicht abgebaut. Die aktuelle Zulassung gilt bis zum 25. November.